Horaz

[548] Horaz.

Man würde sich einen zu niedrigen Begriff von einem der größten Dichter des Alterthums machen, wenn man sich einbildete, daß Horaz aus bloßer Liebhaberey ein Dichter geworden, daß er, wie es etwa in unsern Zeiten zu geschehen pflegt, seine Jugend und sein reiferes Alter angewendet habe, poetische Gedanken und Bilder aufzusuchen, und Sylben abzuzählen, um bey verschiedenen Gelegenheiten seinen Mitbürgern etwas zu lesen zu geben, das ihnen gefiele, und ihm den Ruhm eines witzigen Kopfs erwürbe. Der Graf Shaftesbury hat richtig angemerkt, daß die alten und neuen Kunstrichter, die diesen Dichter mit ihren Anmerkungen erläutert haben, uns den großen Mann in ihm gar nicht gezeiget haben, der er würklich gewesen ist. Wenn man nur das, was er selbst hier und da in seinen Gedichten von seinen persönlichen Umständen und von seinem Charakter einfließen läßt, zusammen nihmt, so zeiget er sich in einem sehr vortheilhaften Lichte.

Er war der Sohn eines freygelassenen, vermuthlich griechischen, Mannes von Vermögen und rechtschaffenem Wesen, der ihm eine gute Erziehung gegeben. Er drükt sich darüber an verschiedenen Orten sehr deutlich aus; er schreibet es seinem Vater zu, daß er ein redlicher und beliebter Mann geworden:


–– purus et insons

–– si et vivo carus amicis:

Causa fuit pater his.1


[548] Seinen Lehren danket er es, daß er sich nicht von dem Strohm der Laster hat hinreißen lassen:


–– Insuevit pater optimus hoc me,

Ut fugerem, exemplis vitiorum quaeque notando.2


Er hatte verschiedene Lehrer und Aufseher; aber dieser rechtschaffene Vater verließ sich nicht auf sie, er war selbst der beste Aufseher:


Ipse mihi custos incorruptissimus omnes

Circum doctores aderat.3


Nachdem er in Rom eine so gute Erziehung genossen, und, nach der damaligen Art, auch in den schönen Wissenschaften unterrichtet worden, reiste er nach Athen, wo er in der Schule der Academiker das Studium der Philosophie trieb. Indem er sich da aufhielt, brach der bürgerliche Krieg aus, durch den Brutus die römische Republik zu retten suchte. Horaz nahm die Parthey der Freyheit, aus patriotischen Gesinnungen und aus Hochachtung und Freundschaft gegen den Brutus, dem er in Griechenland bekannt worden. Dieser einzige Umstand, daß er vor dem Umsturz der Republik, mit dem Häuptern des Staates bekannt gewesen, und von so großen Männern zur Vertheidigung der Freyheit mit gebraucht worden, (denn es wurd ihm eine Legion anvertraut) muß uns einen vortheilhaften Begriff von ihm geben. Er hatte Ursach auch nachher sich dessen zu rühmen. Die Art, wie er davon spricht,


Me primis urbis, belli placuisse domique.4

–– Cum magnis vixisse invita fatebitur usque Invidia5


zeiget deutlich, daß er mit den größten Männern der sterbenden Republik, so wol vor, als in dem Krieg selbst, in vertrautem Umgange gelebt habe. Darum wurd er auch, als eines der Häupter der Freyheit, nach der Schlacht bey Philippi in die Acht erkläret, und verlohr seine Güter. Dieses zwang ihn zu einem ruhigen Leben, und weil er nun nichts mehr für die Freyheit thun konnte, warf er sich in die Aerme der Musen, so wie vor ihm Cicero in ähnlichen Umständen, sich ganz dem Studio der Philosophie ergeben hatte. Alle diese Umstände erzählt er selbst, mit der ihm ganz eigenen Kürze:


Romae nutriri mihi contigit, atque doceri

Iratus Grajis quantum nocuisset Achilles:

Adjecere bonae paulo plus artis Athenae;

Scilicet ut possem curvo dignoscere rectum,

Atque inter sylvas Academi quaerete verum.

Dura sed emovere loco me tempora grato;

Civilisque rudem belli tulit aestus in arma,

Caesaris Augusti non responsura lacertis.

Unde simul primum me dimisere Philippi

Decisis humilem pennis, inopemque paterni

Et laris et sundi, paupertas impulit audax

Ut versus sacerem.6


Er äußert hier im Vorbeygang seine Gedanken über den bürgerlichen Krieg, auf eine Weise, die uns nicht erlaubet, es ihm übel zu nehmen, daß er sich mit dem Cäsar ausgesöhnt hat. Er gesteht ihm hier nur eine überwiegende Macht zu, die er stillschweigend der gerechten Sache der andern Parthey entgegen setzt. Man kann den beherztesten Mann nicht tadeln, daß er der entschiedenen Uebermacht nachgiebt, wenn er nur den Mächtigern nicht zugleich für den rechtmäßigen Herrn hält.

