Freude

[403] Freude. (Schöne Künste)

Die Freude ist ein hoher, die Seele durchdringender Grad des Vergnügens, das aus einem ungewöhnlichen, oder plötzlichen Gefühl der Glükseeligkeit entsteht. Sie scheinet das höchste Ziel der Wünsche des Menschen zu seyn. Wenigstens ist sonst keine Leidenschaft, die so ganz Genuß, ohne Beymischung von Unruhe und von anderm Bestreben wäre. Da sie aus der Vorstellung entsteht, daß alle Wünsche erreicht sind, so wünscht, und hoft, und fürchtet das ganz freudige Herz nichts mehr, sondern überläßt sich ganz dem gegenwärtigen Genuß. Daher kömmt es, daß der Mensch, indem er die Freude genießt, ein gutmüthiges, gefälliges und durchaus angenehmes Geschöpf ist, mit dem man beynahe machen kann, was man will. Denn da er selbst währender Freude an dem Ziel seiner Wünsche zu seyn glaubt, so sucht er für sich nichts mehr, hat kein eignes Intresse, und wenn ihm noch etwas zu wünschen übrig bleibet, so ist es dieses, daß nun auch alle Menschen so glüklich, wie er selbst seyn mögen. Nur muß man ihn in seiner Glükseeligkeit nicht stöhren; denn weil die Freude natürlicher weise unbedachtsam, leichtsinnig und dabey schnell ist, so könnte sie auch leicht in wüthende Rache ausbrechen.

So erwünscht die Freude dem Menschen ist, so darf er sich doch nicht beklagen, daß ein beträchtlicher Grad derselben selten kömmt, und nicht lange anhält, weil ihm dieses mehr schädlich, als nützlich seyn würde; denn sie spannt alle Sayten der Seele ab, weil sie nichts wünscht und nichts sucht. So wie der Mensch, der von Kindheit auf nie gefühlt hat, daß ihm etwas fehlt, natürlicher Weise leichtsinnig, träg und unbesonnen wird, und sich sehr wenig über die Sinnlichkeit erhebt; so würde es der, der lauter Freuden genossen hat, noch vielmehr werden, da ihm gar alle Gelegenheiten zur Anstrengung seiner würkenden Kräfte benommen wären.

Dessen ungeachtet aber kann diese Leidenschaft, wenn sie nur zur rechten Zeit erwekt wird, ganz wichtige Folgen haben, wie z. B. alle öffentlichen Freuden, da man in religiösen oder politischen Feyertagen eine glükliche Begebenheit feyert. Daß ein ganzes Volk seine Glükseeligkeit erkenne und sich derselben erfreue, ist in mehrern Absichten wichtig, weil dieses Gefühl sehr vortheilhaften Einfluß auf den Charakter des Volks und auf seine Handlungen hat. Da können die schönen Künste, besonders Musik, Poesie und Beredsamkeit große Dienste thun. Oden und Lieder, die durch Vorstellung des Nationalglüks zur Freud ermuntern, sind unter die wichtigen Werke der Künste zu zählen. Horaz hat die Römer mehr als einmal zur Freude über ihr Glük ermuntert1, und die dahin abzielenden Oden gehören unter seine vornehmsten Werke. Wenn wir die Päane der Griechen noch hätten, so würden wir vielleicht begreifen, daß mancher Sieg dieses ausserordentlichen Volks hauptsächlich den Freudengesängen, womit sie ihre Schlachten angefangen haben, zu zuschreiben seyn möchte.

Der Affekt der Freude ist also vorzüglich ein Gegenstand der lyrischen Dichtkunst und der Musik; und die Gesänge, die für öffentliche Freudenfeste gemacht werden, können unter den Werken der Kunst auf den ersten Rang Anspruch machen. Aber [403] auch jede Art der Privatglükseeligkeit, die allgemeinen Wolthaten der Vorsehung, und was etwa einzele Familien oder Menschen glüklich macht, und die Aeusserungen der Freuden dabey, sind noch wichtige Gegenstände. Wir wollen auch die Lieder nicht als unnütze verwerfen, die blos sinnliche Gegenstände des Vergnügens zu Erwekung der Freude brauchen; ob wir gleich dem vollkommensten Trinklied eben keinen hohen Rang anweisen würden. Es kann nicht leicht einem aufmerksamen Beobachter der Menschen unbemerkt bleiben, daß bisweilen eine freudige Minute, wenn ihre Veranlasung auch noch so gering gewesen ist, wichtige Folgen haben kann, Gemüther die durch allerhand Verdrießlichkeiten etwas in Unthätigkeit gesunken waren, wieder aufzurichten.

