Lehrende Rede

[684] Lehrende Rede.

Eine der drey Hauptgattungen der Rede1, bey welcher es darauf ankommt, daß gewisse Begriffe, Urtheile, oder Meinungen in dem Verstande des Zuhörers festgesezt und würksam werden. Der Philosoph könnte denselben Stoff bearbeiten, den der Redner gewählt hat; beyde würden die Absicht haben, ihre Begriffe, Urtheile oder Schlüsse, dem Zuhörer beyzubringen: aber in ihrer Art zu verfahren würde sich ein merklicher Unterschied zeigen, den wir hier näher zu betrachten haben. Der große Beyfall, den die Wolfische Philosophie mit Recht in Deutschland gefunden, hat der Beredsamkeit in Absicht auf den lehrenden Vortrag merklichen Schaden gethan; indem verschiedene Redner und Schriftsteller den genauen philosophischen Vortrag auch in die Beredsamkeit haben einführen wollen, die ihn gar nicht verträgt. Man hörte Reden, darin alles beynahe mit euklidischer Trokenheit erkläret, oder bewiesen wurd; und es gewann das Ansehen, daß die wahre Beredsamkeit in Absicht auf den lehrenden Vortrag, völlig würde verloren gehen. Seit zwanzig Jahren ist man zwar von diesem verkehrten Geschmak ziemlich zurükgekommen; indessen wird es nicht ohne Nuzen seyn, wenn wir hier den eigentlichen Unterschied zwischen dem philosophischen und rednerischen Vortrag, mit einiger Genauigkeit bestimmen.

Der Philosoph arbeitet auf deutliche Erkenntnis, und so ungezweifelte Gewißheit, daß der Geist die völlige Unmöglichkeit sich das Gegentheil der erwiesenen Säze vorzustellen, empfindet. Zu dieser Gewißheit gelanget er dadurch, daß er alle Begriffe, die in den Urtheilen zum Grunde gelegt werden, deutlich und vollständig entwikelt, und bis auf das Einfache derselben, das nur durch ein unmittelbares Gefühl gefaßt wird, herabsteiget. Auf diese Weise erkennet man zuverläßig, was wahr oder falsch ist, und damit hat der Philosoph seinen Endzwek, der auf das bloße Erkennen der Sache geht, erreicht.

Man hat vielfältig angemerkt, daß dieses bloße Erkennen, weiter nichts würket. Die wichtigsten und nüzlichsten Wahrheiten können auf das deutlichste in dem Verstande liegen, ohne aus demselben in das Gemüth herüber zu würken, um daselbst in Beweggründe zu Handlungen verwandelt zu werden. Der Philosoph richtet weiter nichts aus, als daß er, wenn wir bereits den Vorsaz haben etwas zu thun, uns lehret, wie wir es thun sollen, um die Absicht zu erreichen; er zeiget uns den geradesten richtigsten Weg, dahin zu gelangen, wohin wir zu gehen, uns schon vorher vorgesezt haben; aber weder den Vorsaz dahin zu gehen, noch die Kraft die nöthigen Schritte zu thun, können wir von ihm bekommen. Ihm haben wir blos das deutliche Sehen des Weges zu danken.

Der Redner hat andre Absichten, und muß daher sich auch andrer Mittel bedienen sie zuerreichen. Sein lezter Endzwek ist, die Begriffe und Wahrheiten nicht deutlich, oder gewiß, sondern kräftig und würksam zu machen. Er bemühet sich, denselben die höchste Klarheit, einen Glanz zu geben, der auf die Empfindung würket. Was der Philosoph bis auf die kleinesten Theile zergliedert, und stükweise betrachtet, sucht der Redner im Ganzen vorzustellen, damit alle einzele Theile zugleich würken; weil nur [684] diese Art der Kenntnis das ganze Gemüth angreift, und würksam macht.2

Der Philosoph muß seine Schritte nach der strengesten Logik abmessen; der Redner verfährt nach einer gemeineren Dialektik, oder nach der Aesthetik, welche nichts anderes, als die Logik der klaren, wie jene die Logik der deutlichen Vorstellungen ist.

Es würde viel zu weitläuftig seyn, die Methode, die der Redner zu befolgen hat, hier völlig zu entwikeln; also können wir nur die Hauptsachen davon anzeigen. Vielleicht veranlasset dieses jemanden, die Sachen weiter auszuführen.

Die Anstrengung unsrer Vorstellungskraft hat allezeit eine von diesen drey Würkungen zur Absicht; entweder einen Begriff zu fassen; oder ein Urtheil zu fällen; oder einen Schluß zu bestätigen. Der lehrende Redner thut demnach auch nichts anders, als daß er nach seiner Art diese Verrichtungen erleichtert.

Von den Begriffen. Der Philosoph zergliedert die Begriffe durch Erklärungen, die uns das, was wesentlich dazu gehört, einzeln angeben, und gleichsam vorzählen: der Redner giebt uns eine sinnliche Vorstellung davon, er mahlt uns gleichsam den Gegenstand vor, damit wir ihn anschauen können, und durch das Anschauen desselben gerührt werden, und ohne mühesames Nachdenken die Beziehung der Sache auf uns empfinden. Spricht er von bekannten Dingen, so bemühet er sich sie in dem hellesten Lichte zu zeigen, und von der Seite, die dem anschauenden Erkenntnis am meisten zu sehen giebt. Indem der Philosoph unsren Begriff von dem ersten und höchsten Wesen berichtigen, und für die Wissenschaft festsetzen will, sucht er aus allen Vorstellungen, die sein Nachdenken ihm davon gegeben hat, diejenigen aus, die die ersten sind, aus denen das übrige durch genaues Nachforschen des Verstandes sich herleiten läßt; er stellt uns das Wesen der Wesen als eine nothwendig würkende und völlig uneingeschränkte Kraft vor. Um seinen Vortrag zu begreifen, müssen wir uns beynahe von aller Sinnlichkeit losmachen, und blos den reinen Verstand in uns würksam seyn lassen. Haben wir denn seine Grundbegriffe gefaßt, und uns von der Würklichkeit derselben überzeuget, so können wir durch sehr kleine und auf das genauste abgemessene Schritte, mehrere Eigenschaften dieses Wesens, die aus den ersten Grundbegriffen nothwendig folgen, erkennen. Aber bey dieser Verrichtung müssen wir so genau auf jeden kleinesten Schritt unsrer Vorstellungskraft Achtung geben, daß wir uns selbst und unsern Zustand, und die Beziehung der Dinge auf denselben, dabey völlig aus dem Gesichte verlieren.

Der Redner sucht aus dem ganzen Umfange der uns bekannten und geläufigen Begriffe, die eine Aehnlichkeit mit dem großen Begriff, den er uns geben will, haben, diejenigen aus, die wir am schnellesten und hellesten fassen, und hilft unsrer Einbildungskraft dieselben bis auf den hohen Grad zu erheben, in welchen sie einigermaaßen tüchtig werden, uns das höchste Wesen anschauend zu erkennen zu geben. Vornehmlich sucht er die auf, die schon mit unsern Empfindungen zusammenhangen, damit auch der erhabene Begriff des unendlichen Wesens die empfindende Seele unwiederstehlich ergreife. Die Begriffe eines Vaters, der mit Zärtlichkeit und [685] Klugheit sein Haus zum besten seiner Kinder verwaltet; eines weisen Regenten, der mit einem Blik alle Theile des Regierungssystems übersieht, und darin alles anordnet, und die Würksamkeit aller Glieder des Staates unwiederstehlich, doch ohne Zwang, zum allgemeinen Besten leitet, und andre faßliche Begriffe dieser Art wählt der Redner; denn erhöhet und erweitert er den Begriff einer Familie, um den Begriff eines ganzen Staates faßlicher zu machen; diesen aber erhöhet er allmähig, aber immer durch leichte Schritte bis zum Begriff der unendlich ausgebreiteten Haushaltung des ganzen Weltsystems, dem er jenes erhabene Wesen, als den Obersten, aber blos väterliche Gewalt ausübenden Regenten vorstellt. Die einzelen Begriffe, aus deren Verbindung der Redner seinen Hauptbegriff bildet, sind Begriffe, die aus einer Menge sinnlicher Vorstellungen, die wir schnell zusammenverbinden, und auf einmal übersehen, zusammengesezt sind. Dabey weiß er solche Vorstellungen zu wählen, die mit hellen Farben der Einbildungskraft einleuchten, und von ihr noch vergrößert werden. Aus eben dem Grund ist schon sein lehrender Vortrag zugleich rührend, da schon seine eigene lebhafte Einbildungskraft sein Herz erwärmet: da hingegen der Philosoph nothwendig kalt bleiben muß; damit er auf jeden Schritt, den sein Verstand thut, genau Achtung geben könne. Am sorgfältigsten ist der Redner daß er solche sinnliche Bilder zur Erläuterung wähle, die auf das Herz eben die Beziehung haben, die er in dem Hauptbegriff entdeket hat. Also kann man mit wenig Worten sagen; daß der Redner die Begriffe, die er uns beybringen will, allemal auf ähnliche, aber uns sehr bekannte, und völlig sinnliche Begriffe zurükführe, und uns durch eben so sinnliche Erweiterung und Ausdähnung derselben allmählig helfe, jene Hauptbegriffe durch helle Bilder und Gemählde anschauend zu erkennen.

