Vortrag (Redende Künste)

[1242] Vortrag. (Redende Künste)

Ist der Ausdruk der Rede durch Stimm und Gebehrde, oder das Vernehmliche der Rede, das nicht in dem Sinn der Worte, sondern in dem Ton, in den Gebehrden und in dem Gesichte des Redners liegt. Dieses ist die Erklärung, die Cicero von dem Wort Actio giebt1. Jedermann weiß aus der täglichen Erfahrung, daß dieselben Gedanken, derselbe Sinn der Worte durch die Verschiedenheit des Vortrages, ganz verschiedenen Eindruk machen: daß folglich der Vortrag ein wichtiger Theil der Beredsamkeit sey. Es verdienet aber hier besonders angemerkt zu werden, daß die zwey größten Redner des Alterthums, Demosthenes und Cicero, ihn für den allerwichtigsten gehalten. »Der Vortrag, sagt Cicero, ist das, was in der Rede die größte Kraft hat. Ohne ihn kann der größte Redner nichts ausrichten; aber ein mittelmäßiger, der ihn in seiner Gewalt hat, kann dadurch öfters die größten übertreffen. Man sagt, daß Demosthenes, als er gefragt wurd, was das Wichtigste in der Kunst zu reden sey, dem Vortrag die erste, und auch die zweyte und dritte Stelle eingeräumt habe.«2

Darum verdienet die Betrachtung des guten Vortrages in der Theorie der redenden Künste, eine besonders genaue Ausführung. Aber die Sach ist fast unüberwindlichen Schwierigkeiten unterworfen. Man müßte beynahe die ganze Theorie der Musik und der Pantomime deutlich vor Augen haben, um alles, was zum Vortrag der Rede gehört, anzeigen und bestimmen zu können. Man müßte zeigen können, wie eine Folge von Tönen, auch ohne den Sinn der Worte, das Gehör angenehm zu unterhalten und das Herz kräftig zu rühren vermögend sey; und wie es zugehe, daß ein Mensch, ohne zu sprechen, durch Stellung, Gebehrde und Mine, verständlich und herzrührend sprechen könne. Daß beydes täglich geschehe, wissen wir aus der Erfahrung; aber deutlich zu zeigen, wie es geschehe, und jede Kraft, die in dem Hörbaren der Rede und in dem Sichtbaren des Redners liegt, genau zu bestimmen und psychologisch zu erklären, wär ein Unternehmen, dem zur Zeit kein Philosoph gewachsen ist. Denn wenn er auch alles, was er durch den Vortrag fühlet, genau unterscheiden, und den Grund jeder besondern Würkung einsehen könnte; so fehlten ihm die Worte, das, was er erkannt und fühlt, auszudrüken. Wer wird z.B. um von hunderten nur einen besondern Fall anzuführen, mit Worten beschreiben können, in welchem Tone man das Wort Gott aussprechen müsse, wenn es ein Ausrufungswort, des Schrekens, oder der anbetenden Bewundrung, oder der geduldigen Unterwerfung, seyn, und die Kraft haben soll, eine dieser Empfindungen fühlen zu lassen?

Wenn also der Vortrag der wichtigste Punkt in der Beredsamkeit ist, so ist er gewiß auch der schweerste in der Theorie der Kunst abgehandelt zu werden.

Es scheinet, daß die Griechen eine besondere Kunst daraus gemacht haben, die Werke der Dichter (vielleicht auch der Redner) geschikt vorzutragen; so wie man gegenwärtig in der Musik Künstler hat, die selbst keine Tonstüke sezen, sondern blos fremde Werke vortragen. Dieser Kunst gedenken einige Alten unter dem Namen Rhapsodia; und wie gegenwärtig die Instrumentisten sich in Gesellschaften hören lassen, so ließen sich in Athen die Rhapsodisten hören. Es gab solche, die sich blos auf den Vortrag eines einzigen Dichters einschränkten; weil sie glaubten, daß die Kunst zu schweer sey, als daß ein Mensch sie in allen ihren Zweygen besizen könnte. Ich besinne mich in einem der Werke des Aristoteles gelesen zu haben, daß ein Rhapsodist besonderes über den Vortrag der Werke von kläglichem Inhalt, geschrieben habe. Plato hält dafür, daß der Einfluß des Himmels, oder die Begeisterung dem Rhapsodisten eben so nöthig sey, als dem Dichter3, und es läßt sich aus einer Stelle des Euripides schließen, daß zu seiner Zeit die Kunst des Vortrages zu einem hohen Grad der Vollkommenheit gestiegen sey: wenigstens vermuthe ich, daß folgende Worte, die [1242] der Dichter der Hekuba in den Mund legt, die Schilderung irgend eines Rhapsodisten derselben Zeit seyn sollten: »o! daß ich durch die Kunst des Dädalus, oder den Beystand irgend einer Gottheit den Ton der Stimme in den Armen und Händen, oder in den Haaren und in den Füßen hätte«4!

Wir können hier nicht viel mehr thun, als daß wir einen Entwurf machen, nach welchem die wichtige Lehre vom Vortrage, abzuhandeln wäre.

Zum Vortrag gehören zwey sehr verschiedene Dinge, das Hörbare der Rede, und das Sichtbare an dem Redenden. Jenes wird insgemein unter dem Namen der Deklamation, dieses unter dem Wort Action begriffen.

Die vollkommene Deklamation muß drey Haupteigenschaften haben: Deutlichkeit, Wolklang, und einen dem Inhalt gemäßen Ausdruk. Wir haben über jede dieser Eigenschaften verschiedenes anzumerken:

1. Die Deutlichkeit des Vortrages erfodert erstlich eine helle und volltönende Stimme, die zwar größtentheils von dem Bau der Werkzeuge der Sprach abhängt, aber durch fleißige Uebung zu größerer Vollkommenheit kann gebracht werden. Zweytens eine gute Aussprach der Buchstaben, Sylben und Wörter, die durch fleißiges Ueben ebenfalls zu erhalten ist. Wir empfehlen denen, die sich in diesen beyden Stüken üben wollen, das, was Plutarchus in dem Leben des Demosthenes von den Uebungen dieses großen Redners, seine Stimm und Aussprache zu verbessern, anführet, mit Ueberlegung nachzulesen. Den Lehrern und Vorstehern der Schule aber, ist die tägliche Uebung der Jugend, zur Verstärkung der Stimme und zur deutlichen Aussprach auf das nachdrüklichste zu empfehlen.

Drittens wird zur Deutlichkeit des Vortrages erfodert, daß die Worte eines Sazes, und die einzeln Redesäze einer Periode in einem unzertrennlichen Zusammenhang vorgetragen werden, so daß der, der auch den Sinn der Worte nicht verstunde, die Eintheilung der Rede in kleinere Glieder und größere Perioden vernehmen könnte. Dieses hängt von dem Gang, oder der Bewegung der Rede, von der genauen Beobachtung der oratorischen Accente, der größern und kleinern Ruhepunkte und der Clauseln oder verschiedenen Cadenzen ab. Nur die Worte fallen als ein unzertrennlicher Redesaz ins Gehör, die in einer genau zusammenhangenden und nirgend unterbrochenen Bewegung, als Glieder einer Kette in einander geflochten sind, so daß das Gehör bey jedem Worte noch etwas folgendes erwartet, bis endlich ein Ton vorkommt, der es etwas beruhiget und ihm einige Verweilung verstattet. Ohne große Weitläuftigkeit und eine völlige Entwiklung der mechanischen Beschaffenheit des Gesanges, ist es nicht möglich diesen Punkt des deutlichen Vortrages gehörig zu erläutern. Wer aber aus der Musik weiß, wie es zugeht, daß auch Unerfahrne fühlen, welche Töne zusammen einen Takt und welche Takte ein rhythmisches Glied ausmachen; der wird auch begreifen, wie mehrere Wörter blos durch den Ton, ohne Rüksicht auf die Bedeutung, als ein Saz der Rede ins Gehör fallen. Man muß wissen die Töne so zusammen zu hängen, daß man bey keinem stille stehen kann, sondern etwas nothwendig folgendes dabey empfindet, bis man auf eine gewisse Stelle gekommen, die einen grössern oder kleinern Ruhepunkt verstattet. Da dieses in dem Gesang weit deutlicher zu bemerken ist, als in der Rede, so könnte der Tonsezer diesen Punkt des deutlichen Vortrages den Redner am besten erklären. Deswegen sezten auch die Griechen mit Recht die Musik unter die Wissenschaften, darin der künftige Redner wol sollte geübet werden5. Wer das, was wir über den Takt und Rhythmus gesagt haben, wohl überlegt, wird einsehen, worauf es in Ansehung dieses Punkts ankomme.