Aber die geringern, ganz sinnlichen Freuden müssen in der lyrischen Dichtkunst ihrem Charakter gemäß, das ist, leicht und flüchtig behandelt werden. Es wäre unsinnig, bey einem Trinkgelage das Lob des Weines in dem hohen Ton einer feyerlichen Ode zu singen, und solche blos die Sinnen kitzelnde Vergnügungen, die noch dazu nur gar zu bald in niedrige Debauchen ausarten, mit den hohen Freuden der innern Glükseeligkeit in eine Classe zu setzen. Für Menschen von Verstand und von ausgebreitetem sittlichen Gefühl, sind die Vergnügungen der Sinnen und die daher entstehenden Freuden, nicht Speisen, sondern bloße Würzen die sehr sparsam zu einiger Erhöhung des Geschmaks hier und da eingestreuet werden. So bald die Künste sie anders behandeln, so machen sie einen Mißbrauch davon. So angenehm manche witzige Trinklieder sind, so unsinnig und abgeschmakt sind die groben Mißgeburthen, wo die Schwelgerey im ernsthaftesten Ton, als der Endzwek des Lebens, und die daher entstehenden Freuden, als die eigentliche Glükseeligkeit des Menschen vorgestellt werden.

Mancher unbesonnene Jüngling in Deutschland hat sich, bey seinem noch nicht reif gewordenen Urtheil, durch den Beyfall, den die leichten und angenehmen Lieder einiger feinen Dichter erhalten haben, verleiten lassen, den Trank der Wollust, von dem jene feinere Köpfe nur einige Tropfen genommen, Strohmweis einzugießen. Darin zeiget man eben so viel Verstand, als bisweilen der unwissende Pöbel, der anstatt weniger Tropfen, die er aus einem Arzneyglas nehmen sollte, nach seinen dummen Begriffen es für besser hält, das ganze Glas auszutrinken. Wenn wenig hilft, denkt der Dummkopf, warum sollte viel nicht noch mehr helfen?

Aber die lyrische Dichtkunst ist nicht in dem ausschliessenden Besitz Freude zu erweken; auch das Drama und die Epopee bedienen sich dieser Leidenschaft, und können sie auf eine vortheilhafte Weise nützen. Je begieriger der Mensch nach Freud ist, je wichtiger wird es, ihn fühlen zu lassen, daß die wichtigsten, das Herz am meisten durchdringenden, und zugleich die dauerhaftesten Freuden, Folgen großer, tugendhafter und verdienstvoller Handlungen sind. Dieses giebt also dem epischen und dramatischen Dichter Gelegenheit, diese Leidenschaft auf eine wichtige Weise zu behandeln. Man stelle sich ein versammeltes Volk vor, das einen Mann, den es für seinen Erretter, für seinen Wolthäter hält, mit Dank und Jubel empfängt; man genieße in Gedanken nur einen Augenblik die überfließende Freude, die diesen Mann alsdenn mit Seeligkeit erfüllet; so wird auch zugleich ein brennendes Verlangen entstehen, eine solche Glükseeligkeit zu genießen. Diese einzige Anmerkung scheinet hinlänglich, den epischen und dramatischen Dichtern die Winke zu geben, wie sie die Freude in ihren Werken behandeln müssen.

