[808] Predigt, deutsche. Eine eigentliche Predigt in der Form einer Rede geistlichen Inhalts gab es im altdeutschen Zeiträume noch nicht; Bischöfe und Priester begnügten sich, dem Volke deutsch abgefasste kirchliche Formulare, Stücke des damaligen Katechismus vorzutragen; es sind mehrere für diesen Zweck verfasste katechetische Handbücher auf uns gekommen, z.B. aus Weissenburg und St. Gallen, welche das Vaterunser, das apostolische Glaubensbekenntnis, den Hymnus Zachariä (Benedictus) aus Ev. Luc. 1, das Kantikum Mariä (Magnificat), das Athanasische Glaubensbekenntnis, ein Beichtformular und die Teufelsentsagung, bald mehr, bald weniger vollständig, enthalten, bald ohne, bald mit eingestreuten kurzen Erläuterungen. Wo solche Auslegungen des Glaubens und des Gebetes zum Nutzen der Gemeinde etwas breiter wurden, galt es schon für eine Predigt. Noch die karolingischen Kapitularien verlangen von den Pfarrern nichts als solche Glaubens- und Paternosterreden; die Exhortatio ad plebem Christianam (siehe diesen Art.) ist ein Exempel davon. Der lateinische Ausdruck ist praedicare, altdeutsch brediga, bredigôn, bredigâri, was ursprünglich jegliche Mitteilung über Gott und göttliche Dinge bezeichnet, die sich mündlich an eine grössere Menge richtet.
Daneben haben sich vereinzelte Beispiele der in der älteren Kirche hochgeschätzten eigentlichen Reden erhalten, für deren Betrieb Gregor d. Gr. ein eigenes Gesetzbuch, den Liber pastoralis, verfasst hatte. Der Name dieser Predigt im engeren Sinne war sermo, tractatus, griech, homilia, homelia, omelia; je nachdem diese ihr Thema aus den Evangelien, Episteln und Psalmen nahmen, für die man schon früh in den sogenannten Lectionarien eine bestimmte Wahl und Reihenfolge festgesetzt hatte, oder aus den Heiligenleben schöpften, unterschied man sermones de tempore und sermones de sanctis. Daneben schrieben sowohl die Benediktinerregel als Chrodegangs regula canonica (siehe Kanoniker) nach der gemeinsamen Mahlzeit predigtartige Ansprachen vor; der Name dafür ist collatio, mhd. collâzje. Von Bonifaz sind nur 15 Sermones in lateinischer Sprache erhalten, von denen jedoch acht weiter nichts als Glaubens- und Beichtreden sind; auch die übrigen sind sehr einfach und kurz und enthalten wenig mehr als erbauliche Paraphrasen biblischer Stücke. Nun war aber das Recht der Predigt auf die Bischöfe eingeschränkt worden und der niederen Geistlichkeit nur gestattet, ältere lateinische Homilien vorzulesen oder herzusagen. Für die Bischöfe Hess Karl d. Gr. 782 durch Paulus Diakonus eine Sammlung von lateinischen Predigten, tractatus atque sermones, auf alle Sonn- und Festtage fertigen und stellte ihnen dieselbe mit einem empfehlenden Rundschreiben zum Gebrauche zu; sie enthält 200 Predigten der Kirchenväter; Rhabanus Maurus und Haimo von Halberstadt veranstalteten bald nachher ähnliche Sammelwerke; aber erst 813 befahl Karl den Bischöfen, die Homilien[808] von jetzt an in der Volkssprache vorzutragen, eine Verordnung, die zwar mehrmals erneuert, doch bis zum 10. Jahrhundert wenig Beachtung fand. Eine Ausnahme macht eine in sächsischer Sprache erhaltene Homilie Beda's.
