Buddha-Religion

[115] Buddha-Religion heisst die von Buddha gestiftete Religion, deren Fundamentalsätze er jedoch nur mündlich auf seine Schüler übertrug, welche sie längere oder kürzere Zeit nach seinem Tode aufzeichneten, daher viele Missverständnisse sich eingeschlichen, so dass man wiederholt 10 Jahre, 110 Jahre und 300 Jahre nach seinem Tode Sammlungen der Lehren anstellte, sichtete, beibehielt oder verdammte, und einen Geistlichen, den man für den verkörperten Maha - Dewa, den Feind des [115] Buddha, hielt, verbannte, seine Lehren unterdrückte u.s.w. Der Buddhadienst, jetzt aus dem westlichen Indien fast ganz verdrängt, war in früheren Zeiten daselbst in der höchsten Blüthe. Er ist sicher ursprünglich als Versuch einer Reformation des schon tief entarteten Bramaismus aufgetreten, darum heisst Buddha selbst eine Menschwerdung Wischnu's; aber die Folge war die grausame Verfolgung des erstern durch den letztern. Ein jetzt nicht mehr mit Bestimmtheit nachzuweisendes Reich im Mittelpunkt Indiens, Magda genannt, war die Wiege desselben; dort sind die drei Buddhas erschienen, dort werden alle anderen erscheinen bis zur Zahl 1000, nach welcher erst die Welt zur Reife gelangt. Jetzt ist der Buddhadienst rings um Indien stark verbreitet, in dem eigentlichen Indien aber nicht mehr. China, Japan, die Mongolei, Tübet, Birma, Ceylon, ein Theil des südlichen Persiens, Kaschmir, Afghanistan bekennen sich fast ausschliesslich zu demselben, und über die grossen Inseln des indischen Archipels scheint derselbe auch verbreitet gewesen zu sein. Der Buddhaismus kennt kein ewiges, unerschaffenes Wesen, keinen Schöpfer und keine Schöpfung. Unabänderliche Naturgesetze regieren dass Weltall, und nach diesen ist die Welt aus dem Leeren hervorgegangen; sie führt den Namen Tod und Wiedergeburt (Loga), oder Zerstörung und Wiederherstellung; von ihrer Entstehung schreibt sich alles Uebel her, und die höchste Seligkeit ist nur durch ein allmäliges Zurückgehen in das Nichts zu erlangen. Das Böse (Jirtündschü) bringt die beständige Wiedergeburt nach dem Tode, das Wandern aus einem materiellen Raume, aus einem Körper in den andern, hervor. Die Keime des Guten und Bösen, des Nichts und des Etwas sind in ewigem Streit; Belohnung und Bestrafung findet jedes lebende Wesen in dem Kreislauf von Verkörperungen und Wiedergeburten, welche in sechs Stufen eingetheilt sind, deren erste das Reich der reinen Geister (Essrun, Tegri), die zweite das der unreinen (Assurs), die dritte das der Menschen umfasst, während die vierte den Thieren, die fünfte den Ungeheuern (den Bewohnern der Vorhölle), und die sechste den eigentlichen Höllengeistern gehört. Alle diese Stufen durchwandelt der Sterbliche, bis einst seine Verdienste ihn zu der höchsten, unwandelbaren siebenten Stufe, zu der der Buddha's (Mongolisch: Burchanen), führen, in welcher kein Fehltritt mehr möglich ist. Um zu dieser höchsten Vollendung zu gelangen, ist es nöthig, dass man alle Gesetze des Buddha streng befolge und die Sünde verabscheue. Der Gebote sind fünf: nicht tödten, nicht stehlen, nicht des Andern Gattin oder Geliebte rauben oder gewaltsam berühren, nicht lügen, nicht starke Getränke geniessen. Der Sünden sind zehn: Tödten, Stehlen, Ehebrechen, Lügen, Zanken, zornig sein, unnütz schwatzen, nach des Nächsten Gut trachten, seinen Tod wünschen, an falsche Götter glauben. Eigentliche Kasteneintheilung soll zwar nicht herrschen, doch hat Reichthum und Priesterstolz sich deren drei gebildet, davon die Priesterkaste die oberste ist, und an Ansehen und Heiligkeit die königlichen Geschlechter überragt. Diese Kaste ist es auch allein, welche sich Entsagungen und Opfer auferlegt, dagegen sie das sicherste Mittel, zur Seligkeit zu gelangen, das Almosen-Geben, Anderen überlässt, selbst aber sehr geneigt ist, Spenden zu empfangen. Das höchste Almosen ist, das eigene Leben zur Erhaltung eines Andern hinzugeben, und Buddha ist hierin allen Nachfolgern als unerreichbares Muster vorangegangen. Er fand einst fern vom Flusse ein Crocodil, welches verschmachtete, und schon zu schwach war, das Ufer zu erreichen. Da erhob Buddha mit seiner Götterstärke das 26 Fuss lange Ungeheuer und trug es zwei Tagereisen durch die Wüste, bis zu dem Bramaputr, und da er sah, dass es nicht Kraft genug hatte, eine Beute zu erhaschen, hieb er sich den Arm ab, tränkte mit seinem Blute das dürstende Thier, gab ihm den Arm zu fressen und setzte sich nicht zur Wehre, als es ihn darauf, schnell ermuntert, zerriss, worauf er noch reiner und geläuterter, als zuvor, wieder vom Tod erstand.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 115-116.
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