Diese rednerische Art, Begriffe richtig und zugleich lebhaft und würksam der Vorstellungskraft gleichsam einzuverleiben, sezet bey dem Redner großen Verstand, und eine höchstlebhafte Einbildungskraft voraus; er muß Philosoph und Dichter zugleich seyn. Wenn er sicher seyn will, daß die Begriffe, die er einzuprägen hat, in den Gemüthern dauerhaft bleiben, so müssen sie die strengste Untersuchung aushalten; denn gegen die Zeit hält kein Irrthum, und keine falsche Vorstellung aus.3 Erst denn, wenn er sich selbst durch die strengste philosophische Methode von der Richtigkeit seiner Begriffe versichert hat, kann er die Person des Redners annehmen, um eine sinnliche und populare Einkleidung derselben zu suchen. Auch ist er alsdenn sicher, daß ihn seine Phantasie nicht in die Irre führet.

Auf eine völlig ähnliche Weise verfährt der Redner, wenn er Urtheile zu fällen, oder Schlüsse zu machen hat; daher dieses keiner besondern Ausführung bedarf. Die Analogie, oder die Aehnlichkeit der Fälle ist überall sein Hauptaugenmerk. Nur zeiget sich hierin ein neuer Unterschied zwischen seiner und des Philosophen Art zu verfahren. Dieser därf nur einmal richtig urtheilen, oder schließen; alsdenn hat er seinen Zwek erreicht; der Redner kann sein Urtheil und seinen Schluß, weil sie allemal aus besondern ähnlichen Fällen folgen, mehrmal wiederholen; weil er mehrere ähnliche Fälle, deren jeder seine besondere sinnliche Kraft hat, wählen. Dieses giebt ihm den Vortheil, auf derselben Wahrheit zu verweilen; sie von mehrern Seiten zu zeigen, und dadurch desto unauslöschlicher zu machen. Hat er hiezu Urtheilskraft genug, so kann er aus den gemeinesten Vorstellungen seiner Zuhörer eine Anzahl solcher aussuchen, die ihnen am öftersten wieder zu Sinne kommen, und dadurch hänget er die Wahrheiten, die er vorträgt, an eine Menge gemeiner Vorstellungen, die beynahe täglich sich in uns erneuern, und eben dadurch auch das Gefühl, der damit durch den Redner verbundenen Wahrheiten, wieder erweken. Hiebey aber hat er wol zu überlegen, was für eine Art Menschen er zu Zuhörern hat. Sind es gemeine Menschen, so kann er die ähnlichen Fälle und Beyspiele mehr anhäufen, und sich länger dabey verweilen, als wenn er stärkere Denker vor sich hat. Zum Beyspiel einer gemeinen lehrenden Rede, kann die angeführt werden, welche die Tugend dem Herkules hält, die Xenophon aus dem Prodicus uns aufbehalten hat. Eigentlich ist ein Volk erst denn völlig unterrichtet, wenn ihm die nothwendigsten Grundbegriffe und Grundwahrheiten, die einen unmittelbaren Einflus auf sein Betragen haben sollen, so geläufig und so einleuchtend sind, daß jeder sich derselben beynahe stündlich erinnert. Dieses aber kann nur dadurch erhalten werden, daß jene Grundbegriffe durch Aehnlichkeit an alle täglich vorkommende sinnliche Begriffe angehänget werden; und daß auf diese Art unsere tägliche [686] Bemerkungen gemeiner Dinge uns durch eine geläufige Analogie auf jene Grundwahrheiten führen.

