Oculiren

[325] Oculiren (das), Pfropfen mit dem Auge oder Äugeln ist eine, mit Ausnahme der Nüsse, für alle Obstsorten anwendbare Art der Veredlung, bei der von dem Sommertriebe eines edeln Baumes ein Auge in die Rinde eines wilden oder aus dem Kerne gezogenen Stämmchens eingesetzt und dieses dadurch, wenn die Operation gelang, dahin gebracht wird, daß es einerlei Früchte mit dem Baume trägt, von welchem das Auge genommen wurde. Es wird zu diesem Behufe in die Rinde des zu veredelnden Stämmchens mit den Oculirmesser ein Querschnitt und einer der Länge, beide ungefähr in Gestalt eines verkehrten gemacht, von der edeln Pflanze aber ein Auge, d.h. der blos durch eine Erhöhung in der Rinde bemerkbare Keim einer künftigen Knospe, deren jede den Keim zu einer Pflanze ihrer Art in sich trägt, mit einem Theil der ringsum anhängenden Rinde ausgehoben, dreieckig à zugeschnitten und dann mit dem Rande unter die aufgeschnittene Schale des Wildlings geschoben, sodaß nur das Auge unbedeckt bleibt und die Spitze nach oben gerichtet ist. Über und unter dem Auge wird das oculirte Stämmchen verbunden. Das ganze Verfahren kann auch umgekehrt, d.h. die Schnitte können in Form eines aufrechten T gemacht und das Auge kann mit der breiten Seite Í oben eingesetzt werden, ohne daß der Erfolg davon leidet. Man oculirt »auf das schlafende Auge«, wo das edle Auge nicht vor dem Frühlinge des kommenden Jahres treiben und bis dahin gleichsam schlafen soll, und nimmt dies in der zweiten Hälfte des Jul. und im Aug. vor; »auf das treibende Auge«, wo das eingesetzte edle Auge noch in demselben Jahre austreiben soll, wird vom Frühjahr bis um Johannis oculirt. Das älteste Verfahren ist das Oculiren im Winter, wobei man ein edles Auge mit etwas Rinde aushebt, von dem Wildlinge gleichviel ausschneidet, das Auge in die entstandene Blöße einpaßt und oben und unten mit Bast, an den Seiten noch mit Baumkitt verbindet und befestigt. Man oculirt ferner »mit dem Holze«, wenn mit dem edlen Auge nicht blos Rinde, sondern an der Rückseite auch noch so viel Holz mir fortgenommen wird, daß die innere Seite des Augenknöpfchens davon schwach bedeckt bleibt, welches Verfahren blos auf das treibende Auge angewendet zu werden pflegt. Das Oculiren wird nicht blos als Weg zur Veredlung und Vermehrung von Obstbäumen, sondern auch in denselben Absichten bei Rosen und Ziersträuchern, sowie bei fremden Holzarten benutzt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 325.
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