Hiebey entsteht ganz natürlich der Gedanken, daß die Tragödie oder das hohe Drama, dessen Ausgang eine völlige und allgemeine Freude wäre, von großer Wichtigkeit seyn könnte. Jede große That, wodurch ein Volk, oder eine beträchtliche Anzahl Menschen glüklich geworden, könnte den Stoff zu einem solchen Drama geben. Und der epische Dichter hat wol schweerlich irgendwo sicherere Gelegenheit, die wichtigsten Empfindungen zu erweken, als wo er Nationalfreuden zu beschreiben hat. Wer ist so fühllos, daß er sich nicht an Xenophons Stelle zu seyn wünschete, in der Stunde, da die, meistentheils durch seine Klugheit und Tapferkeit geretteten zehntausend Griechen, zuerst das Meer wieder sahen, an dessen Küsten sie Freunde, Landsleute und völlige Sicherheit zu erwarten hatten? Wer kann die Geschichte von der Befreyung der Stadt Wien durch den großen Sobiesky lesen, ohne von vielen wichtigen Empfindungen und Gedanken durchdrungen zu werden? Dergleichen Materie zur Freud geben die Geschichten fast aller Völker, und die epische Poesie kann dieselbe vorzüglich nützen. [404] Große Freuden, die wir an andern Menschen sehen, können auch die Würkung auf uns haben, daß sie das Gemüth menschlicher und wolthätiger machen. Man sollte denken, ein Tyran selbst müßte der Tyranney entsagen, wenn er die große Scene ließt, die Plutarchus und Livius beschrieben, da der römische Feldherr Flaminius dem ganzen versammelten Griechenland durch Herolde die Freyheit öffentlich hat ankündigen lassen. Es scheinet, als wenn Menschen, indem sie in festlichen Freuden begriffen sind, etwas geheiligtes und unverletzliches an sich haben, daß sich auch der ruchloseste Mensch ein Gewissen daraus machen müßte, sie darin zu stöhren. Also hat die Freude andrer Menschen überhaupt auf gute Gemüther die Würkung, daß man diesen Menschen gewogen wird, sich bereit findet ihre Freude mit zugenießen, und wo möglich die Quelle derselben noch voller fließen zu lassen. Hingegen flößen ungezogene Freuden, die Leichtsinn oder wol gar Muthwillen und ungezogene Schwelgerey zum Grund haben, Verachtung ein.

Diese wenigen Anmerkungen können einem verständigen Künstler zur Richtschnur dienen, wie und bey welchen Gelegenheiten er die Freude zu seinem Stoff nehmen, oder nur in seine übrige Materie einflechten soll. Was hier besonders für die Dichter gesagt zu seyn scheinet, dienet auch dem Mahler, dessen Werke auf sehr verschiedene Weise, von freudigem Inhalt seyn können. Die Erinnerungen, die wir den Dichtern der sinnlichen Freuden von dem rechten Gebrauch und Mißbrauch dieser Leidenschaft gegeben haben, können dem Mahler auch ganz dienen, der gerade so, wie der Dichter, entweder sich als einen platten Schwelger, oder als einen feinen Kenner geistreicher Freuden zeigen kann: und aus dem, was wir den epischen und dramatischen Dichtern gesagt haben, kann auch der Mahler lernen, wie er die Freude in einem hohen Styl behandeln müsse.

Von dem natürlichen, und wo es nöthig ist, edlen Ausdruk dieser Leidenschaft, wäre noch viel zu sagen, wenn hier Regeln etwas helfen könnten. Das große Geheimnis dazu zu gelangen ist, überhaupt einen feinen Geschmak zu haben, und diesen durch das Studium der besten Muster noch sicherer zu machen. Mäßige Freude ist oft geschwätzig, offenherzig und naiv; in großen Freuden aber drükt man sich kurz, äusserst nachdrüklich, feurig und abgebrochen aus. Zum Ausdruk großer Freuden wird besonders Ueberlegung und Geschmak erfodert. Was für mancherley Schattirungen liegen nicht zwischen den äussersten Gränzen, nämlich den Aeusserungen dieser Leidenschaft, wie sie sich in dem rohen und pöbelhaften Freudengeschrey wilder Menschen zeiget, und dem Betragen der Personen von höherer Denkungsart, bey denen die empfindlichsten Freuden sich kaum durch äusserliche Merkmale an den Tag legen. Hierüber kann nachgesehen werden, was von der Mäßigung des Ausdruks überhaupt in den Artikeln Ausdruk und Leidenschaft erinnert worden.

1Z. B. im 1 B. die 37. Ill. B. 14. VI. 5.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 403-405.
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