Man würde sich sehr irren, wenn man aus den letzten Worten dieser Stelle schließen wollte, daß ihn der Hunger gezwungen habe ein Dichter zu werden, um sein Leben mit dem Gewinnst von seinen Gedichten zu erhalten. Er will blos sagen, daß die Beraubung seiner Güter und die Verbannung alle Würksamkeit für Geschäfte bey ihm unmöglich gemacht und ihn gezwungen haben, einem andern Hange zu folgen.

Seine ersten Versuche in der Dichtkunst waren die Satyren, wozu er durch das Beyspiel des Lucilius aufgemuntert worden. Es war sehr natürlich, daß ein so groß denkender Mann seinen Unwillen gegen die Thorheit und das Laster ausließ. Dieser Unwillen war seine Muse, nicht der Kützel, als ein Poet sich einen Namen zu machen. Darum machte er anfänglich gar keinen Anspruch auf den Namen eines Dichters;


–– Ego me illorum, dederim quibus esse poetas,

Excerpam numero.7


Darum gab er sich auch keine Müh als Dichter gelobt zu werden. Damals hatten die schönen Geister, wie noch itzt, ihre eigenen Methoden, sich Beyfall zu erwerben und sich rühmen zu lassen. Aber diese Schliche stuhnden ihm nicht an.


Non ego nobilium scriptorum auditor et ultor

Grammatioas ambire tribus et pulpita dignor.8


Er schrieb, weil es ihm nicht möglich war über die Thorheiten und Laster zu schweigen.


[549] –– Seu me tranquilla senectus

Expectat, seu mors atris circumvolat alis;

Dives, inops, Romae, seu fors ita jusserit, exul

Quisquis erit vitae, scribam, color.9


Noch währenden Unruhen des bürgerlichen Krieges, erlangte er die Freyheit wieder nach Rom zu kommen, kaufte sich in eine bürgerliche Decurie ein, und seine Freunde Virgilius und Varius machten ihn mit dem Mecänas bekannt. Anfangs that er sehr schüchtern, und erst neun Monate nach der ersten Bekanntschaft mit diesem Liebling des Augusts, wurd der Dichter unter die Zahl seiner Vertrauten aufgenommen.10 Dadurch wurd er auch bald dem Augustus selbst bekannt, der ihn sehr hoch schätzte.

Man kann aus hundert Stellen seiner Gedichte schließen, daß in dem Umgange, den Horaz mit Mäcenas und dem Augustus gehabt, die Unterredungen meistentheils die damals schon ungemein große Verdorbenheit der Sitten und die Thorheiten der Römer betroffen haben, und daß dieses zu mancher Satyre und Ode des Dichters Gelegenheit gegeben. Unter dem Schutz des Regenten konnte er sehr dreiste schreiben; darum wurd er sehr beißend und übertrat auch wol darin die Schranken der bürgerlichen Gesetze, deswegen er sich sehr viel Feinde machte. Weil er aber vor Verfolgung sicher war, so erwekte dieses bey ihm mehr Unwillen, als Furcht. Von Zeit zu Zeit that er heftige Ausfälle gegen die herrschenden Thorheiten und Laster der Römer und griff so wol einzele Personen, als das ganze Publicum an.

Seine Lebensart war so, wie sie sich für einen Philosophen schiket; er war ohne Ehrgeiz und vergnügt daß ihm sein Stand erlaubte für sich, von öffentlichen Geschäften und vom Hofe entfernt zu leben. Als ein wahrer Philosoph fühlte er das Vergnügen und die großen Vortheile des Privatlebens.


Nollem onus –– –– portare molestum.

Nam mihi continuo major quaerenda foret res,

Atque salutandi plures; ducendus et unus

Et comes alter, uti ne solus rusve peregre ––

Ve exirem; plures calones atque caballi

Pascendi; ducenda petorrita.11


Er empfand es, daß er in diesem Stük viel Vortheile über die Großen hatte.


–– Commodius quam tu praeclare senator

Millibus atque aliis vivo; Quantumque libido est

Incedo solus; percontor quanti olus et far.


Mit einer solchen Sinnesart konnte er freylich auf die Römer, wie von einer Höhe herunter sehen, und ihnen ihre Thorheiten mit so viel Nachdruk vorwerfen.

