[345] Libussa, eine berühmte halbmythische Königin von Böhmen, Kroks, des zweiten Böhmenherzogs, jüngste Tochter, kundig der Zauberei, mit der Gabe der Weissagung erfüllt, welcher nach ihres Vaters Tode durch das Loos die Herrschaft über Böhmen zufiel. Zwölf Jahre lang regierte sie weise und gerecht das Land, bis der Friede durch einen reichen Vasallen gestört wurde, der einen Aufstand gegen die Herrscherin deßhalb erregte, weil sie ihm ein Stück Land, das er ungerechter Weise in Anspruch nahm, verweigerte. Die Großen des Reiches erklärten öffentlich ihre Unzufriedenheit mit dem Regiment einer Frau, und forderten Libussa auf, sich zu vermählen und dem Lande einen Herrn zu geben. Libussa berief den Rath der Aeltesten und das ganze Volk, und erklärte in begeisterter Rede, daß nach dem Willen der Götter sie einen Gemahl, Böhmen einen Herzog erhalten sollte. »Machet Euch auf,« so sprach sie zu dreißig Erwählten, »folgt dem Laufe meines weißen Rosses, bis Ihr einen Mann findet, der auf einem eisernen[345] Tische sein Mahl hält; deß Name ist Przmysl, ein in Gedanken Sinnender, das ist Euer Fürst, der dort pflügt mit zwei scheckigen Ochsen.« Dabei zeigte sie nordwärts hin von ihrem hohen Schlosse Wischerad, und das weiße Roß sprang den Männern voran. Am 18. Tage des Mai geschahe das, und das Pferd Libussens lief zehntausend Schritte, bis es an das Dorf Stadicz kam, in dessen Nähe ein Landmann pflügte. Vor diesem wieherte das Roß und fiel auf seine Knie, und die Abgesandten grüßten Przmysl als Fürsten von Böhmen. Er aber stürzte den Pflug um, legte Käse und Brod auf die Schar und hielt so sein Mahl auf einem eisernen Tische, wie Libussa es geweissagt. Dann steckte er seine Gerte in die Hand, die sproßte alsbald in grüne Blätter und Zweige; auch band er die Ochsen vom Pfluge los und sprach zu ihnen: »Geht hin, woher ihr gekommen seid!« Da erhoben sie sich fliegend zur Wolkenhöhe und fuhren dann in eine Felsenkluft hinein. Nach diesen Zeichen setzte sich Przmysl auf Libussens Roß, sprach noch manches Nachdenkliche zu den Abgesandten und zog mit ihnen nach der Herzogsburg. Dort vermählte sich Libussa feierlich mit ihm und lebte friedliche und glückliche Jahre. Vereint gründeten sie Prag, beuteten die reichen Gold- und Silberbergwerke Böhmens aus, prägten viele Münzen mit ihren Bildnissen und beglückten das Land. Manches prophetische Wort sprach Libussa aus, das sich in spätern Zeiten bewährte. So weissagte sie das Verderben, welches ihrem Geschlechte von dem Stamme der Wrsch oder Wrschowetz kommen würde; enthüllte die reichen Adern der Berge durch ihre Sehergabe und nahm, als sie ihr Ende nahe fühlte, feierlich Abschied von ihrem Gemahl, ihrem Sohne Nezamysl, ihren Dienerinnen und ihrem Volke. Bald nach ihrem Tode brach der verderbliche böhmische Mägdekrieg (s. d.) aus. Libussa und die Sagen von ihr haben spätern Dichtern häufig willkommenen Stoff für poetische Bearbeitungen dargeboten; zwei Opern tragen ihren Namen an der Stirn, wie ein Schauspiel von Reinsberg. Musäus[346] feiert sie in seinen beliebten Volksmährchen und ein Ungenannter benutzte sie zu einer »Geschichte aus den Ritterzeiten« (!) 1791. Unter dem Titel: »die. Weissagung der Libussa« schildert L. Bechstein die Unthaten des Geschlechtes Wrsch gegen die Libussiden durch mehrere Jahrhunderte in einem 2bändigen Romane, und Ed. Duller bearbeitete denselben Stoff in seinem Trauerspiel: »der Rache Schwanenlied.« Libussens Name klingt wie ein Zauberwort durch die Sagenfülle des Böhmerlandes, sie lebt als von der Volkspoesie verklärte, ewig blühende Königin im Wundergarten des schönen Reiches fort.
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