[709] Lichter. (Redende Künste)
Cicero nennt1 die einzeln Gedanken oder Stellen der Rede, welche besonders hervorstechen, orationis lumina, Lichter der Rede, die das zu seyn scheinen, was die griechischen Rhetoren χηματα nennen. Es sind also einzele Gedanken, die durch irgend eine Art der Kraft uns stärker rühren, als das übrige der Stelle, welcher sie einverleibet werden: sie treten aus dem Ton des übrigen heraus, verursachen plözlich einen stärkern Eindruk, und unterbrechen die Einförmigkeit der Würkung der Rede; wie wenn in einem sanften und gelassenen Ton der Rede auf einmal etwas heftiges, oder in einem heftigen Ton etwas sehr sanftes und zärtliches vorkommt; oder wenn unter Vorstellungen, die blos den Verstand erleuchten sollen, auf einmal das Herz in Empfindung gesezt wird. Ueberhaupt also können alle Stellen in der Rede, wodurch die Aufmerksamkeit auf Vorstellungen oder Empfindungen einen ausserordentlichen Reiz bekommt, hieher gerechnet werden; sehr kräftige Denksprüche, Machtsprüche, Bilder, Metaphern und Figuren von großem hervorstechendem Nachdruk.
Dergleichen Lichter sind in jeder gebundenen oder ungebundenen Rede um so viel nothwendiger; weil die Einförmigkeit der Würkung, ob diese gleich an sich noch so stark ist, doch allmählig in eine der Aufmerksamkeit schädliche Zerstreuung sezt. Selbst das Brausen eines starken Wasserfalles, das uns anfänglich beynahe betäubet, wird wegen seiner Einförmigkeit in die Länge fast unmerkbar. Darum muß in den Werken der schönen Künste, die wir nach und nach vernehmen, von Zeit zu Zeit etwas vorkommen, wodurch die Aufmerksamkeit aufs neue gereizt wird. Man findet beym Quintilian in den zwey ersten Abschnitten des IX Buches fast alles beysammen, was hierüber kann gesagt werden.
In der Musik ist dieses eben so nöthig, als in der Rede. Da kann eine plözliche etwas ungewöhnliche Ausweichung, oder Versezung, oder irgend eine andre unvermuthete Wendung des Gesanges, oder der Harmonie, dasselbe bewürken.
1 | S. Brut. c. 79. Orat. c. 25. |
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