[290] Prevorst, Seherin von . Auch unserer Zeit war es vorbehalten zu den Erscheinungen des thierischen Magnetismus einen Beitrag zu liefern. Schon waren die Wahrnehmungen eines Zeitabschnittes, der sich im Hellsehen, in mystischen Speculationen, im Mißbrauch der Naturkräfte, in Trug, Täuschung und Charlatanerie gefiel, fast verschollen, selbst berühmte Aerzte[290] und Psychologen sprachen von dem Mesmerismus, wie von Mährchen und Selbsttäuschungen; da tauchte vor 15 Jahren die Seherin von Prevorst auf und erregte um so mehr Aufsehen, als die Wahrnehmungen an derselben von aufgeklärten, geistreichen und redlichen Männern, wie Justinus Kerner und Dr. O ff beglaubigt wurden. Es ist hier nicht der Ort, den Gegenstand, über welchen sich in der gelehrten Welt ein jahrelang dauernder, noch nicht beigelegter Streit für und wider die Vernunftmäßigkeit und Richtigkeit der Erscheinung entspann, ausführlich zu besprechen; wir geben nur im kurzen Abriß das Historische jener Erscheinung, wie es Dr. J. Kerner in seiner »Seherin von Prevorst,« vor das Publikum gebracht hat. Friederike Hauffe, 1801 zu Prevorst im Würtembergischen geb., Tochter eines Revierförsters, wurde einfach erzogen und reiste zu einem reizenden, lebensfrischen Mädchen heran. Nur ein besonderes Ahnungsvermögen war ihr damals eigen; von Außen aufgeregt versenkte sie sich in das Innere, Träume bestimmten ihre Handlungsweise, indem diese sie in die Zukunft blicken ließen; häufig überfiel sie in der heitersten Stimmung eine plötzliche Wehmuth, Frost, Grauen namentlich in der Nähe von Gräbern. Noch im elterlichen Hause hatte sie eine Geistererscheinung. Die Eltern, welche ihren gereizten Zustand hysterischen Leiden zuschrieben, verheiratheten sie schon im 19. Jahre gegen ihre Neigung. Sie zog mit ihrem Gatten in eine düstere Berggegend; diese, so wie ihre äußern Verhältnisse und Beschäftigungen, stimmten nicht zu ihrem inneren Zustande; sie verfiel in tiefe Schwermuth, zu welcher sich bald körperliche Leiden gesellten. Bei der Beerdigung des Stiftspredigers T., eines frommen von ihr verehrten Mannes, der ihr später auch als Geist erschien, fiel auf einmal jede Beängstigung von ihr, sie sah hell und ein höheres Leben begann in ihr zu tagen. Im Februar 1822 träumte ihr, sie wolle sich zu Bette legen, aber da gewahrt sie darin den Leichnam des verehrten Verstorbenen; sie schrie laut auf, worüber ihr Gatte erwachte,[291] bekam den folgenden Tag das Fieber, heftige Brustkrämpfe und Blutergießungen, die 14 Tage anhielten. In diesem Zustande konnte sie in der weitesten Entfernung hin hören und fühlen, Eisen, selbst nicht in Berührung mit ihr gebracht, empfand sie schmerzhaft; sie behauptete, sieben Tage lang habe sie zu einer bestimmten Stunde ein Geist (der ihrer Großmutter) magnetisirt, und erklärte, daß sie nur durch Magnetisiren kurirt werden könne. Der Arzt D. B. unterwarf sie nun einer magnetischen Behandlung; ihr Ahnungsvermögen steigerte sich; sie bekam Erscheinungen, sah in einem Glase Wasser diejenigen Personen, welche erst eine halbe Stunde später vor ihr Bett traten, voraus etc. Ihre erste Niederkunft brachte keine wesentliche Veränderung in ihrem Zustand hervor. Die magnetische Behandlung hatte übrigens das Gute, daß sie nur alle 7 Wochen in magnet. Schlaf verfiel und nebenbei ihre häuslichen Geschäfte verrichten konnte. Bei der zweiten Niederkunft verschlimmerte sich ihr krankhafter Zustand. Krämpfe, Fieberphantasien, Schlaflosigkeit und Schwermuth zehrten sie zusehends ab. Der Aberglaube ihrer Umgebung hielt sie für eine Besessene und übergab sie der Behandlung eines Geisterbanners. Dieser reichte ihr ein grünes Pulver, worauf sie von einer Art Veitstanz befallen wurde und im Schlafe eine Allen unverständliche Sprache, welche sie auf Befragen als ihre innere Sprache bezeichnete, redete. Ein Amulet, das ihr jener Geisterbanner gab, soll in Gegenwart mehrerer Zeugen über ihre Bettdecke hinweg von ihr aus eigener Bewegung gelaufen sein. Da die Kraftlosigkeit und Nervenleiden sich immer steigerten, so nahmen ihre bekümmerten Verwandten ihre Zuflucht zu dem als Arzt und Dichter gleich hochgeschätzten Dr. Justinus Kerner in Weinsberg. Er, in Verbindung mit seinem Freunde Dr. Off leitete nun ein rationelles Heilverfahren ein. Aber es blieb ohne Erfolg, gleich wie die homöopathische Kurart, die man versuchte. Die Kranke wurde immer elender, konnte aber nicht sterben; und so sah sich der Arzt genöthigt wieder[292] zum Magnetismus seine Zuflucht zu nehmen. In dieser letzten Periode manifestirten sich nun die wunderbarsten Erscheinungen. Die Kranke