Diejenige Predigtform, die vielmehr vorläufig der Bildung des Volkes am meisten entsprach, war diejenige der Dichtung; eine Art Predigt ist das allitterierende Gedicht Muspilli (siehe diesen Art.), an Predigten erinnern die epischen Lieder, aus denen Otfrieds Evangelienharmonie besteht. Erst im 11. Jahrhundert finden sich die Anfänge einer wirklich deutschen Predigt, um von da an nie mehr zu verschwinden. Schon Notkers Übersetzung und Erklärung der Psalmen sind zum Teil beim Gottesdienst in der Klosterkirche vorgetragen worden, wenn sie gleich in einem sehr nüchternen, schulmässigen Stile gehalten sind; dagegen zeigt die sogenannte Bamberger Beichtrede, welche eine Schilderung des Himmels und der Hölle enthält, schon eine poetisch gehobene Darstellungsart, und aus demselben 11. Jahrhundert, dem dieses genannte Stück angehört, hat man auch die erste Sammlung deutscher Predigten, die sogenannten Ambraser Predigten (Müllenhoff und Scherer, Denkmäler, Nr. 86); sie sind dem Gedankengehalte nach aus Gregors d. Gr. Homilien entnommen; in gemässigt einfacher Haltung der Rede begleiten sie die Texte von Schritt zu Schritt mit erbaulicher Auslegung, wobei die Methode durchgängig die seit den Kirchenvätern übliche allegorische ist. Die von jetzt an immer neu entstehenden Predigtsammlungen sind zunächst Handbücher für Priester, zum Teil geradezu Predigtformulare, und schwerlich in ihrer Gesamtheit wirklich gehaltene Predigten. Von grosser Wirkung war auf diesem Gebiete namentlich die lateinische Predigtsammlung, Speculum ecclesiae, des Honorius Augustodunensis (von Autun), Anfang des 12. Jahrhunderts, die vielfach für deutsche Predigten Muster geliefert hat. Vorläufig bleibt noch die in den alten Sermonen zu Recht bestehende Predigtweise in Kraft; die Sermones de sanctis pflegen aus einer kurzen Erzählung mit angehängter erbaulicher Ermahnung zu bestehen; an der Spitze der Sermones de tempore steht in der Regel die Perikope, zuerst lateinisch, dann in deutscher Umschreibung: dieser Text wird dann in der Weise der Homilie, ohne dass zuerst ein einheitliches Schema daraus abgeleitet würde, Glied für Glied beiehrend und erbaulich ausgelegt und angewendet; den Schluss bildet eine allgemein gehaltene Ermahnung und ein kurzer Gebetruf um den Segen Gottes. In der allegorischen Methode ist nunmehr gegen früher die Veränderung eingetreten, dass die Thatsachen der evangelischen Geschichte selbst nicht mehr symbolisch gewendet werden; vielmehr bleiben sie in ihrer ersten und eigentlichen Bedeutung stehen, es wird ihnen aber etwas anderes als sie abspiegelndes Symbol an die Seite gestellt; diese Sinnbilder aber sind entweder natürliche Dinge oder Ereignisse und Personen des alten Testamentes, welches als Typus und Vorahnung des neuen Testamentes aufgeführt zu werden pflegte. Mehr als die dogmatische Seite liegt diesen Predigten die Bethätigung des Glaubens durch Wandel und Werke am Herzen, wobei die ethischen Forderungen sehr den Geist alttestamentlicher Gesetzesstrenge tragen. Sind die Predigten überhaupt mit der Zeit ausführlicher geworden, so gewöhnt man sich seit dem 12. Jahrhundert an die Einschaltung kurzer Geschichten, Legenden, Anekdoten, namentlich des vorchristlichen Altertums.[809]
Einen neuen Aufschwung nimmt die Predigtweise in Deutschland dadurch, dass die namentlich gegen die Ketzer gestifteten Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner sich um eine im höheren Sinne volksgemässe Predigtweise bemühen; man erkennt den Einfluss der Orden sofort auch daran, dass jetzt zum erstenmal Autorennamen auf diesem Zweig der Litteratur auftreten, wie denn überhaupt erst jetzt die Persönlichkeit des Redners zum Durchbruche zu kommen beginnt.