Auf diese Weise müssen die wichtigsten Kenntnisse, die der Philosoph an den Tag gebracht hat, durch den lehrenden Vortrag des Redners allgemein ausgebreitet und zum Gebrauch würksam gemacht werden. Und hier öfnet sich für einen philosophischen Redner ein weites Feld zu einer sehr reichen Aerndte von Verdienst. Nach so unzähligen Wochenschriften, Predigten und andern politischen und moralischen Abhandlungen in dem lehrenden Vortrag der Redner, findet sich eine beträchtliche Anzahl der wichtigsten Begriffe und Grundwahrheiten, die noch gar nicht in dem hellen Lichte stehen, in welchem jeder Mensch sie sehen sollte. Eigentlich ist diese Materie nie zu erschöpfen, weil es immer möglich ist die Sachen durch neue Bilder und neue Aehnlichkeiten noch heller und stärker vorzustellen. Es ist möglich, wenn Geschmak und Kenntnis unter einem Volk einmal auf einen gewissen nicht unbeträchtlichen Grad gekommen sind, auch die schweeresten und verwikeltesten Begriffe sehr leicht und popular zu machen. Viele sehr gemeine aber höchstwichtige Begriffe, haben einer solchen Bearbeitung noch nöthig. Die Begriffe von bürgerlicher Gesellschaft, von Gesez, von Obrigkeit, von Regent und Unterthan, von Magistratswürde und Bürger, und viele andre sind von der höchsten Wichtigkeit; sie haben so gar, da die Sachen selbst, die dadurch ausgedrükt werden, so unmittelbar mit der Glükseeligkeit des Menschen verbunden sind, etwas Erhabenes. Aber ich getraue mir zu sagen, daß kein Volk in der Welt ist, unter dem sie in ihrer Hoheit und zugleich in wahrer Faßlichkeit, auch nur dem hundertsten Theil der Nation geläufig wären.

Noch sind über die lehrende Rede einige allgemeine Anmerkungen zu machen, die wir hier nicht übergehen können. Die sinnlichen Vorstellungen müssen denen, für die der Redner arbeitet, schlechterdings sehr bekannt und geläufig seyn, damit sie schnell sich über die ganze Vorstellungskraft ausbreiten. Sie müssen also von gemeinen Gegenständen hergenommen werden; und doch müssen sie eine nicht gemeine Aufmerksamkeit erweken. Dieses ist ein schwerer Punkt, der einen Redner von Genie erfodert, der dem völlig bekannten den Reiz des Neuen zu geben, und das alltägliche als merkwürdig vorzustellen wisse. Wer sich nicht sehr weit über die gemeine Art zu denken erhoben hat, wird hierin nicht glüklich seyn. In den gemeinesten Kenntnissen der Menschen, so wie in den gemeinesten Künsten und Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft kommen unzählige Dinge vor, die groß und zum Theil bewundrungswürdig sind, und nur deswegen unter der Menge unsrer Vorstellung unbemerkt liegen bleiben, weil man ihrer gewohnt ist. Nur der, welcher auf die ersten Gründe der Dinge zurükegehen kann, sieht sie in ihrer Größe. Ein solcher Mann muß der Redner seyn, dessen lehrender Vortrag einfach, allgemein verständlich und doch von großer Kraft seyn soll.

Auch ist dieses ein Hauptkunststük des lehrenden Vortrages, daß man die wichtigsten Vorstellungen der Einbildungskraft unvermerkt an die Empfindungen hänge, um sie desto lebhafter zu machen. Eigentlich hängt alles, was in der Speculation wichtig ist, irgendwo mit den Empfindungen zusammen. Denn es ist nichts groß, das nicht einen Einflus auf das Beste der Menschen habe; und so bald man diese Seite gesehen hat, so wird bey einem redlichen Mann die Empfindung bald rege. Ich habe es schon anderswo erinnert, daß mehr Wahrheit, als man insgemein denkt, in der Erklärung der Alten liege, daß der Redner ein beredter und dabey redlicher Mann seyn müsse.4 In dem lehrenden Vortrag ist es beynahe unmöglich die volle Kraft der Beredsamkeit zu erreichen, wo nicht das Herz des Redners von Eyfer für das Wolseyn der Menschen warm ist. Denn nur in diesem Falle nehmen alle seine Vorstellungen etwas von dem leidenschaftlichen Ton an, der sie so eindringend macht: hauptsächlich deswegen ist Rousseau einer der beredtesten Menschen, die jemals in der Welt bekannt worden. Auf diese große Kraft, die das Leidenschaftliche dem lehrenden Vortrag giebet, ziehlt Bodmer in der schönen Stelle, wo er die Debora erzählen läßt, wie ihre Mutter sie und ihre Schwestern über die wichtigsten Wahrheiten unterrichtet habe.