Ein Mann von dieser Art war dem Augustus nicht nur zum Umgang und zu philosophischen Ergötzlichkeiten wichtig, sondern er sah auch, daß er ihm zur Ausbreitung seines Ruhmes und zur Unterstützung seiner Politik große Dienste leisten konnte. Es geschah auf ausdrükliches Verlangen des Regenten, daß Horaz seine und der Seinigen Siege besang. Viele der schönsten Oden sind aller Wahrscheinlichkeit nach auf dessen Angeben gemacht worden, um den Römern die Ruhe unter seiner Regierung, bisweilen auch, um seine Veranstalltungen und Gesetze, beliebt zu machen. Im Alter scheinet der Dichter sich von dem Hofe etwas entfernt zu haben, um für sich zu leben. Er hielt sich damals meistens auf seinem sabinischen Landgut, oder in seinem tiburtinischen Lusthaus auf, lebte als ein Philosoph, und kam viel seltener an den Hof, als man ihn da zu sehen wünschte.

Alles dieses breitet ein ziemlich helles Licht über den sittlichen Charakter dieses Mannes aus. Er hatte Genie genug in der Dunkelheit eines niedrigen Standes sich die Einsichten zu erwerben, und sich zu einer Sinnesart zu bilden, die ihn den ersten Männern der Republik wichtig machten. Hätten die Vertheidiger der Freyheit gesiegt, so würde er ohne Zweifel ein ansehnlicher Mann, und eine Stütze des Staates geworden seyn. Nachdem die Bemühungen für die Erhaltung der Freyheit nicht nur völlig vergeblich worden, sondern so gar dem Staat schädlich würden gewesen seyn; verlohr er die Lust zu Geschäften, und unterwarff sich dem Schiksal. Er wurd von der herrschenden Parthey gesucht, und verbarg sich nicht vor ihr, wurd aber auch nicht ihr Schmeichler. Da er selbst für den Staat nichts mehr thun konnte, wurd er erst ein bloßer Zuschauer. Seine scharfe Beurtheilungskraft und sein richtiges Gefühl zeigten ihm den verdorbenen Charakter seiner Mitbürger in einem lebhaften Lichte. Da die patriotische Tugend nichts mehr helfen konnte, suchte er die Privattugend zu unterstützen. Es erregte seine Galle, daß die Römer, nachdem sie die politische Freyheit unwiederbringlich verlohren hatten, sich noch selbst in die sittliche Sclaverey der Leidenschaften stürzten. Er sah ein, daß auch unter der[550] neuen Regierungsform ein Mittel übrig war den Staat groß und die Bürger glüklich zu sehen, wenn sie nur selbst es seyn wollten. Ein großer Theil seiner Gedichte ziehlt dahin ab, sie davon zu überzeugen, und sie von dem völligen Verderben zu retten; sein eigenes Leben gab ihnen das Beyspiel dessen, was er von ihnen forderte. Diese große Art zu denken, mit einem sehr lebhaften poetischen Genie verbunden, machten ihn zu einem Dichter, der auf den wahren Zwek der Kunst arbeitete. Diesen moralischen Schwung kann man, wie ein scharfsinniger Engländer sehr richtig angemerkt hat, in allen Werken dieses Dichters gewahr werden, und der Verfasser der Episteln blikt selbst in den Oden hervor. Horaz ist, sagt dieser Kunstrichter12, vom ganzen Alterthum der populareste Schriftsteller, weil er an solchen Bildern reich ist, die aus dem gemeinen Leben hergenommen sind, und an solchen Anmerkungen, die die menschlichen Herzen und Geschäfte recht genau treffen. Man kann hinzuthun, und weil er fast überall den Zwek gehabt hat, nicht als ein witziger Kopf durch schöne Sachen seine Leser zu belustigen, sondern als ein das Publicum übersehender Philosoph, ihnen nützliche Sachen zu sagen.

Freylich war er auch ein witziger Kopf, der manches geschrieben, um mit seinen Freunden zu lachen. Man muß ihn aber nicht aus seinen, zum Zeitvertreib und zum Spaß geschriebenen, kleinen Liederchen, sondern aus seinen größern und ernsthaften Gedichten beurtheilen. Da sieht man überall einen Mann, der von dem, was er andern belieben will, innig durchdrungen ist, der deswegen jeden Gedanken mit der größten Lebhaftigkeit und Stärke sagt. Man fühlet überall mehr ein warmes, stark empfindendes Herz, und eine herrschende Vernunft, als eine reiche und lachende Phantasie. Darum wird er durch alle Zeiten der Lieblingsdichter ernsthafter und philosophischer Männer bleiben.

1Sat. I. 6.
2Sermon. I. 4.
3Ib.
4Ep. I. 20.
5Sat. II. 1.
6Epist. II. 2.
7Serm. I. 4.
8Epist. I. 19.
9Serm. II. 1.
10Serm. I. 6.
11Serm. I. 6.
12Der Verfasser des Versuchs über Popens Genie und Schriften
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 548-551.
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