Endlich gehört auch ein richtiges Maaß des Geschwinden und Langsamen zur Deutlichkeit des Vortrages. Zu schnelles Reden macht einzele Sylben und Wörter undeutlich, zu langsames aber, macht die Eintheilung in Worte und Säze unvernehmlich. Wer uns die Sylben langsam einzeln vorzählt, sagt uns keine Worte, sondern blos Sylben, so wie der, der buchstabiret; und die so langsame Aufzählung einzeler Worte, macht keine Redesäze, sondern blos unzusammenhangende Worte.

Von den Accenten und der Bewegung hängt eigentlich das Rhythmische der Rede ab. In den Tonstücken läßt sich die Deutlichkeit, oder Faßlichkeit des Rhythmischen am leichtesten bemerken. Also könnte niemand besser und gründlicher über diesen Punkt des Vortrages schreiben, als ein Tonsezer. Ich halte dafür, daß es wol möglich wäre durch die Art der Notirung, die wir zur Bezeichnung des Rhythmus gebraucht haben6, die Deklamation [1243] jeder Periode, wie die größte Deutlichkeit des Vortrages es erfodert, anzudeuten; und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Alten sich bisweilen einer solchen Notirung bedient haben. Etwas von dieser Bezeichnung ist durch den Gebrauch der kleinern und größern Unterscheidungszeichen der Ruhepunkte bereits eingeführet; aber die Zeichen, deren wir uns bedienen, reichen bey weitem nicht hin, die Mannigfaltigkeit der Ruhepunkte bestimmt auszudrüken.

Wenn wir dieser Punkte blos Erwähnung thun, ohne sie weiter auszuführen, so geschiehet es deswegen; weil es schon nüzlich ist, dem Redner die verschiedenen Dinge, denen er zum Vortrag nachzudenken hat, anzuzeigen, da denn sein eigenes Nachdenken ihm das Nähere an die Hand geben wird. Ohne unendliche Weitläuftigkeit wär es nicht möglich die Sachen auszuführen. Wir müssen hier mit Quintilian sagen: Hæc quam brevissime potui, non ut omnia dicerem sectatus, quod infinitum erat; sed ut maxime necessaria.

Die Deutlichkeit des Vortrages überhebt den Zuhörer alles Bestrebens die Rede richtig zu vernehmen und verstattet ihm die Muße, die volle Kraft derselben desto stärker zu empfinden, und in so fern ist die Deutlichkeit eine ästhetische Eigenschaft der Rede.

2. Die zweyte Haupteigenschaft der Deklamation ist der Wolklang. Dieser hängt nun erstlich wieder von dem Klang der Stimm überhaupt ab. Ein Mensch hat vor dem andern einen angenehmen Ton der Stimme; worin er bestehe, läßt sich leichte fühlen, aber unmöglich beschreiben. Also haben wir über diesen Punkt nichts anderes anzumerken, als daß wir dem künftigen Redner empfehlen, sich die äußerste Mühe zu geben, die Fehler seiner Stimme zu verbessern, oder ihm rathen, wenn er es durch keine Bemühung dazu bringen kann, seine Stimm angenehm zu machen, nie öffentlich aufzutreten. Denn wenn er auch die fürtrefflichsten Sachen sagte, so würde eine unangenehme Stimme jedermann abschreken ihn zu hören. Wir müssen den Sangmeistern überlassen, die Mittel anzuzeigen, wodurch die Stimm Annehmlichkeit bekömmt.

