[1027] Schauspiehler. Schauspiehlkunst.
Es ist dem äußersten Verderben und der höchst verächtlichen Gestalt zuzuschreiben, worinn das Schauspiehl unter den Cäsarn in Rom gefallen war, und dem höchst pöbelhaften und elenden Charakter, den es in jenen Zeiten der Unwissenheit und des schlechten Geschmaks, aus denen sich Europa noch nicht überall losgewikelt, angenommen hatte, daß noch izt viele Bedenken tragen dem Schauspiehler und seiner Kunst den ehrenhaften Rang, der ihnen gebührt, zu geben. Und doch därf er, so wol wegen der ihm nöthigen Talente, als wegen des nüzlichen Gebrauchs den er davon machen kann, so gut, als irgend ein andrer Künstler auf die Hochachtung seiner Mitbürger Anspruch machen.
In den älteren Zeiten der atheniensischen und römischen Republiken waren die dramatischen Dichter auch zugleich Schauspiehler, und Sophokles genoß die Ehre eines der Häupter des Staates zu seyn. Obgleich nun gegenwärtig die dramatischen Schauspiehle noch nicht wieder zu ihrer ehemaligen Würde gelanget sind, so haben sie sich doch meistentheils izt weit genug über die ehemaligen Possenspiehle empor gehoben, um den Schauspiehlern ihre völlige Künstlerehre wieder zu geben. Daß es hier und da noch schlechte Schauspiehle, und Schauspiehler von verächtlicher Lebensart giebt, muß dem ganzen Stande so wenig zugerechnet werden, als man es dem Stand der Dichter und Mahler zuschreibet, daß unzüchtige Gedichte oder höchst unanständige Gemählde gemacht werden, und daß man unter Dichtern und Mahlern Menschen von niedriger Lebensart antrifft.
In Ansehung der Talente also kann der gute Schauspiehler so wol, als ein andrer Künstler Anspruch auf allgemeine Hochachtung machen. Plato fodert nicht nur von dem Dichter, sondern auch von dem Rhapsodisten, folglich dem Schauspiehler, daß er bisweilen durch ein göttliches Feuer ergriffen, in voller Begeisterung seyn müsse1. In der That scheinet ein mittelmäßiger Dichter, den Horaz für unerträglich hält, noch erträglicher, als ein mittelmäßiger Schauspiehler, auf den man genau anwenden kann, was Quintilian vom Redner sagt. »Wenn er nicht rührt, so wird er abgeschmakt. Denn die Mine, die Stimme und das ganze Ansehen eines in Affekt gesezten Beklagten, werden denen, die dadurch nicht würklich gerührt worden, zum Gespötte. – Hier ist keine Mittelstraße, entweder weinet man mit ihm, oder man lacht ihn aus.«2 Der bekannte Ausspruch des Demosthenes über die vorzügliche Wichtigkeit der Action, oder des mündlichen Vortrages in der Beredsamkeit, ist ein vortheilhaftes Zeugnis für den Schauspiehler; denn das, was bey ihm, nur einen Theil der Kunst ausmacht, ist nach jenem Ausspruche bey dem Redner das Vornehmste. Deswegen hat auch Cicero sich [1027] angelegen seyn lassen, von dem Schauspiehler Roscius in diesem wichtigen Theile der Kunst, zu lernen.
Man kann es demnach für eine ausgemachte Wahrheit halten, daß der Schauspiehler so große Talente, als irgend ein Künstler, nöthig habe. Worin diese bestehen, und was für erworbene Fähigkeiten er noch darüber besizen müsse, um ein Meister seiner Kunst zu seyn, hat Niemand besser entwikelt, als der Verfasser des Werks, das vor einigen Jahren in London unter dem Titel der Schauspiehler herausgekommen ist3, dessen fleißiges Lesen wir jedem Schauspiehler auf das nachdrüklichste empfehlen.
Der Schauspiehler muß so gut, als der Dichter, oder ein anderer Künstler, zu seinem Beruf gebohren seyn, und kann, wo die Natur nicht das Beste an ihm gethan hat, so wenig, als ein andrer durch Regeln gebildet werden. Aber er wird, wie jeder Künstler, nur durch Uebung vollkommen.
