Naturstickerei

[372] Naturstickerei, jene allerliebste Wollarbeit, welche noch kürzlich so viele Frauenhände beschäftigte, und ehe sie genauer bekannt war, für außerordentlich schwer gehalten wurde. Es kommt dabei nämlich darauf an, den Blumen, die man vorzustellen hat, durch ein ganz einfaches Verfahren ein gewisses Relief zu geben und sie so zu stechen, daß sie wie auf den Grundstoff, z. B. Tuch, Casimir, Merino u. dgl., gelegt erscheinen und also den natürlich aufgestreuten Blumen gleich kommen. Um diesen Zweck zu erreichen, bediente man sich anfänglich dünner Fischbeine, Holz und Filetstäbchen, über welche sodann die Stiche in doublirter Zephirwolle nach der Vorzeichnung gelegt wurden; später fiel man darauf, durch Unterlagen von gröberen Stichen gleichsam zu bossiren, und überzog dann diese rohen Formen mit feinerer Wolle, immer der Höhe und Tiefe, welche die Petalen in der Natur haben, bestmöglichst folgend und dadurch das beim Plattstiche so schwierige Schattiren in der Hauptsache vermeidend. Die Staubfäden und Pistillen wurden von seinem, geglühtem Eisendraht, den man mit Seide oder gespaltner Wolle überwickelte, fabricirt und den erhabenen Blumen eingesetzt; endlich schuf man sogar allerlei Thiere, wie Schmetterlinge, Käfer, Schnecken u. s. w., auf diese Weise. Hand in Hand mit der Naturstickerei ging das Verfertigen der Wollblumen, und zuletzt vereinigte man beide Arbeiten, indem es sich herausstellte, [372] daß viele Blumen, wie Glocken und andere, deren Blüthenblätter dünn und gehäuft wiedergegeben sein wollen, leichter und täuschender dargestellt werden konnten, wenn man sie erst frei auf jene Manier arbeitete und dann aufnähte. Somit hatte nun diese Stickerei den höchstmöglichen Grad der Vollkommenheit erreicht und ging darum, wie Alles so weit gelangte, wieder zurück. Vögel, die man in derselben Weise ausführte, und die in der That überraschend natürlich bossirt werden konnten, erhielten noch einige Zeit lang die Luft daran, bis endlich die ganze Sache auf sich beruhen blieb und der geschornen Arbeit, von welcher unter dem Artikel Stickerei ausführlicher gesprochen werden soll, Platz machte.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 372-373.
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