Aber der Wolklang hängt nicht blos von der Annehmlichkeit der Stimm ab, auch die Aussprach muß angenehm seyn. Hiezu wird erfodert, daß die Mitlauter oder die so genannten stummen Buchstaben leicht und flüchtig, die Selbstlauter aber hell und nachdrüklich, doch ohne Schleppen und ohne Verdrähen ausgesprochen werden. Die Rede wird ungemein rauh und hart, wenn man sich auf den stummen Buchstaben verweilet und ihnen zu viel Deutlichkeit giebt. Wer die Wörter: Grundsaz; Nehmen u. dgl. ausspricht, als ob sie wie Gr - r - un - n - dßatss; N - n - ehm -men - n, geschrieben wären, wird mit der schönsten Stimme sehr unangenehm sprechen. Auch ist das Schleppen, oder zu lange Ziehen der wolklingensten Selbstlauter, um so viel mehr der weniger wolklingenden, zu vermeiden. Man höret bisweilen die Wörter: Und, Grund u. dgl. so aussprechen, daß das U darin lang und geschleppt wird, wie in dem Worte Huhn. Auch das Verdrähen der Vocalen, als ob sie Doppellaute vorstellten, ist einer der größten Fehler, gegen den Wolklang der Aussprach. Man höret bisweilen Hand aussprechen, als ob es wie Ha - and geschrieben wäre.

Ferner gehört zur guten Aussprach ein angemessener Grad der Flüchtigkeit, oder Schnelligkeit und einige Mannigfaltigkeit der Accente, wodurch die zu einem Worte gehörigen Sylben ihren Zusammenhang bekommen, daß sie als ein Wort und nicht als einzele Sylben vernommen werden. Alle Annehmlichkeit der Rede fällt weg, wenn die Sylben und Worte gleichtönend, oder monotonisch sind, und wenn nicht eine gefällige Abwechslung des Hohen und Tiefen, des Nachdrüklichen und Leichten, des Langen und Kurzen in der Folge der Sylben und der Worte beobachtet wird. Aber diese Abwechslung muß flüchtig und leicht bewerkstelliget werden. Der schönste Vers verliehret, durch langsames Scandiren, alles Angenehme des Klanges.

Eben dieses ist auch von den einzelen Redesäzen, woraus die Perioden bestehen, zu merken. Daß einige Säze leichter und schneller, andere etwas schweerer und langsamer, einige mit steigender, andere mit fallender Stimm, einige mit kaum merklichen, andere mit mehr fühlbaren Clauseln, oder Abfällen ausgesprochen werden, giebt der Rede eine Art von Melodie, wodurch sie sehr angenehm werden kann. Bey der Unmöglichkeit alles, was hiezu erfodert wird, durch deutliche Beyspiehle zu zeigen, können wir nichts weiter thun, als dem künftigen Redner eine tägliche Uebung der wolklingenden Deklamation zu empfehlen. Er nehme zu solchen Uebungen einige von guten Rednern geschriebene [1244] wolklingende Perioden vor sich, versuche jede davon auf mehr, als einerley Art herzusagen, und bemerke bey jeder Veränderung die Verschiedenheit der Würkung auf dem Wolklang. Noch besser wär es, wenn er diese verschiedentlich abgeänderte Deklamation einer Periode durch andere vornehmen ließe, und durch aufmerksames Anhören den Grad des Wolklanges bey jeder Wiederholung zu empfinden suchte.

3. Die dritte Eigenschaft der vollkommenen Deklamation ist der gute Ausdruk, oder die Uebereinstimmung des Klanges der Rede mit ihrem Inhalt. Die Musik beweiset daß jede Leidenschaft und jede besondere sowol ruhige, als unruhige Lage des Gemüthes durch Ton und Bewegung könne geschildert werden, und man höret auch täglich, daß in dem Ton der gemeinen Rede in gar viel Fällen mehr Kraft liegt, als in dem Sinn der Worte. Man stelle sich vor, daß folgende Worte in dem wahren Ton der tiefsten Wehmuth ausgesprochen werden:


–– Wehe! Wehe!

Nicht Ketten, Bande nicht, ich sehe

Gespizte Keile!


So wird man begreifen, daß der, der den Sinn der Worte nicht verstünde, dennoch durch den bloßen Schall weit schmerzhafter würde gerührt werden, als der, der ohne Ton den Sinn der Worte vernähme. Die Worte Wehe! Wehe! bedeuten nichts, als daß sie uns schlechtweg anzeigen, der Mensch, der sie spricht, leide; aber der Ton macht, daß wir fein Leiden würklich empfinden.

