Nonenaccord

[820] Nonenaccord. (Musik)

Es herrschet in der Benennung der Accorde noch eine beträchtliche Verwirrung, und ist daher sehr zu wünschen, daß bald ein gründlicher Harmoniste hervortrete, der nach einer leichten und gründlichen Methode die wahren Namen der Accorde bestimme. Man sollte z.B. nicht jedem Accord, darin die Septime vorkommt, den Septimenaccord nennen, sondern diesen Namen nur dem Accord geben, darin die wesentliche die Cadenz vorbereitende Septime vorkommt; so sollte auch nicht jeder Accord, darin die None vorkommt, den Namen des Nonenaccords tragen, damit nicht Accorde, die ihrer Natur nach gar sehr verschieden sind, mit denselben Namen belegt werden. Natürlicher Weise sollte jeder Accord von dem Intervall seinen Namen bekommen; welches das Vornehmste, oder Hauptintervall darin ist. Aber diese Sach ist mit mehr Schwierigkeit beladen, als daß sie hier könnte gründlich erörtert werden.

Wenn man jeden Accord, darin die None des Baßtones vorkommt, einen Nonenaccord nennen will, so giebt es ungemein vielerley Nonenaccorde. Sowol im Dreyklang, und in seinen beyden Verwechslungen, als im wesentlichen Septimenaccord mit seinen zwey ersten Verwechslungen, folglich in sechs Hauptfällen, kann die None vorkommen, wie aus folgender Vorstellung zu sehen ist.

Nonenaccord

[820] In allen diesen Fällen aber, ist die None eine Verzögerung, oder ein Vorhalt der Octav, in welche sie also natürlicher Weise auf demselben Baßton herunter tritt, wie in jedem der angeführten Beyspiehle zu sehen ist. Bey Cadenzen aber kann ein Nonenaccord vorkommen, wo diese Dissonanz als ein Vorhalt, nicht der Octave, sondern der Decime erscheint; weil die Septime der Octave vorgehalten wird, wie aus folgendem zu sehen ist.

Nonenaccord

Ueberhaupt aber wo die None vorkommt, muß sie vorher auf einer schlechten Taktzeit gelegen haben. Ihre Auflösung geschieht natürlicher Weise, wie in allen angeführten Beyspiehlen, auf demselben Baßton, auf dem sie den dissonirenden Vorhalt ausmacht; doch geschiehet es auch bisweilen, daß bey der Auflösung ein andrer Baßton eintritt, wie hier:

Nonenaccord

Aber in diesem und ähnlichen Fällen geschieht es allemal in der Absicht, die aus der Auflösung einer etwas schweeren Dissonanz entstehende Ruhe etwas zu vermindern; daher dieser Fall nur bey unvollkommenen Cadenzen statt hat. Es geschieht so gar auch, daß die Auslösung der None bis auf den Niederschlag des folgenden Takts verzögert wird, wie hier:

Nonenaccord

Von dergleichen Veränderungen rühret es her, daß die None, die ihrer Natur nach ein Vorhalt der Octave ist, nicht in diese, sondern in eine andere Consonanz aufgelößt wird; weil bey diesen Fällen anstatt des natürlicher Weise eintretenden Baßtones, ein andrer genommen wird, damit das Gehör in seiner Erwartung getäuscht werde. Hier löset sich die None in die Terz, oder Decime auf; ein andermal, wenn der Baß um drey Töne steiget, wird sie zur Sexte; auch bisweilen, wenn der Baß vier Töne steiget, oder fünf Töne fällt, zur Quinte. Alle diese Fälle aber haben etwas Außerordentliches und kommen nur vor, wenn der Tonsezer hinlängliche Gründe hat, von der gewöhnlichen, oder der natürlichsten Bahn abzugehen.

Vorzüglich ist auch die Veränderung wol zu merken, die mit dem Nonenaccord vorgeht, wenn sie durch eine Verwechslung des Baßtones zur Septime wird, wie in diesen Beyspiehlen:

Nonenaccord

In dem ersten sollte der Baßton C mit der None und im andern D mit der wesentlichen Septime und None seyn; man hat aber von beyden die erste Verwechslung genommen, wodurch die None zur Septime, und im andern Fall auch die wesentliche Septime zur Quinte worden. Die in diesen Fällen vorkommende Septime ist im Grund eine None, und muß auch so behandelt werden. Sie löset sich in der That abwerts in die Octave des wahren Grundtones, folglich in die Sexte des an seiner Stelle genommenen Baßtones auf.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 820-821.
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