Scott [1]

[160] Scott, Walter, einer der bekanntesten Romanenschreiber Großbritanniens, der Vater des in allen Ländern gepflegten historischen Romans in seiner kunstmäßigsten Gestalt, geb. 1771 zu Edinburgh aus einem alten schottischen Geschlechte, wurde 1792 Advokat, beschäftigte sich aber weit lieber mit der schönen Literatur als mit Processen, betrat die Schriftstellerbahn mit Uebersetzungen aus dem Deutschen (Bürgers Lenore und wilder Jäger; Göthes Götz von Berlichingen), dichtete Balladen (Glenfinlas; der Abend des hl. Johannes) u. sammelte Balladen, namentlich bei den Bewohnern des romantischen und von der übrigen Welt abgeschlossenen Thales Liddesdale, deren Herausgabe ihm wesentlich nützte (the minstrelsy of the Scotish borders). Während er einträgliche und ziemlich mühelose Aemter erhielt (er wurde 1800 Sheriff der Grafschaft Selkirk, 1806 erster Gerichtsschreiber bei dem schottischen Obergericht), erwarb er Ruhm u. Geld durch das »Lied des letzten Minnesängers« (1805), das stürmische Heldengedicht »Marmion a tale of Flotenfield« (1808) und durch das »Fräulein vom See« (the lady of the lake, 18101, besorgte zugleich Ausgaben der Werke von Dryden, Swift u.a.m. und wurde Mitarbeiter an Southey's »Annual register.« 1811 kaufte er sich am Ufer des Tweed sein Landgut Abbotsford, beschäftigte sich angelegentlich mit der Verbesserung u. Verschönerung desselben und schien sich als Schriftsteller bereits überlebt zu haben, zumal Lord Byron als Stern erster Größe am Dichterhimmel Großbritanniens zu glänzen begann. Aber jetzt wurde S. Romanenschriftsteller u. zum »großen Unbekannten,« der das neugierige Europa über ein Jahrzehnt auf seinen Namen warten ließ. Der früheste Roman »Wawerley, or 'tis sixty years since« (1814) erschien nämlich anonym, hatte außerordentlichen Erfolg und fortan nannte sich S. nur »author of the Wawerley« (Verfasser des Wawerley); er schrieb viel und seine Romane (Guy Mannering 1815; the antiquary 1816; the tales of my landbord in mehren Reihenfolgen; Rob Roy 1818; dann Romane, deren Schauplatz nicht mehr Schottland, sondern England war z.B. Ivanhoë (1820), Kenilworth (1821), Quentin Durward (1823 u.s.f.) flogen in Uebersetzungen sofort in alle civilisirten Länder, allein 1826 kam er durch den Bankerott seines Verlegers nicht nur um die pekuniären Früchte seiner Muse, sondern in Schulden und suchte sich durch doppelten Schreibeifer wieder emporzuarbeiten. Dem »Leben Napoleons«, das S. schon 1827 in 9 Bänden fertig hatte, sieht man die Eile an, dabei hat es andere Fehler genug, doch trug es dem Verfasser nicht weniger als 12000 Louisdors ein. 1827 bekannte sich S. als den Verfasser der Wawerley-Romane, 1829 besorgte er eine Gesammtausgabe seiner Werke, strebte fortan, die Geschichte Schottlands zum Gemeingut des schottischen Volkes zu machen (Erzählungen eines Großvaters 1828–1830; [160] eine Geschichte Schottlands in Lardners Cabinetsencyklopädie 1830) und st. 1832 zu Abbotsford. Sein Grab befindet sich in den prächtigen Ruinen von Dryburgh-Abbey am Tweed, ein gerühmtes Denkmal zu Edinburgh. Auf die deutsche Literatur hat S. durch seine Wawerleyromane außerordentlich eingewirkt, woran die Namen: van der Velde, Rehfues, Spindler, Hauff u.s.f. erinnern mögen. Unter den vielen über S. erschienenen Schriften seien hier erwähnt J. G. Lockharts Lebensbeschreibung (London 1852) und Washington Irvings: Abbotsford and Newstead-Abbey (Lond. 1835, deutsch Berl. 1835).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 160-161.
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