Zierlich; Zierlichkeit

[1285] Zierlich; Zierlichkeit. (Schöne Künste)

Wir nehmen diese Wörter in dem Sinne, den die Wörter Elegans, und Elegantia in der lateinischen Sprache haben. Zierlich bedeutet hier nicht das, was sich durch Zierrathen auszeichnet, sondern was durch eine gute, geschmakvolle Wahl des Einzelen, das zu der Sache gehört, sich in einer schönen und angenehmeren Gestalt zeiget. Zierlich ist die Rede, darin die einzeln Wörter, oder Redensarten wolgewählt sind, um das, was sie ausdrüken sollen, nicht nur in völliger Richtigkeit, sondern auch mit Annehmkeit und Geschmak auszudrüken; darin ferner auch auf den Wolklang, und überhaupt auf alles, was, ohne Veränderung des Sinnes, den Ausdruk angenehmer machen kann, gesehen worden. Zierlich ist das Gebäude, darin mit Vermeidung alles überflüßigen, oder blos zur Pracht dienenden, alles nach den besten Verhältnissen gemacht, dazu die angenehmesten Formen gewählt sind, und jede Kleinigkeit mit gehörigem Fleis, ausgearbeitet wird, so daß der feinste Geschmak nirgend Mangel noch Anstoß dabey empfindet.

Ueberhaupt besteht die Zierlichkeit in Schönheit, die nicht durch Einmischung besonderer schöner Theile, sondern durch die beste Wahl des Nothwendigen hervorgebracht wird. Auch die nakende Schönheit, ohne Verzierung, ist zierlich, wenn jeder und auch der kleineste der nothwendigen Theile, mit Geschmak gewählt ist. Die Zierlichkeit wird gegen Reichthum und Pracht in Gegensaz gestellt,1 und dadurch wird zu verstehen gegeben, daß sie nicht in Anhäufung des Schönen, sondern in der Schönheit des Nothwendigen zu suchen sey.

Ein Gegenstand der durch vorzügliche, ihm wesentliche Kraft stark rühret, bedärf der Zierlichkeit nicht; wenn er nur Richtigkeit hat, und alles Anstößige darin vermieden ist. Ein Gebäude, das durch Größe mit Einfalt verbunden, das Aug in Erstaunen sezen soll, därf nicht zierlich seyn. Ein Gedanken, der sich durch große Wahrheit auszeichnet, oder der groß, erhaben, oder höchst pathetisch ist, braucht nicht zierlich ausgedrükt zu seyn; man würde das Angenehme der Zierlichkeit bey der stärkeren Empfindung, die seine vorzügliche wesentliche Kraft erwekt, nicht bemerken.

Zierlichkeit ist also hauptsächlich da nöthig, wo größere wesentliche Kraft fehlet. Für den blos unterhaltenden Stoff, ist sie am nothwendigsten; weil sie ihm die wahre Annehmlichkeit giebt. Schon durch sie allein, wird ein Werk, das sonst keine ästhetische Kraft hätte, zum Werke des Geschmaks. Stark, nachdrüklich, rührend und pathetisch, kann man ohne Kunst sprechen; aber Zierlichkeit wird schweerlich ohne Kunst und Uebung, wenigstens nie, ohne feinen Geschmak erreicht werden. Daher ist die Zierlichkeit vorzüglich die Eigenschaft der Werke des Geschmaks, die sich nicht schon durch irgend eine höhere Kraft auszeichnen.

1So sagt z B. Corn. Neposvom Atticus: Elegans, non magnificus.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1285.
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