Noch durchfließt mich ein heiliger Schauer, so oft ich gedenke,

Wie mit Entzükungen ringend, von göttlichen Flammen ergriffen,

Sie uns die Bothschaft sagte, ––

Daß wir erschaffen wären, daß uns ein Ewiger machte;

Einer vor dessen Geist die noch nicht gewordene Schöpfung


[687] Und das verschiedne Verhältnis der Dinge zugegen gewesen,

Als sie noch künftig waren.5


Hat der Redner wichtige Wahrheiten vorzutragen, so thut das Gefühl seiner eigenen Ueberzeugung, wenn er es seinen Zuhörern kann empfinden machen, beynahe so viel, als der offenbareste Beweis. Selbst starke Denker getrauen sich kaum an Sachen zu zweifeln, von denen sie andere, auch denkende Köpfe, innig überzeuget sehen; gemeine Menschen aber unterstehen sich dieses gar nicht. Kommen also noch innere faßliche Gründe dazu, so kann der Redner gewiß seyn, seinen Zuhörer völlig überzeuget zu haben.

Sehr wichtig ist auch dieses für den Redner, daß er die schon einmal festgesetzten und dem Ansehen nach unveränderlichen Meinungen seiner Zuhörer genau kenne. Dieses giebt ihm ofte den Vortheil, daß er anstatt eine Wahrheit gerade zu beweisen, nur zeigen darf, daß sie, als ein besonderer Fall in dem schon festgesezten Urtheil enthalten sey.

Ueber die Form und die Anordnung der lehrenden Rede haben wir wenig zu sagen. Im Grunde beobachtet der Redner eben die Methode, welche die Logik dem Philosophen vorschreibt. Eine Rede, darin eine Wahrheit soll erwiesen werden, muß allemal auf einen Vernunftschluß können gebracht werden: folglich besteht sie aus drey Haupttheilen; den sogenannten beyden Vordersäzen, worauf der dritte Theil, nämlich der Schluß folget. Der Redner muß sich seine ganze Rede anfänglich in Form eines richtigen Vernunftschlusses, oder Syllogismus vorstellen. Hat er sich von der Richtigkeit und Gründlichkeit desselben überzeuget; so fängt er nun an den Plan zum Vortrag und zur Ausführung jedes der drey Säze seines Vernunftschlußes zu denken. Dieses bestimmt die drey Haupttheile seiner Rede.

Bisweilen hält er für nöthig, jeden der beyden Vordersäze, nachdem er vorgetragen worden, durch besondere Ausführung zu bestätigen. Alsdenn entstehen fünf Haupttheile seiner Rede, wie schon anderswo angemerkt worden.6

1S. Rede.
2Es ist hier der Ort nicht dieses genau auszuführen. Wer nicht den Unterschied zwischen der deutlichen und klaren Vorstellung, wie unsre Philosophen ihn entwikelt haben, hier vor Augen hat, kann das Theoretische dieses Artikels nicht fassen. Die deutliche Erkenntnis läßt uns in jedem Gegenstande die wahren Elemente, woraus er besteht, sehen; die blos klare verwandelt den Gegenstand in ein Phänomen, in eine sinnliche Erscheinung, und würkt deswegen auf die Empfindung. Die Theorie dieser Sache ist schweer und mit wenig Worten nicht faßlich zu machen. Ein sinnliches Beyspiel kann einiges Licht geben. Wenn man einem Menschen eine große Summe Geldes einzeln, thalerweise schenkt, einen Thaler nach dem andern, so wird er nicht das dabey empfinden, was er empfinden würde, wenn er die ganze Summe auf einmal bekäme. Jene Art hat eine Aehnlichkeit mit der deutlichen Erkenntnis, diese mit der klaren. Schon hieraus läßt sich einigermaasen begreifen, warum die klare Kenntnis würksamer ist, als die deutliche. In dieser hat der Geist, da er auf einmal nur Eines zu fassen hat, keine Anstrengung nöthig; in jener muß er sich gleichsam zusammen raffen, weil ihm viel auf einmal vorkommt. Dieses Zusammenraffen erwekt in ihm das Gefühl seiner Würksamkeit, und macht, daß er nicht nur an den Gegenstand, sondern auch an sich selbst, und an seinen innern Zustand denkt. Dadurch wird er fähig von dem Gegenstand angenehm, oder unangenehm gerührt zu werden. Hierin liegt der Uebergang von dem Erkennen zum Wollen.
3Opinienum commenta delet dies naturæ judica confirmat. Cicero.
4Vir bonus dicendi peritus.
5S. Noachide IV Ges.
6S. Beweisarten. S. 162.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 684-688.
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