[206] Oculiren (v. lat.), eine Veredelungsart der Obstbäume u. Ziersträucher, um Spielarten eines Strauches od. Baumes auf einem anderen Stamm zu erziehen, indem man das Auge eines Edelreises unter od. zwischen Rinde u. Holz des Wildlings einschiebt. Zu diesem Behufe nimmt man ein Edelreis von einem Sommertriebe, macht mit dem Oculirmesser (einem kleinen, scharfen, schmalen Messer von gutem Stahl, mit gerader od. etwas rückwärts gebogener Klinge, dessen Heft sich in ein plattes Beinchen von Elfenbein od. Knochen endigt), 1/2 Zoll über einem vollen, starken Auge einen Querschnitt durch die Rinde bis aufs Holz u. dann von beiden Seiten des Auges einen ähnlichen Schnitt schräg aufwärts, so daß sich die zwei letzten Schnitte unter dem Auge in Gestalt eines U od. V vereinigen. Mit dem Abschieber, einem Werkzeug von Messingblech, welches die Gestalt einer Rinne hat u. sich schnabelförmig endigt, womit nun die Rinde des Oculirschildchens, etwas abgelöst u. gelüstet u. das Auge so ausgedrückt wird, daß das Holz desselben darin bleibt. Die Rinde des Schildes schärft man nun außen an den Kanten etwas ab, sucht an dem Wildling eine glattrindige Stelle, macht daselbst einen senkrechten u. einen Querdurchschnitt in der Form eines T durch die Rinde bis aufs Holz u. löst dann an dem senkrechten Schnitt die Rinde vom Holze mit dem Beinchen so ab, daß das seine, den Splint umgebende Häutchen nicht verletzt wird. Hierauf setzt man das Oculirschild so auf die entblößte Stelle, daß die beiden Querschnitte genau an einander stoßen, deckt die Flügel über das Oculirschild u. verbindet die Stelle so mit Bast, daß sie ganz bedeckt wird u. nur das Auge frei steht. Eine andere Art ist das O. mit dem viereckigen Schild, dem man ziemlich dieselbe Größe gibt wie dem dreieckigen; auf dem Wildlinge wird ein Stück Rinde von derselben Größe ganz weggeschnitten. Es ist genug, wenn das aufgesetzte Schild wenigstens an drei Seiten genau an die [206] Rinde des Wildlings stößt; zur Befestigung des Schildes wird ein mit Baumwachs bestrichener Papierstreif um die oculirte Stelle gewickelt; durch ein Loch in dem Papier steht das Auge frei heraus. Diese Art des O-s war auch den Alten bekannt. Eine dritte Art ist das O. mit dem Holz, welches bes. bei zarten Gewächsen angewendet wird. Statt nämlich das Edelreis abzulösen od. abzudrehen, schneidet man hinter demselben 1/2 Zoll herunter, so daß hinter der Rinde noch ein wenig Holz bleibt, u. läßt dann 1/2 Zoll unter dem Auge das Messer wieder herausgehen. Eine vierte Art ist die Forkersche Methode; man schneidet das Auge mit etwas Holz flach heraus u. plattet es an einer ebenso flach ausgeschnittenen Stelle des Wildlings an. Das Ganze wird mit flüssigem Baumwachs überzogen. Mittelst dieser Methode kann man zu jeder Jahreszeit oculiren, sobald nur das Auge reif ist. Eine fünfte Methode besteht darin, daß man das Auge von unten nach oben unter die aufgeschlitzte Rinde schiebt; solche Augen wachsen weit besser u. sicherer als diejenigen, welche in den Spalt von oben nach unten eingesetzt werden. Man oculirt im Frühjahr (O. in das treibende Auge), weil das Auge noch in demselben Jahre treibt; es geschieht am besten auf der Mittagsseite des Wildlings, wenn der Saft eintritt u. die Rinde von dem sich Holz lösen läßt, im April u. Anfang Mai, sowie 8 Tage vor u. 8 Tage nach Johannis, zu letzter Zeit aber an Sommerlatten u. Reiser, welche in demselben Frühjahr gewachsen sind, bes. Kirschen, Apricosen u. Pfirsichen. Oder man oculirt von Ende Juni bis Mitte August (O. in das schlafende Auge) weil das Auge erst im nächsten Jahre treiben soll; dies geschieht gewöhnlich auf der Morgenseite des Wildlings. Nach einem Gewitterregen im Juli u. August geht das O. am besten von Statten. Das O. zu jeder von beiden Zeiten wird auf gleiche Weise verrichtet. Ist der Blattstiel bald abgefallen u. das Auge gequollen, so wird der Verband etwas gelüstet. Fängt das Auge zu grünen an, so schneidet man das Stämmchen über dem veredelten Auge etwas schräg, von der hinteren Seite zu, ab, so daß das Stämmchen 11/2 Zoll über das Auge hinausragt. Im August wird es dicht beim Auge abgeschnitten u. mit Baumwachs verstrichen. Das O. ist bei großen u. kleinen Stämmen gleich anwendbar, bei jenen in die Äste, bei diesen in den Stamm, doch müssen die zu veredelnden Stämme einen freien u. lustigen Stand haben. Die besten Augen sind die in der Mitte des Reises, sie dürfen weder zu stark, noch zu schwach, u. müssen vollkommen ausgebildete, zeitige, gesunde Sommer-, nicht aber Wasserschosse u. von jungen gefunden Bäumen sein. Eine besondere Art des O-s ist das Anplatten, od. da es im Winter vom November an geschehen kann, O. im Winter, s. Anplatten. Das O. wird vorzüglich bei Rosen, Akazien, Pfirsichen, Abrikosen, Mandeln u. Orangen, häufig auch bei Pflaumen u. Kirschen, seltener bei Äpfeln u. Birnen angewendet.