Der Redner also, der den Vortrag völlig in seiner Gewalt hat, kann uns durch Ton und Bewegung der Stimme in jede Gemüthsfassung sezen; er kann uns ruhig und gelassen, zum Nachdenken aufmerksam, munter und fröhlich, zärtlich, traurig, unruhig, verzagt, herzhaft oder ängstlich machen. Stimmt also diese in Ton und Bewegung liegende Kraft mit dem Sinn der Worte genau überein, so bekommt die Rede selbst eine unwiderstehliche Kraft. In der Beredsamkeit ist also nichts wichtiger, als die Kunst, die Kraft der Rede durch den Vortrag zu unterstüzen. Dieser besondere Theil der Deklamation kann aber so wenig, als die andern durch Worte gelehret werden. Alles was man hiebey thun kann, und was in der That von großem Nuzen ist, besteht darin, daß der Redner auf das besondere, was zu diesem Ausdruk gehöret, aufmerksam gemacht werde.

Zuerst kommt also der Ton der Stimme selbst in Betrachtung. Ein einzeler unartikulirter Laut kann fröhlich, oder traurig, heftig, oder sanft und gelassen klingen. Er bekommt seine ästhetische Kraft theils von dem Grad der Stärke, von der Langsamkeit und Schnelligkeit, von dem Nachdruk oder der Flüchtigkeit, womit er ausgesprochen wird, theils von dem Ziehen, oder Stoßen, oder Anschwellen, oder andern Arten seiner Erzeugung; theils von dem Ort, wo er gebildet wird, oder wo er zu entstehen scheinet, da er bald tief aus der Brust, bald aus der Kehle zu kommen, bald nur in dem Munde, oder gar nur auf den Lippen selbst gebildet zu seyn scheinet. Es ist völlig unmöglich alle Verschiedenheiten, die der Ton einer einzigen Sylbe annehmen kann, und jeden Ausdruk, den diese Verschiedenheiten ihm geben, zu beschreiben. Dieses kann nur empfunden werden. Aber es ist für den Redner wichtig, daß er sich im genauen Beobachten und Empfinden dieser Verschiedenheiten fleißig übe. Die vorher angeführten Worte des Klagens können so ausgesprochen werden, daß sie blos zärtliche und gleichsam schmachtende Traurigkeit ausdrüken. Dies würde geschehen, wenn man die Worte: Wehe! Wehe! aus der Kehle sanft und gelassen, langsam und mit einer allmähligen Wendung oder Inflexion des Tones auf der ersten Sylbe jedes Worts ausspräche. Tiefere Wehmuth würden sie ausdrüken, wenn der Ton auf der ersten Sylbe tief aus der Brust, mit einem dumpfigen Ton, allmählig etwas verstärkt und sich in der zweyten Sylbe verliehrend, ausgesprochen würde. Schrekhaft würden sie klingen, wenn sie mit lautem, offenen Schreyen, einem hellen Ton, schnell hinter einander, als wenn man um Hülfe rufte, vorgebracht würden. Es ist aber unendlich viel leichter mit der Stimme solche Veränderungen des Vortrages vorzunehmen, und ihre verschiedene Würkung zu beobachten, als sie zu beschreiben. Also müssen wir uns begnügen, nur dieses einzige Beyspiehl angezeiget zu haben; daß übrige muß dem eigenen Fleiß des angehenden Redners überlassen werden. Weil es hier blos auf Erfahrung ankommt, so muß er sich angelegen seyn lassen, jede Gelegenheit, wo er Menschen die in Leidenschaft gesezt sind, sprechen höret, sich zu Nuze zu machen, um seine Beobachtungen [1245] zu vermehren. Dadurch wird er fühlen lernen, wodurch ein Ton fröhlich, zärtlich, schmeichelnd, kriechend, demüthig, oder traurig, kläglich, scheltend, zornig, streng, wodurch er flüchtig, gleichgültig, ernsthaft, feyerlich wird. Denn es ist außer Zweifel, daß blos der Ton der Red alle diese Eigenschaften annehmen könne.

