Hunger

[427] Hunger ist das zur schmerzhaften Empfindung gesteigerte Verlangen nach Nahrung, welches, wenn es nicht befriedigt wird, Krankheitserscheinungen und Tod nach sich zieht. Der eigentliche Sitz des Hungers sind die Nerven des Magens, welche alsbald ein eigenthümliches Gefühl erzeugen, wenn die Nahrungsmittel fehlen, deren der Magen bedarf, um seine Thätigkeit an ihnen zu äußern. So lange dieses Gefühl nicht schmerzhaft ist, heißt es noch nicht Hunger, sondern Appetit oder Eßlust. Bei einer krankhaften Körperbeschaffenheit geht der Appetit oft sehr schnell in Hunger über und ein noch bedenklicheres Krankheitszeichen ist es, wenn die schmerzhafte Empfindung auch nach dem sonst hinreichenden Genuß von gesunden Nahrungsmitteln nicht nachläßt. Je größer die Lebensthätigkeit des Menschen überhaupt ist, je jünger, gesunder und körperlich thätiger derselbe also ist, desto eher stellt sich nach Befriedigung des Hungers die Eßlust wieder ein. Wenn der Hunger nicht gestillt wird, so nimmt er fortwährend an Schmerzhaftigkeit zu, allmälig verändert auch das Blut, welches keine Erneuerung durch Absonderungen aus den Nahrungsmitteln erfährt, seine Beschaffenheit; der Körper wird immer hinfälliger und schwächer, das Blut fließt aus allen Theilen des Körpers, dessen Nerven sich im Zustande fürchterlicher Aufregung befinden; endlich erfolgt unter Schmerzen im ganzen Körper, Schlaflosigkeit, Zuckungen, Wahnsinn und Raserei der Tod. Der Mensch kann den Hunger je nach Beschaffenheit seiner Körperconstitution 6–12 Tage ertragen, ehe er stirbt; in einzelnen Fällen, namentlich bei gewissen Krankheiten, aber auch viel länger. Wird der Hunger nur theilweise gestillt, so kommt es zwar nicht so schnell zu den erwähnten heftigen Zuständen, aber der Körper magert ab und die Säfte desselben ersetzen sich langsam und sparsam. Bei gewissen hartnäckigen Krankheiten, namentlich bei veralteter Syphilis, hat man eine solche Kraftentziehung durch den nur theilweise befriedigten Hunger mit Erfolg als Heilmittel angewendet und eine solche Cur, die häufig noch mit Anwendung anderer Mittel, z.B. Quecksilbereinreibungen, verbunden ist, Hungercur genannt. Während dieser Cur darf der Kranke nur sehr wenige und ganz einfache und unschädliche Nahrungsmittel genießen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 427.
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