[1027] Unehrliche Leute. Bürgerliche Ehr- und Rechtlosigkeit lastete im Mittelalter nicht bloss auf denjenigen, die sich gewisser Verbrechen schuldig gemacht hatten, sondern auf allen denen, welche keine Waffen tragen durften, wie der Knechte, Juden, Türken und Heiden, und nicht minder auf gewissen Gewerben und[1027] Dienstverhältnissen, deren Ausübung sich nach der Auffassung der Zeit mit der vollen Ehrenhaftigkeit eines freien Mannes nicht vertrug. Über die letztern hat Otto Beneke in einem Büchlein gehandelt, das den Titel führt: Von unehrlichen Leuten, Hamburg 1863. Daraus mögen hier einige Nachrichten zusammengestellt werden.
Als unehrlich galten Hirten, Schäfer und Müller. Söhne von Müllern waren zu Karls d. Gr. Zeit von allen geistlichen Ämtern und Würden ausgeschlossen. Mancherorts war den Müllern die Lieferung aller benötigten Galgenleitern aufgebunden, und erst im 16. Jahrhundert wurden durch Reichspolizeiordnungen die Müller mit den Hirten und Schäfern vollständig ehrlich erklärt, doch brauchte es noch mancher kaiserlichen Erklärung, bis sie Zulassung zu allen ehrlichen Zünften und Gilden erhielten.
Spielleute gehörten schon ihrer wandernden Lebensart halber keiner bestimmten Genossenschaft an; dass sie zudem Gut für Ehre nahmen, und sich selbst für Geld zu eigen gaben, machte sie unehrlich. Und zwar war hier mit der Ehrlosigkeit eine Art Rechtlosigkeit verbunden, welche sich auf die Unfähigkeit bezog, zu gerichtlichen und anderen Ehrenämtern gewählt zu werden; war ein Spielmann unverdient gekränkt worden, so bestand seine ganze Genugthuung darin, dass man ihm den Schatten seines im Sonnenschein gegen die Wand gestellten Beleidigers Preis gab; diesem Schattenbilde durfte er dann einen Schlag an den Hals geben. Eine Reichspolizei-Ordnung des 16. Jahrhunderts verfügte, dass alle Schalksnarren, Pfeifer, Spielleute, Landfahrer, Sänger und Reimensprecher eine besondere, leicht erkennbare Kleidung tragen sollten, damit die ehrlichen Leute sich desto leichter vor Schaden hüten und von ihrer Gemeinschaft absondern könnten. Spätere Reichsgesetze erklärten die Pfeifer und Trommler für ehrlich und warfen bloss noch die, »so sich auf Singen und Reimensprechen legen« als fahrende Leute in das gleiche unehrliche Recht zu den Schalksnarren. Als im dreissigjährigen Krieg fahrende Spielleute in die stehenden Verbände der angesehenen Trompeter und Paukenschläger eingetreten waren, erwirkten eine Anzahl angesehener kaiserlicher und fürstlicher Hof- und Feldtrompeter und Heerpauker ein kaiserliches Privileg, wonach der Kriegs- und Hofdienst den Türmern und blasenden Komödianten strenge verschlossen bleiben sollte. Auch die in den Städten fest angesiedelten Pfeifer, welche ebenfalls zu Verbrüderungen zusammengetreten waren, die Kunstpfeifer, Stadtpfeifer oder Ratsmusikanten, wollten nichts von den fahrenden Spielleuten wissen.
Bader und Barbiere sind schon früh der Unehrlichkeit anheim gefallen, offenbar darum, weil die Bäder mit der Zeit als Herbergen der Leichtfertigkeit angesehen wurden. Als Kaiser Wenzel durch eine heroische Bademagd aus der Gefangenschaft errettet wurde, belohnte er 1406 diesen Dienst durch ein Privileg, wonach das Handwerk der Bader künftig überall makellos, ehrlich und rein angesehen werden sollte; zugleich verordnete er den Badern ein Zunftwappen, nämlich im güldenen Schild eine knotenweis verschlungene Aderlassbinde, in deren Mitte ein grüner Papagei prangte. Doch hatte das Privileg wenig Wirkung, und die vornehmeren Zünfte versagten noch lange den Söhnen von Badern die Aufnahme. Die Ursache der Unehrlichkeit, in welcher die Barbierer standen, mag ihre Mitwirkung an der Inquirierung und Torquierung von gefangenen Missethätern gewesen sein.