Nach dem Ton, seiner Bildung und Stimmung, kommt die Bewegung der Stimme zum Ausdruk in Betrachtung. Die Tonsezer unterscheiden nicht nur die verschiedenen Grade des geschwinden und langsamen in der Bewegung, durch ihre Kunstwörter Allegro, Andante, Largo u. d. gl. sondern auch noch den besondern leidenschaftlichen Charakter, den sie durch die Worte Vivace, Moderato, Grave, Gratioso, con Tenerezza und dergleichen Ausdrüken. Die Tanzmelodien beweisen, daß die Bewegung allein ungemein viel zum Ausdruk der besondern Arten der Empfindung beytrage. Da sie insgemein ohne Worte nur durch Instrumente vorgetragen werden, so müßten die Tonsezer nothwendig alle mögliche Veränderungen des Ausdruks, der aus der Art der Bewegung entstehet, in ihrer Gewalt haben, da Redner und Dichter sich zum Theil auch auf den Sinn der Worte verlassen können. Deswegen kann der Redner nur in der Schule der Musik alles lernen, was er über die Bewegung der Stimme zu beobachten hat. So kläglich die vorher angeführte Stelle aus der bekannten Ramlerischen Cantate dem Sinne nach ist, wird sie jeder Tonsezer in einer solchen Bewegung, und Taktart sezen können, die des kläglichen Sinnes ungeachtet, Gleichgültigkeit, oder gar Leichtsinn ausdrükt.

Es ist um so viel wichtiger die wahre Bewegung für jeden Ausdruk zu treffen; da sie die leidenschaftliche Bildung der einzelen Töne, wovon vorher gesprochen worden, entweder erleichtert, auch wol an die Hand giebt, oder gar unmöglich macht. Denn wo irgend eine Sylbe nach Art der Bewegung auf eine schlechte Taktzeit fällt, so ist es nicht möglich ihr einen leidenschaftlichen Nachdruk zu geben, weil die Bewegung ein leichtes Anschlagen derselben erfodert. Dem Redner ist also zur kräftigen Deklamation eine genaue Kenntnis von den Eigenschaften und Würkungen des Rhythmus unumgänglich nothwendig. Er muß für jede Periode der Rede, nach dem in dem Sinne liegenden Ausdruk, den schiklichsten Rhythmus zu wählen wissen, sonst ist es nicht möglich, daß er überall die wahre Deklamation treffe. Da die Theorie des Rhythmus selbst noch so wenig bearbeitet ist, so kann man auch dem Redner keine bestimmte Regeln über die besondern Fälle der Deklamation geben. Wer indessen zu wissen verlanget, was etwa hierüber von den besten Lehrern der Redner gesagt worden, den verweisen wir auf das dritte Capitel des XI Buchs der Institution des Quintilians.

Jede Leidenschaft und überhaupt jede besondere Gemüthslage hat nicht nur ihre eigene Art, sondern in dieser Art auch ihren Grad der Würksamkeit, und beydes kann durch rhythmische Bewegung ausgedrükt, oder geschildert werden. Das ruhige, gelassene, sanfte, zärtliche, das lebhafte, heftige, stürmische und mehr dergleichen Eigenschaften, unsrer innern Würksamkeit, können durch rhythmische Bewegung fühlbar gemacht werden; dieses ist durch der Musik völlig außer Zweifel gesezt. Also muß der Redner, so genau, als ihm möglich ist, diese Uebereinstimmung zwischen der rhythmischen Bewegung der Töne, und den Gemüthsbewegungen, sorgfältig bemerken. Dieses ist der Weg, auf dem er zum wahren Ausdruk der Deklamation kommen kann. Denn kommt es in jedem besondern Fall noch darauf an, daß er sich befleiße, die wahre Gemüthslage, in welcher jede Periode der Rede muß vorgetragen werden, genau zu treffen, und daß er Empfindsamkeit genug habe, sich in dieselbe zu sezen. Hat er diesen Punkt gewonnen, so wird er auch Ton und Bewegung treffen; die Kunst aber, oder die genauere Kenntnis der Beschaffenheit der rhythmischen Charaktere, wird das, was die Empfindung ihm bereits an die Hand gegeben hat, noch vollkommener machen. So viel sey von dem ersten Punkt des Vortrages; der Declamation gesagt.