behauptete im Zustande des Hellsehens, sie lebe nicht von ihrer eigenen organischen Kraft, sondern von dem Luft- und Nervengeiste Anderer, sie fühle die Einwirkung des Metall-, Pflanzen- und Thiergeistes ihr Auge strahlte ein besonderes geistiges Licht aus, wie es weder bei einem Gesunden, noch bei andern Kranken wahrgenommen wurde. Merkwürdig bleiben ihre Aeußerungen bei dem Umstande, daß sie keine wissenschaftliche Bildung erhalten hatte und doch von Gegenständen der Chemie, Physik, Geographie etc. sprach. Mineralien übten eine besondere Wirkung auf sie aus, soz. B. Bergkrystall eine angenehme, Diamant dagegen eine unangenehme. In der Musik erheiterten sie Molltöne, Wasser verursachte ihr Schwindel; sie hatte Vorliebe für gewisse Traubensorten und Pflanzen, andere wirkten unangenehm auf sie ein; ein todter Krebs lähmte sie, der Johanniskäfer aber in der Hand gehalten wiegte sie in magnetischen Schlaf. Das Sonnenlicht vermochte sie nicht zu ertragen und bekam darüber Kopfschmerzen. Den Blitz beim Gewitter fühlte sie im Unterleibe stets früher, bevor er noch andern sichtbar erschien. Ein Fenster ihrer Krankenstube mußte stets geöffnet sein, denn sie behauptete aus der Luft ihre Belebung zu schöpfen. In dem rechten Auge jedes Menschen sah sie ihr eigenes Bild abgespiegelt, und hinter diesem noch ein zweites, fremdes; sie bemerkte entfernte Gegenstände durch Seifenblasen, erkannte die innern leidenden Organe ihres Körpers, und berief sich auf einen Schutzgeist, der sie stets umschwebe. Die Krankheit eines Andern erkannte und bestimmte sie durch Berührung, da sie alle Leiden desselben zugleich in sich fühlte. Auf diese Art wurde die Gräfin M. durch sie von einer langwierigen Krankheit geheilt. Sie wollte sogar die Beschäftigungen der Mondbewohner wahrnehmen. Ihre Anschauungen des Sonnen- und Lebenskreises und ihr mannichfachen mystischen Manifestationen übergehen[293] wir hier als zu weitläufig, verworren und keiner Deutung fähig. Geister erschienen vor ihrem Bette, meist wie sie in irdischer Form gewandelt, nur wolkengleich, grau von Aussehen, die Guten heller, die Bösen dunkler. Diese Geister hatten je nach ihrem irdischen Zusammenhange eine höhere oder niedere Stufe, sie konnten sich durch Töne, Klopfen, Rauschen bemerklich machen, ja selbst schwerere Gegenstände bewegen. Meistens verlangten die Geister Trost und Gebet von ihr sie klagten sich auch oft einer auf Erden nicht verbüßten Schuld an, weßhalb sie nicht zur Ruhe kommen konnten und in der untern Geisterregion leben mußten. So erschien ihr ein Ritter, der ein Brudermörder, ein Mönch, der gleichfalls ein Mörder war, und mehrere andere. In einer Lichtglorie sah sie den verstorbenen Stiftsprediger T. Diese merkwürdige Frau starb. ein ungeheures Räthsel nach langen Leiden den 5. Aug. 1829, Abends um 10 Uhr. Bei ihrem Verscheiden will ihre Schwester, ein einfaches, unbefangenes Mädchen, das aber auch Geister wahrnahm, eine lichte Erscheinung hereintreten gesehen haben, worauf die Sterbende freudig aufschrie und vollendete. Dr. Off secirte den Leichnam und fand den Schädel außerordentlich schön gebildet, im Herzen, der Leber und im Unterleibe aber krankhafte Abnormitäten. Unter andern Verhältnissen und zu einer andern weniger aufgeklärten Zeit würde man diese Seherin entweder für eine von Gott Erleuchtete oder vom Bösen Besessene gehalten haben, und sie wäre dem krassesten Aberglauben anheim gefallen. Für uns bleibt sie nur ein psychologisch-pathologisches Problem für Denker und Aerzte. Eine Erklärung und Deutung all' der Wahrnehmungen des Dr. Kerner, auf welchem nicht der mindeste Verdacht einer absichtlichen oder Selbsttäuschung haftet wer kann, wer soll sie wagen? Man wird bloß zu dem Ausrufe veranlaßt: »Es ragt doch eine Geisterwelt in unser Erdendasein hinein,« und »es gibt Dinge, von denen sich unsere Philosophie nichts träumen läßt.«
n.
Buchempfehlung
Zwei weise Athener sind die Streitsucht in ihrer Stadt leid und wollen sich von einem Wiedehopf den Weg in die Emigration zu einem friedlichen Ort weisen lassen, doch keiner der Vorschläge findet ihr Gefallen. So entsteht die Idee eines Vogelstaates zwischen der Menschenwelt und dem Reich der Götter. Uraufgeführt während der Dionysien des Jahres 414 v. Chr. gelten »Die Vögel« aufgrund ihrer Geschlossenheit und der konsequenten Konzentration auf das Motiv der Suche nach einer besseren als dieser Welt als das kompositorisch herausragende Werk des attischen Komikers. »Eulen nach Athen tragen« und »Wolkenkuckucksheim« sind heute noch geläufige Redewendungen aus Aristophanes' Vögeln.
78 Seiten, 4.80 Euro