Leineweber kamen wie die Müller[1028] deshalb in den Verruf unehrlicher Leute, weil ihr Gewerbe eine vielfache und bequeme Verführung zum Betruge darbieten sollte; entweder sei das Garn oder der Kleister gefälscht oder das Längen- und Breitenmass unrichtig. Waren an einigen Orten die Müller verpflichtet, die Leiter zum Galgen zu liefern, so war den Leinewebern auferlegt, den Galgen selber zu machen. Verschiedene alte Leineweberlieder bestätigen die Ansicht, die man von diesem Gewerbe hegte; in einem solchen Liede heisst es:
Der Leineweber schlachtet alle Jahr zwei Schwein,
Das eine ist gestohlen, das andre ist nicht sein.
Übrigens war die Unehrlichkeit der genannten Gewerbe nicht allgemein, und es gab Landschaften, Städte, Zeiten, wo Müller, Barbierer und Leineweber sich eines durchaus ehrlichen Namens erfreuten; die vornehmste Zunft in St. Gallen war z.B. diejenige der Leinwandweber, weil auf ihnen der Reichtum und Ruhm der Stadt beruhte. An einigen Orten waren auch diejenigen Gerber verrufen, die Hundshäute verarbeiteten, an andern Tuchmacher, die Raufwolle verarbeiteten, hie und da auch Schornsteinfeger und Essenkehrer.
Von Staats- und Gemeindedienern, welche in teilweiser Unehrlichkeit standen, wurden durch das Reichsgesetz von 1731 der Unehrlichkeit los- und freigesprochen die Gassenkehrer, Bachfeger, Holz- und Feldhüter, Leute, die offenbar durch ihren zum Teil schmutzigen und niederen Beruf zu der öffentlichen Unehre gekommen waren. Ihnen schliessen sich an die Zöllner, die Totengräber, die Türmer, und zwar diese oft um deswillen, weil man die Beaufsichtigung der als Haftlokale dienenden Türme den Scharfrichtern übertrug, welche den Dienst durch einen Knecht versehen liessen, dann die Bettelvögte. Von den Nachtwächtern gehörten nur diejenigen zur Klasse der unehrlichen Leute, welche zugleich zum Diebsfangen gebraucht wurden: die richtigen Nachtwächter, welche mit Lanze, Horn und Leuchte vigilierten, galten als ehrlich.
Gerichts- und Polizeidiener waren in ältester Zeit durchaus ehrlich; erst als man die Schergen für Straf- und Blutgerichte von den gewöhnlichen Fronboten in Zivilsachen trennte und für jene häufig Unfreie nahm, kam der Dienst in den Geruch der Unehrlichkeit, der ihm bis ins 18. Jahrhundert an manchen Orten blieb. Unehrlicher aber als alle genannten Stände war der Stand des Scharfrichters und Henkers. Auch dieser zwar war nach der ältesten Sitte ein ehrlicher Mann, oft der jüngste Richter selbst oder der jüngste Ehemann in der Gemeinde. Das Amt büsste zwar schon dadurch an bürgerlicher Ehrenhaftigkeit ein, dass es sich zu einem Berufe entwickelte, der nur von unfreien Leuten übernommen werden mochte, dass sich mit der Einführung des römischen Rechts die verhasste Exekution der Tortur damit verband und endlich, dass der Scharfrichter zugleich Abdecker oder Schinder wurde. Um nun die verachteten Scharfrichter gegen die Folgen einer volkstümlichen Vogelfreiheit zu schützen, wurden sie durch kaiserliche oder landesherrliche Privilegien geschirmt, daher ihr Name Freimann und Freiknecht. Mit der Zeit wurde das verachtete Scharfrichteramt fast erblich, wie es der Unehrlichkeit des Geschlechtes gemäss kaum anders sein konnte, zugleich aber war es ein recht einträgliches Amt geworden. Wie bei den Fechtmeistern gab es Scharfrichterfamilien, deren Angehörige über eine ganze Provinz verbreitet waren; sie hiessen Schelmensippen. Erst im Reichspolizeigesetz von 1731[1029] wurde bestimmt, dass zwar die Unehrlichkeit bei den Nachkommen des Schinders in erster und zweiter Generation stehen bleiben soll, die ferneren Generationen aber zu allen und jeden ehrlichen Handwerken und Erwerbsarten zugelassen werden sollen. Durchgreifender lautete das kaiserliche Patent von 1772, wonach die Kinder der Wasenmeister, welche die verwerfliche Arbeit ihres Vaters noch nicht getrieben haben, noch treiben wollen, von den Handwerken nicht auszuschliessen, sondern ehrlich zu achten seien.