Bey dieser Kunst kommt es zwar hauptsächlich nur auf zwey Hauptpunkte an; auf den mündlichen Vortrag, und auf die Sprache der Gebehrden; aber jeder hat erstaunliche Schwierigkeiten. Die erste Sorge wendet also der Schauspiehler auf den Vortrag der Rolen, die er übernihmt; weil dieser zum wenigsten eben so viel zur Würkung eines Drama beyträgt, als die Worte selbst. Dieses allein aber erfodert eine ausnehmende Urtheilskraft, weil es ohne diese unmöglich ist, sich so vollkommen, als hier nöthig ist, in die Gedanken und Empfindungen eines andern zu sezen, und seinen Worten allen Nachdruk, und jeden Ton zu geben, den sie in seinem Munde haben würden. Man muß so zu sagen in die Seelen andrer Menschen hineinschauen können. Und doch ist dieses nur erst ein vorläufiger Punkt, zum wahren Vortrag. Denn der Schauspiehler muß das, was er in Absicht auf die Richtigkeit des Tones und des Nachdruks fühlet, auch würklich durch die Stimme leisten können. Daß hiezu erstaunlich viel gehöre, kann man nur daraus abnehmen, was uns Cicero, ein guter Kenner dieses Theils der Kunst von den Uebungen der Schauspiehler sagt.4
Noch mehr Schwierigkeit hat der andre Punkt. Zum mündlichen Vortrag sind Worte vorgeschrieben, denen man nur ihren wahren dem Charakter der Person und den Umständen angemessenen Ton zu geben hat. Aber jeder Mensch hat auch da, wo er so spricht, wie ein andrer, seine eigene Gebehrden, nihmt eine besondere Mine, Stellung und Bewegung an. Hier ist es also nicht genug, daß der Schauspiehler alles dieses mit den Worten übereinstimmend mache, es muß mit dem ganzen Charakter der Person übereinstimmen, der bald groß und edel, bald vornehm, aber dabey niederträchtig; bald gemein, aber höchst ehrlich u.s.f. ist. Ich gestehe es, daß ich von den Talenten der Künstler keinen mehr bewundre, als diesen, sein ganzes äußerliches Betragen, nach jedem Charakter völlig schiklich abzuändern. Was für ein genauer Beobachtungsgeist, was für große Erfahrung und Kenntnis der Menschen, was für eine erstaunliche Beugsamkeit des Geistes und des Körpers wird nicht hiezu erfodert?
Auf den Regeln, die die Meister dieser Kunst vorschreiben, nicht um den wahren Charakter zu treffen, denn dieses kann man nicht durch Regeln lernen, sondern einen gewissen theatralischen Anstand zu beobachten, und nichts zu übertreiben, halten wir nicht viel. Wir glauben vielmehr bey den meisten französischen Schauspiehlern, die auch am fleißigsten nach diesen Regeln gebildet worden, eine nicht gute Würkung derselben beobachtet zu haben. Man merkt es nur gar zu ofte, daß ein Arm gerade nur so weit und so hoch ausgestrekt ist, als die Regel es vorschreibt, und daß die Stellung der Füße und der Gang selbst, mehr den Tänzer, als die ungezwungene Natur verrathen. Zwischen den gefälligsten und schönsten Manieren eines in der großen Welt vollkommen gebildeten Menschen, und des besten Tänzers ist immer ein erstaunlicher Unterschied, obgleich jener auch zum Theil von dem Tänzer gebildet worden. Gar viel Schauspiehler haben noch etwas von dem Gepräge der Schule, wo sie die Kunst gelernt haben, an sich, so wie man gar ofte an einem neuen Kleide noch einige Spuhren des Schneiders entdekt. Dieses ist für den feinern Geschmak immer anstößig. [1028] Wie Riccoboni so gar habe behaupten können, der Schauspiehler müsse sich hüten, sich zu sehr in die Empfindung seiner Role hineinzusezen, aus Furcht die Regeln darüber zu vergessen, verstehe ich nicht. Vielmehr habe ich geglaubt, daß der griechische Schauspiehler Polus das wahre Mittel getroffen habe seine Zuschauer zu rühren. Er hatte die Role der Elektra vorzustellen, die ihren vermeintlich gestorbenen Bruder beweint, indem sie seine Asche in einer Urne trägt. Der Schauspiehler hatte einen geliebten Sohn verlohren, und um sich in wahrhafte Traurigkeit zu versezen, ließ er in bemeldter Scene die Urne darin seines Sohnes Gebeine lagen, sich bringen. Daß ihm dieses fürtreflich geholfen, versichert uns ein alter Schriftsteller.5 Je mehr also der Schauspiehler von dem wahren Gefühl seiner Role in sich erweken kann, je sicherer wird er sie auch ausdruken, und Zuschauer, denen es um würkliche Rührung zu thun ist, werden es ihm sehr gerne vergeben, wenn der Schmerz oder die Freude ihn verleiten, die Aerme höher auszustreken, oder die Füße weiter auseinander zu sezen, als der Tanzmeister es vorschreibt.
1 | In Jone. |
2 | Nam et vultus et vox et illa excitati rei facies ludibrio etiam plerumque sunt hominibus, quos non permoverunt. Nihil habet ista res medium, sed aut lachrymas meretur aut risum. Quint. Inst. L. VI. c. 1. |
3 | The Actor. London 1750 8 v. |
4 | Et annos complures sedentes declamitant et quotidie antequam pronuntient vocem cubantes sensim excitant, eandemque, cum egerunt sedentes ab acutissimo sono ad gravissimum recipiunt et quasi quodammodo colligunt. De Orat. L. I. |
5 | Polus lugubri habitu Electræ indutus urnam e sepulchro tulit filii et quasi Orestis amplexus, opplevit omnia non simulacris neque incitamentis, sed luctu atque lamentis veris. A. Gell. Noct. Attic. LVII. c. 5. |
Buchempfehlung
»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
90 Seiten, 5.80 Euro