Teneriffa

[65] Teneriffa. Lustig wehet der Aeolus über die Perlenwogen des atlantischen Oceans. Schon ist das traubenreiche Madeira, und die pittoreske Inselgruppe der nördlichen Kanarien (s. d.) unserm Auge entschwunden, und siehe – dort erhebt sich aus dem Silberflore der Ferne eine Bergkette von malerischen Umrissen, zwischen denen der Pik von Teneriffa sich schlank an den blauen Aether emporwindet! Wie stolz und magisch breiten sich die Gärten der nördlichen Hafenstadt Oratova gleich den hängenden Gärten der Semiramis mit ihrer exotischen Blumenwelt aus! Welch' ein Meer von wallendem Grün kommt uns entgegen! Welche Pflanzenformen in einer Entwickelung, die selbst die kühnste Phantasie des Nordländers übersteigt, schmücken die Landschaft! Und welch' eine Landschaft – die, obwohl südlicher als Südeuropa gelegen, dennoch weit genug von den Tropen entfernt ist, um bei allen Wohlthaten der Tropenländer weder ihre Hitze noch Ungesundheit zu theilen. Indeß, wie alles seine Schattenseite hat, so auch die spanische Insel T. Der östliche und südliche Theil derselben ist nämlich ganz verschieden von dem nördlichen und westlichen. Hier bietet sie[65] einen zwar oft majestätischen, aber düstern und wüsten Anblick dar; nnan fühlt, daß man noch in Afrika ist, wo die Hitze alles versengt und verdörret mit ihren brennenden Strahlen. Auf dem Vorgebirge Naga gedeihen nur einige wenige Saftpflanzen; wüst und unfruchtbar ist die Gegend um St. Croix; basaltische Massen treten hier überall mit ihren dürren Gliedern hervor und der Boden besteht aus vulkanischem Bimssteinnagelflue, hier Osca genannt. T's wahre und herrlichste Majestät ist aber der Gürtel von Feuerbergen, der sich ernst und gewaltig durch seinen buntschimmernden Pflanzengürtel hindurchwindet. Die Zahl vulkanischer Kegel auf der Insel ist ungeheuer, und noch immer athmen die begrabenen Giganten unter der von Jupiter auf sie gethürmten Last, und schnauben, wiewohl selten, doch desto verheerender ungeheure Ausbrüche hervor. Nichts kann entzückender und reicher an den buntwechselndsten Ueberraschungen sein, als eine Ersteigung des berühmten Piko de Teyde, der sich beinah im Mittelpunkt der Insel aus einem breiten Thal, 11,502 pariser F. hoch in den Aether erhebt. Von der Stadt Oratova aus führt der Weg längs ihrer herrlichen Gärten hin, in deren einem jener berühmte Riesendrachenbaum steht, dessen rauschendes Laub die Sprache der grauesten Vorwelt spricht. Dieser Baum, vielleicht der älteste lebende Bewohner der Erde, ist eine der am langsamsten wachsenden Pflanzen, und dennoch beträgt seine Höhe über 60 F. Von Oratova aus gelangt man durch fünf verschiedene Pflanzengürtel, durch die Zonen der Weinstöcke, der Lorbeer, der Pinien, des Retama und der Graspflanzen, die wie Stockwerke eines Hauses übereinander gelagert sind, nach einer Wanderung von 2 Tagen auf den ausgebrannten Gipfel des majestätischen Piks. Ueber alle Beschreibung erhaben ist das prachtvolle Schauspiel, welches sich an seiner Spitze dem schwelgenden Auge darstellt. Die heitere, durchsichtige Luft, von deren Reinheit wir im Norden keinen Begriff haben, erlaubt dem Blicke eine Oberfläche von 5700 QuadratM. zu umfassen. Weit in den Ocean hinein schweifen die Blicke; wie mit[66] einem Zauberschlage tritt die ganze Gruppe der Kanarien in den Gesichtskreis. Die mit Datteln und Cocospalmen geschmückte Küste der See, höher hinauf die Gruppen der Musa- und Drachenbäume, die Abhänge mit Reben bepflanzt, welche ihre Ranken an hohen Geländern ausbreiten und den berühmten Kanariensect oder Malvesier liefern; Orangenbäume mit Blumen beladen; die vielen mit Myrthen und Cypressen umgebenen Kapellen auf den isolirten Hügeln; alle Grundstücke mit üppigem Cactus und Agave umzäumt; die von unzähligen kryptogamischen Gewächsen und Farrenkräutern bedeckten Felswände von wunderbarster Form: – selbst Alexander von Humboldt versicherte, nachdem er die Ufer des Orinoco, die Cordilleren und die schönen Thäler von Mexico durchwandert, nie em mannichfaltigeres, anziehenderes, Pracht, Lieblichkeit und Majestät in reicherer Fülle und harmonischerer Uebereinstimmung vereinigendes Gemälde gesehen zu haben! Dazu erfüllen die herrlichsten Singvögel den dunkelblauen Aether mit ihren bezaubernden Gesängen; wunderlieblich musiciren die Kanarienvögel, die hauptsächlich von hier abstammen. – T. hat einen Flächenraum von 63 Quadrat M. mit 85,000 Ew. Die Urureinwohner, die Guanchen (s. Kanarische Inseln), sind nur noch als Dörrleichen in einigen Höhlen vorhanden. Die gegenwärtigen Bewohner stammen von den Spaniern und zum Theil auch von den Normännern ab; sie sind ein ehrenfestes, nüchternes und religiöses Volk. Gern wandern sie aus, und man findet sie häufig als unternehmende Kolonisten in Amerika, wo sie sich durch Industrie und außerordentlichen Fleiß auszeichnen. – Laguna (mit 12,000 Ew.) ist die eigentliche Hauptstadt der Insel, und St. Croix der Sitz des Generalgouverneurs und der obersten Gerichtshöfe des ganzen kanarischen Archipels.

–i–

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 65-67.
Lizenz:
Faksimiles:
65 | 66 | 67
Kategorien: