Generalbaß

[456] Generalbaß. (Musik)

Ein Baß mit welchem zugleich die volle Harmonie eines Tonstüks angeschlagen wird. Er hat eine doppelte Würkung: zuerst läßt er den begleitenden Baß hören,1 und dann unterhält er das Gehör durchaus in dem Gefühl der Tonart, so daß die Modulation durch den Generalbaß bestimmt und vernehmlich wird. Er wird hauptsächlich auf Orgeln und Clavieren gespielt, wo die linke Hand die Baßtöne anschlägt, die rechte aber die dazu gehörige Harmonie, die mit Ziffern, oder andern über die Baßnoten gesetzten Zeichen angedeutet wird2.

Wenn der Baß nicht beziffert ist, so muß der Spieler die obern Stimmen auch vor sich haben, damit er auf jeden Baßton die rechte Harmonie treffe. Zwar können geübte Harmonisten bisweilen, wenn sie den bloßen und nicht bezifferten Baß vor sich haben, den Generalbaß richtig spielen: allezeit aber geht es nicht an, zumal wenn der Tonsetzer künstliche und ungewöhnliche Modulationen angebracht hat.

Ohne eine völlige Kenntniß der Harmonie ist es nicht möglich, den Generalbaß richtig zu spielen. Denn man muß nicht nur alle Regeln der guten Fortschreitung, sondern auch jeden Kunstgriff der Modulation wissen, sonst läuft man Gefahr entweder falsche Fortschreitungen zu machen, oder gar aus dem Ton heraus zu kommen. Wer also den Generalbaß lernen will, muß nothwendig die ganze Wissenschaft der Harmonie und der Modulation genau studiren. Und wenn er dieses vollkommen weiß, so hat er noch vieles zur guten Begleitung in Acht zu nehmen. Er muß nicht nur in der Fortschreitung die Quinten und Octaven zu vermeiden, und jede Harmonie rein anzugeben, sondern auch die Hauptstimme durch seine Begleitung gehörig zu heben wissen. Denn der Generalbaß-Spieler kann ungemein viel verderben oder gut machen. Daher macht die Wissenschaft des Generalbasses einen besondern und weitläuftigen Theil der Musik aus, der von vielen in besondern Werken vorgetragen worden. Das wichtigste und gründlichste Werk darüber ist wol der zweyte Theil von Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, der fast allein dem Generalbaß gewiedmet ist.

Man schreibet die Erfindung des Generalbasses insgemein einem Wälschen, Namens Ludovico Viadana zu, welcher im Jahr 1606 zuerst von diesem Basse soll geschrieben haben. Es ist aber wahrscheinlich mit dieser Erfindung, wie mit vielen andern gegangen, die stufenweise, entstanden, und erst nachdem sie merklich angewachsen, als besondere Erfindungen betrachtet worden. Da die Orgeln sehr alt sind, so ist wahrscheinlich, daß lange vor Viadana, die Orgelspieler nicht blos den Baß und etwa eine Hauptstimme werden gespielt, sondern bisweilen zu richtiger Bemerkung des Tones, oder zu mehrerer Ausfüllung, auch noch andre Intervalle dazu genommen haben. Vielleicht hat Viadana zuerst einige Regeln für ein solches Spielen gegeben, und sich dadurch den Ruhm erworben, daß er die Sache selbst erfunden habe. Von der Bezifferung des Generalbasses ist an einem andern Orte gesprochen worden3.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 456.
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