Auf einem andern Stern

[14] Die Purpurdecke deines Zeltes hebt

Ganz langsam eine schmale weiße Hand,

Und meine Königin, im Rosenschmuck

Der schlaferquickten Jugend, grüßt den Tag.


Seit gestern weilen wir auf diesem Stern,

Millionenmal millionen Meilen weit

Entrückt der Erde. Als ich von dir ging,

Stand über mir der blasse Erdenmond,

Und eines Wächters harte Stimme wies

Von deines stillen Gartens Gitter mich,

Vermutend den gesuchten Äpfeldieb.


Seit gestern weilen wir auf diesem Stern,

Und eine Nacht, der selbst der Wettgesang

Von vielen hundert Nachtigallen nichts

Vom Zauber ihres tiefen Schweigens nahm,

Bracht uns Vergessen. Mißverständnis, Stolz

Und jede Kluft, die Menschennarrheit schuf,

Blieb hinter uns, und die Erinnerung starb.[14]


Die Purpurdecke deines Zeltes hebt

Ganz langsam eine schmale weiße Hand,

Und meine Königin, im Rosenschmuck

Der schlaferquickten Jugend, grüßt den Tag.

Wie bist du schön im vollen Morgenglanz

Der sieben Sonnen, die, ein reicher Ring,

Hier unseres Glückes Wiegenbett umstehn.

Schneeweiße Seide, lose aufgerafft

Von goldnen Spangen, hüllt den schlanken Leib,

Und nicht der kleinste Zierat weiter stört

Der zarten Formen keuschen Linienfluß.


Seit gestern weilen wir auf diesem Stern,

Und niemals ist ein schönerer Morgen wohl

Auf eine schönere Nacht, wo auch, gefolgt.

Den sieben Sonnen wich die Siebenzahl

Der sanften Silbermonde, die das Amt

Der Wächter vor dem Liebeszelt versahn

Und blaß und blässer wurden, stündlich mehr,

Vor Neid und Neugier. Doch das dichte Tuch

Des Purpurdaches wehrte jedem Blick,

Selbst jeder Laut verfing im schweren Stoff

Des Vorhanges sich, und wie ein Traumakkord

Traf leis von draußen das Geschluchze nur

Der lauten Liebessänger unser Ohr.


Die Purpurdecke deines Zeltes hebt

Ganz langsam eine schmale weiße Hand,

Und meine Königin, im Rosenschmuck

Der schlaferquickten Jugend, grüßt den Tag.

Ein wenig neigst die weiße Stirne du

Und senkst den Blick, geblendet von dem Licht,

Und hold verwirrt von dem Gedenken noch

Der Nacht und ihrer süßen Heimlichkeit.

Doch stürmisch reißt mein Arm dich zu mir her,

Und stürmisch küßt mein Mund auf deinem Mund

Den ersten Morgengruß des Weibes wach.

Dann schreiten wir umschlungen in den Tag,

Glücktrunken in das goldne Paradies,

Das niemals eines Menschen Fuß betrat.[15]

Denn unser ist der Stern, der uns jetzt trägt,

Von Anbeginn, und unserer Liebe ward

Er vorbestimmt in Gottes Weltenplan.


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 14-16.
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