Es war Sitte, dass in der Scharfrichterfamilie der älteste Sohn des Vaters Meistertitel und Lehen erbte, während die jüngern, falls sie nicht einen eigenen Dienst erhielten, Henkersknechte und Abdeckerleute wurden, zu denen sich etwa unehrliche Leute andern Standes, ja Räuber und Mörder gesellten. Innerhalb einer solchen vom Verkehr mit der übrigen Welt ausgestossenen verachteten und gefürchteten Familie, bestand aber eine gewisse Strenge und Gesetzmässigkeit. Seine Frau fand der Meister in der Familie einer anderen Scharfrichterei, die jüngeren Söhne blieben meist ledig. Die Scharfrichtersöhne hatten ihre Lehr- und Wanderjahre durchzumachen, wobei sie ihren besonderen Handwerksgruss besassen. Da jede Berührung eines Ehrlichen mit dem Henker beschimpfend wirkte, war derselbe zu einer eigenen, leicht erkenntlichen Kleidung verbunden, er sass in der Kirche auf einem entlegenen, gesonderten Platz und genoss das Abendmahl allein und zuletzt. Eine verunglückte Exekution wurde wohl augenblicklich durch die Volksjustiz geahndet, indem man den Scharfrichter marterte, steinigte, zerriss; daher man ihm später, als das freie Geleit nichts mehr fruchtete, eine starke Militärmacht beigab. Es war auch Sitte und Vorschrift, dass nach vollzogener Exekution der Scharfrichter vom Schaffot herab den anwesenden Richter anredete und fragte, ob er recht gerichtet? Nachdem dieser geantwortet: »Du hast gerichtet, wie Urteil und Recht gegeben und wie der arme Sünder es verschuldet hat«, entgegnete jener schliesslich: »Davor danke ich Gott und meinem Meister, der mir diese Kunst gelernet.« Die Diensteinnahmen des Scharfrichters bestanden ausser der Wohnung in den nach bestimmten Taxen geregelten einzelnen Verrichtungen. Geringere Strafen, wie Staupenschlag und Brandmarken, besorgte der Meisterknecht; in grossen Städten fielen diesem auch die Exekutionen mit Galgen und Rad anheim, wofür er den Spezialtitel Henker erhielt, und der Scharfrichter selber handhabte bloss das Schwert. Oft funktionierte er zugleich, im Geheimen natürlich, als Tier- und Menschenarzt, wobei er vielfach in den Ruf zauberkundiger Mittel geriet. Berühmt war namentlich der Scharfrichter zu Passau, der 1611 den Soldaten des Erzherzog Matthias einen Talisman gegen Hieb, Schuss und Stich verkaufte; das Geheimmittel kam so in Schwung, dass es den Namen Passauer-Kunst erlangte, welche noch die Nachkommen des Erfinders ausbeuteten. Andere Scharfrichter verstanden sich auf Freikugeln, aufs Festmachen, auf sympathetische Mittel u. dgl.
Ausser der Person des Scharfrichters und seiner Gesellen nahmen die bei seinen Verrichtungen gebrauchten Geräte Anteil an dem Rufe der Unehrlichkeit. Dazu gehört das Abdeckermesser, womit sich der Träger gegen diejenigen wehrte, welche, entgegen dem ihm erteilten Privilege, in betreff der Bestattung alles verlebten Viehes, etwa einen Hund, eine Katze oder dgl. auf eigene Faust töteten oder begruben. In das Haus eines solchen Rechtsverletzers und zwar in den Thürpfosten[1030] desselben stiess er dann sein allbekanntes Abdeckermesser; der an ihm haftenden Unehrlichkeit wegen wagte niemand es herauszunehmen und war kein anderes Hilfsmittel, als den Wasenmeister zu beschicken und ihm die Gebühr zu zahlen. Gefürchtet und gemieden war das Richtschwert; es ist ein mässig langes, breites, schweres Klingeneisen, mit beiden Händen zu schwingen, und steckt gewöhnlich in schwarzlederner Scheide, meist mit einer Inschrift auf der Klinge, z.B.:
Wenn ich das Schwert thu aufheben,
So wünsch ich dem armen Sünder das ewige Leben.
Eine Ehrlichsprechung geschah nicht bloss in bezug auf ganze Stände und Gewerbe von seite des Kaisers und Reichstages, sondern es sind auch einzelne unehrliche Leute, die sich verdient gemacht hatten, vom Kaiser ehrlich gesprochen worden.
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