Vorläufig sind es, im 13. Jahrhundert, die Franziskaner, von denen diese Wirkung ausgeht. Die Vertreter dieses Ordens sind hier David von Augsburg und Berthold von Regensburg; von jenem, der 1271 zu Augsburg starb, sind zwar keine deutschen Predigten, sondern bloss deutsche geistliche Abhandlungen, Betrachtungen und Gebete erhalten, welche überall eine erst aus dem lateinischen Ausdruck sich mühselig entwindende deutsche Sprechart verraten. Desto selbständiger ist Davids Schüler, Berthold von Regensburg; seine Predigten sind 1824 unvollständig von Kling und seit 1862 vollständig von Franz Pfeiffer erschienen. Berthold gehörte dem 1221 gegründeten Ordenshause der Franziskaner zu Regensburg an und starb daselbst 1272. Von 1250 bis 1265 durchzog er als Landprediger die deutschen Länder, auch Ungarn und slavische Gebiete, wo ihm ein Dolmetscher zur Seite stand. Die Zahl seiner Zuhörer stieg ins Unglaubliche, so dass er auf freiem Felde, im Walde oder von Mauertürmen herunter predigen musste. Seine zahlreich auf uns gekommenen Predigten sind ohne Zweifel von gedächtnisstarken Jüngern aufgezeichnet worden. Seine Manier ist durchaus von seiner Person getragen, er will ans Gewissen des Einzelnen sprechen, er besitzt hohe Vorzüge rhetorischer Kunst, ohne es zu wissen, er arbeitet mehr mit dem Gemüt und der Phantasie als mit dem Verstand, und es ist ihm mehr um die sittliche Bethätigung des Glaubens als um den Glauben selber zu thun; seine Wirkung war so gross, dass viele Chroniken der Zeit seines Auftretens und seines Todes als eines grossen Ereignisses erwähnen. Bertholds Predigtweise, die doch auch nicht ohne vorbereitende Anfänger war, gaben den Anstoss zu mannigfachen ähnlichen Versuchen und Sammlungen, unter denen besonders diejenige hervorragt, die von Grieshaber »Deutsche Predigten des 13. Jahrhunderts. Stuttg. 1844« herausgegeben worden ist.
Im 14. Jahrhundert ist es der Predigerorden, der, ohne dass dabei der Fortgang der älteren Richtung der Minderbrüder aufhört, der Predigtweise eine neue Bahn bricht. Sie entwickelt sich zunächst nicht auf der Kanzel, sondern auf dem Lehrstuhl des Lehrmeisters oder Lektors im Ordenshause. Das studium generale des Predigerordens zu Köln und das studium sententiarum zu Strassburg wurden die Hauptsitze der mystischen Predigtweise. Dieselbe richtete sich zunächst an die Bewohner der Predigerklöster selbst und an diejenigen Klöster, die sich seinem Einflusse öffneten, namentlich an Frauenklöster. Die hauptsächlichen Vertreter dieser Richtung sind zunächst die anonyme, bei Wackernagel abgedruckte Predigtsammlung, sodann Nikolaus von Strassburg, Lektor zu Köln und Eckard; der letztere gebürtig aus Thüringen, Prior des Predigerklosters zu Erfurt, wirkte als Lehrer zu Paris, Strassburg, Köln; starb zu Köln 1327; er war der Ketzerei angeklagt gewesen und eine päpstliche Bulle bezeichnete zwei Jahre nach seinem Tode achtundzwanzig seiner Lehrsätze teils als ketzerisch, teils als übelklingend und der Ketzerei verdächtig.[810] Eckard ist der spekulativ hervorragendste unter den deutschen Mystikern des 14. Jahrhunderts; als Prediger aber wird er von Johannes Tauler übertroffen; dieser war Eckards Schüler, Lesemeister und Prediger zu Strassburg; mehr als vielgelesener Schriftsteller, denn als Prediger, erlangte Heinrich Suse (lat. Suso) Bedeutung, gest. 1365 im Dominikanerkloster zu Ulm.
Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts fand die Blüte der mystischen Predigt ihren Abschluss (vgl. den Artikel Mystiker); das 15. Jahrhundert zeigt in der Predigt einen meist verdorbenen Geschmack, sowohl was die Ausführung der Predigtteile, als was die Behandlung der Allegorie betrifft; namentlich wurde jetzt auch das maerlin, das früher nur spärlich zur Veranschaulichung der Lehre gedient hatte, im Übermass und possenhaft verwendet; man legte jetzt sogar Predigtmaerlein an. Der einzige bedeutende Prediger dieses Jahrhunderts ist Johannes Geiler von Kaisersberg, geb. 1440 zu Schaffhausen (auf der Durchreise seiner Eltern), Priester und Lehrer, nicht Mönch, an den hohen Schulen zu Basel und Freiburg im Breisgau, zuletzt Prediger am Münster zu Strassburg, gest. 1510; er zeigt schon den Einfluss des Humanismus, was sich namentlich in der Abwerfung des abergläubischen Elements zeigt. Er pflegte über ganze Werke zu predigen, wie über des Albertus Magnus Buch de virtutibus und über das Narrenschiff. Er selber schrieb nur lateinische Entwürfe und überliess die Ausführung dem Momente und die Überlieferung der gehaltenen Predigt Freunden und Verehrern. Nach W. Wackernagel, Altdeutsche Predigten und Gebete, Basel 1876. Marbach, Geschichte der deutschen Predigt vor Luther, und Cruel, Geschichte der deutschen Predigt im Mittelalter, Detmold, 1879.
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