Anstrichfarben [1]

[232] Anstrichfarben, allgemeine Bezeichnung für zum Gebrauche fertige, also flüssige Farben, bestimmt, Objekte aus irgend einem Material mit einer Schicht zu versehen, welche die Unterlage verdeckt und konservierend oder verschönernd oder beides zugleich wirkt.

Jede Anstrichfarbe besteht aus einem Bindemittel und einem Farbkörper, die mechanisch vereinigt werden und sich leicht durch Verdünnen und hierauf folgendes Absitzenlassen oder Filtrieren wieder voneinander scheiden lassen. Je nach der Beschaffenheit des Bindemittels unterscheidet man Leim-, Gummi-, Leinöl-, Leinölfirnis-, Wasserglas-, Blut-, Käse- und Lackfarben, und alle diese Anstrichfarben haben die Eigenschaft, auszutrocknen (durch Verdampfen des Lösungsmittels, durch chemische Veränderungen) und einen festen und mehr oder weniger widerstandsfähigen Ueberzug zu bilden. Für die Aufbewahrung und die Versendung haltbar sind nur die mit Leinöl und Leinölfirnis hergestellten Anstrichfarben, während alle andern entweder zufolge des angewendeten Bindemittels fest oder sulzig und damit unbrauchbar werden, oder aber in Fäulnis übergehen und damit ihre Verwendungsfähigkeit einbüßen.[232]

Die Herstellung der Oelanstrichfarben – es soll fernerhin nur von diesen die Rede sein – geschieht im allgemeinen, indem man die äußerst sein gemahlenen Farbkörper in einem Gefäße mit dem trocknenden Oel innig vermischt und diese Masse durch Farbenreibmaschinen (s.d.) verschiedener Konstruktionen behufs weiterer Mischung und Verfeinerung hindurchgehen läßt. Die Anforderungen, die man an die Oelanstrichfarbe stellt, sind: 1. sie muß die nötige Konsistenz besitzen, d.h. sie muß sich leicht streichen und verteilen lassen und sich selbst verteilen (verlaufen), ohne abzurinnen; 2. sie muß gut und sein verrieben, d.h. jedes Partikelchen Farbe muß mit dem Bindemittel so umhüllt und von demselben so durchdrungen sein, daß die Farbe eine gleichmäßige Salbe (wenn dick gerieben) oder eine gleichmäßige Flüssigkeit (wenn strichfertig) darstellt; 3. sie muß rasch trocknen und rasch seit werden; 4. sie muß gut decken, d.h. so viel Farbkörper enthalten, als nötig ist, um die Farbe des gestrichenen Gegenstandes zu verdecken; 5. sie darf weder die angestrichenen Gegenstände an und für sich, noch unter Mitwirkung des Bindemittels schädigen, noch auch durch das Material des gestrichenen Gegenstandes unvorteilhafte Veränderungen erleiden; sie muß möglichst fest auf den gestrichenen Gegenständen haften und möglichst dauerhaft sein. Haupterfordernisse für die Erfüllung dieser Bedingungen sind: reines Leinöl oder Leinölfirnis und geeignete Farben. Viele Anstrichfarben werden aber, anstatt mit Leinöl oder Leinölfirnis, mit Gemengen von Harzöl und Leinöl, Leinölfirnissurrogaten, in jüngster Zeit sogar in Verbindung mit Petroleum hergestellt; auch die beschwerenden Zusätze zu den Farbkörpern sind als Verschlechterungen zu betrachten. Die beschwerenden Zusätze (meistens aus Schwerspat bestehend) beeinflussen nämlich wenn auch nicht die Haltbarkeit, so doch die Deckkraft der Anstrichfarben sehr bedeutend; Farben mit einem Zusatz von 80% Schwerspat sind keine Seltenheit, besonders dann, wenn der Lieferant durch billige Preise die Konkurrenz beilegen will. Von den Farbkörpern sind nur Bleiweiß, Bleifarben überhaupt, Chromfarben und einige Eisenfarben spezifisch sehr schwer, alle andern Farben, wie Zinkweiß, alle Erdfarben, reines Chromgelb u.s.w. sind leicht, und man kann schon aus dem Volumen, das solche Farben zeigen, schließen, ob man eine reine oder eine mit Schwerspat versetzte Farbe vor sich hat. Um die Deckkraft zweier Farben zu vergleichen, ist der Anstrich auf eine abgemessene Fläche mit einer abgewogenen Menge Anstrichfarbe immer die zuverlässigste Prüfungsmethode, und jene Anstrichfarbe wird die bessere sein, die bei geringstem Verbrauch die größte Fläche deckt. Der Käufer von Anstrichfarben soll also in erster Linie auf die Deckkraft sehen und erst in zweiter Linie die scheinbare Wohlfeilheit des Preises berücksichtigen. Eben dieser beschwerenden Zusätze halber sind auch die Preise der Anstrichfarben sehr verschieden und variieren für Anstrichfarben, die aus Erdfarben bestehen, von 25–55 ℳ., für Bleiweiß von 30–70 ℳ., für Zinkweiß von 40–75 ℳ. per 50 kg u.s.w. Wenn nun, angenommen, Leinöl 45–48 ℳ. und chemisch reines Bleiweiß 45 ℳ.. kostet, so ist leicht zu ermessen, daß der Fabrikant für 30 ℳ. nicht chemisch reines Bleiweiß liefern kann, sondern daß seine Ware beschwerende Zusätze enthält. Bei großem Konsum der Anstrichfarben wird man wohl daran tun, sich von den Lieferanten die Ware frei von Schwerspat, Leichtspat, Gips, Kreide u.s.w. garantieren zu lassen; man wird dann allerdings einen höheren Preis anlegen müssen, allein dieser Preis ist nur scheinbar höher, denn man streicht mit dieser Farbe eine weit größere Fläche als mit der billigen. Die unter meist sehr hochtrabenden Namen in den Handel gebrachten Anstrichfarben sind Produkte, für die weit über den Wert hinausgehende Preise verlangt und auch bezahlt werden, die aber auch nur aus Leinöl oder Leinölfirnis, mit einem der bekannten Farbkörper verrieben, bestehen. Daneben kommen im Handel ebenfalls unter Phantasienamen Anstrichmittel vor, die wenig oder gar kein öliges Bindemittel enthalten und deren Wert als Anstrichmittel ein sehr fraglicher ist.

Andés.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 232-233.
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