Soll der Vortrag ganz vollkommen seyn, so muß auch das Sichtbare an dem Redner mit dem, was man von ihm hört übereinstimmen. Es ist unnöthig hier zu wiederholen, was schon an so mancher Stelle dieses Werks angemerkt worden, daß Stellung, Gebehrden und Gesichtszüge, bald jede Empfindung der Seele verrathen, oder vielmehr mit solcher Kraft ausdrüken, daß empfindsame Menschen, durch das bloße Anschauen dieselben Empfindungen fühlen, die sie an andern sehen.7 Wie dieses Sichtbare bey jeder verschiedenen Gemüthslage beschaffen sey, kann Niemand beschreiben, auch [1246] kann das Wenigste, was das Aug dabey entdekt, nur genennt werden. Man kann also dem Redner nichts sagen, als: er solle sich die verschiedenen Kräfte der Stellungen, Gebehrden und der veränderten Gesichtszüge bekannt machen; sich fleißig üben, sie mit Leichtigkeit nachzuahmen, und denn, wo er zu reden hat, sie am rechten Orte anbringen. Aber Stellung, Gebehrden und Mine können sehr verständlich und nachdrüklich, und dessen ungeachtet schlecht und dem Redner unanständig seyn. Sie müssen nicht blos wahr, oder natürlich, sondern auch so, wie es einem wolerzogenen, gesezten und wolgesitteten Menschen anständig ist, das ist, von Anstand und Geschmak begleitet seyn. Denn die natürlichen Aeußerungen der Empfindungen, durch das Sichtbare des Körpers, sind zwar bey allen Menschen verständlich; aber bey vielen haben sie etwas ungesittetes, übertriebenes, oder grobes, oder gar zu rohes, das Menschen von feinern Geschmak anstößig ist. Ueberhaupt ist eine gewisse Mäßigung der Leidenschaften, und ein gewisser Anstand in allen Bewegungen der Gliedmaaßen und veränderten Gesichtszügen, Menschen von ausgebildetem Geist und Herzen, eigen. Die Freude würkt bey kleinem, kindischen Gemüthern ein Hüpfen, Springen und Gebehrden, das geseztern Menschen lächerlich ist. So kann jeder andere sichtbare Ausdruk der Empfindung zwar verständlich, aber auf mancherley Weise dem guten Geschmak und feinern Sitten anstößig seyn. Wollte man dem Redner alles sagen, was hierüber zu sagen ist, so müßte man sich in umständliche Ausführung dessen, was Lebensart, Sitten, Nachdenken, Kenntnis und angebaute Vernunft in den Bewegungen und Gebehrden der Menschen ändern, einlassen.

Ueberhaupt aber merke man sich, daß bey gesitteten Menschen, alle Gebehrden, Bewegungen und Minen, weit gemäßigter und weniger auffallend sind, als bey rohen und ungesitteten. Diese haben weniger Nachdenken, und bilden sich ein, daß andere, so wie sie selbst den Sinn ihrer Reden nicht genugsam fassen, wenn sie nicht alles durch sichtbare Zeichen unterstüzen. Daher reden sie mit Händen und Füßen selbst da, wo sie nicht im Affekt sind, sondern blos unterrichten wollen. Dies ist eigentlich das, was man Gestikuliren nennt, und ist der unangenehmste Fehler der Action. Man muß dem Zuhörer zutrauen, daß er den Sinn der Worte, ohne andere Bezeichnung verstehe. Nur da, wo das Herz empfindet, würkt der innere Sinn auch auf die äußern Gliedmaaßen, deren Bewegung die Stärke der Empfindung anzeiget. Da ist also Action nothwendig; doch nur so weit, als sie auch einem gesezten Manne von der Empfindung gleichsam abgezwungen wird. Verschiedene noch hieher gehörige Anmerkungen sind bereits in andern Artikeln angeführt worden.8

1Facit (actio) dilucidam orationem et illustrem et probabilem et suavem, non ver bis; sed varietate vocum, motu corporis, vultu. Cic. in Topic.
2Actio in dicendo una dominatur. Sine hac summus orator esse in numero nullo potest: mediocris hac instructus, summos sæpe superare. Huic primas dedisse Demosthenes dicitur, cum rogaretur, quid in dicendo esset primum; huic secundas, huic tertias.
3Im Gespr. Jon.
4Eurip. Hecub. vs. 836-38.
5Man sehe, was Quintilian im 10 Cap. des I B seiner Institutione oratoria davon schreibt.
6S. Rhythmus S. 983.
7Man muß hier das vor Augen haben, was in den Artikeln Stellung, Gebehrden, Schönheit, hierüber gesagt worden
8S. Ausdruk in der Schauspielkunst. S. 107. Gebehrden, Anstand, Stellung.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
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