[693] Schikane, im Rechtssinn, liegt vor bei Ausübung eines Rechts, wenn diese Ausübung nur den Zweck haben kann, einem andern Schaden zuzufügen (B.G.B. § 226).[693]
Angesichts einer so überaus weitgehenden Einschränkung des Begriffs im Gesetz ist klar, daß Leben und Verkehr unzählige Maßnahmen, Rechtsausübungen als Schikane empfinden und bezeichnen, die es nach Anstand und Moral zwar wohl auch sind, nicht aber nach der Definition des Bürgerlichen Gesetzbuchs; es ist daher auch instruktiver, Beispiele aufzuzählen dafür, was nicht Schikane ist; ob dann freilich noch viel übrigbleibt, worauf § 226 angewendet werden könnte, ist eine andre Frage.
Schikane ist also nicht Ausübung eines Rechts, wenn sittliche Rücksichten die Ausübung verbieten; hier greift unter Umständen § 826 B.G.B. Platz, der vorsätzlich verübte und gegen die guten Sitten verstoßende Schädigungen, die sogenannten illoyalen Handlungen mit der Strafe des Schadenersatzes an den Beschädigten belegt. Ausübung eines Rechts ist nicht schon dann Schikane, wenn auch einem andern dadurch absichtlich oder unabsichtlich Schaden zugefügt wird; so wurde das Verbauen der Aussicht, das Ausheben von Kies seitens des Grundeigentümers mit dem deutlich erkennbaren Zweck, den Nachbar zu schädigen und so zum Verlaut seines Grundstücks zu zwingen, deshalb noch nicht für unzulässig erachtet, weil das Verbauen bezw. Ausgraben nicht zum einzig möglichen Zweck, die Schädigung des Nachbars, sondern auch die bessere Verwertung des Grundstücks, die Verwertung des Kieses haben konnte (s. § 903 B.G.B.). Schikane ist nicht Ausübung eines Rechts zwecks Abwendung eines Schadens vom Berechtigten, auch wenn dies nur unter Schädigung des andern möglich wäre; z.B. ist ein Pfandgläubiger nicht verpflichtet, von seinem Pfand etwas herauszugeben, bevor er nicht für seine ganze Forderung bei Heller und Pfennig befriedigt ist (§§ 1210 ff. B.G.B.; entgegengesetzt beim Zurückbehaltungsrecht, §§ 369 ff. H.G.B.). Schikane ist es nicht, wenn ein Käufer auf Grund einer an sich begründeten Reklamation vom Kauf zurücktritt, während es ihm in Wahrheit nur darum zu tun ist, aus anderm Grunde, z.B. wegen Sinkens der Preise, von dem Abschluß loszukommen. Als Schikane wurde es nicht anerkannt, daß einer von dem ihm gegen einen andern zustehenden Konkurrenzverbot Gebrauch machte zu einer Zeit, da der erstere gar kein derartiges Geschäft betrieb.
Aus diesen der deutschen Rechtsprechung entnommenen Beispielen läßt sich der nicht eben betriegende Satz herausdestillieren: Schikane im Rechtssinn liegt nur vor, wenn die Handlung des sein Recht Ausübenden jeden andern Zweck als den der Schikane völlig ausgeschlossen erscheinen läßt. Läßt sich noch ein andrer Zweck des Handelns, namentlich also der des eignen Vorteils denken, mag selbst dieser Zweck augenscheinlich mit der Schädigung eines andern verknüpft und wegen der Wahl des benutzten Mittels oder aus sonstigen Gründen von einem rechtlich Denkenden nicht zu billigen sein, so ist für die Geltung des § 226 B.G.B. kein Raum; ob § 826 B.G.B, (s. oben) Platz greifen kann, ist aus dem herrschenden Volksbewußtsein unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen Maßstabs je nach den Umständen des einzelnen Falls zu entscheiden. Jeder ist also befugt, die ihm zustehenden Rechte in ihrem vollen Umfang auszuüben, soweit diese Ausübung irgendeinem Interesse des Berechtigten zu dienen vermag; nur wo gar kein solches Interesse mehr denkbar ist, hört die Befugnis zur Rechtsausübung auf und ist der Ausübende dem Beschädigten zum Schadenersatz verpflichtet.
Da nun die Anwendbarkeit solcher allgemeinster Sätze doch zu schlimmer Rechtsunsicherheit führen müßte, hat das Bürgerliche Gesetzbuch eine Reihe von Einzelbestimmungen erlassen, deren wichtigste hier kurz angedeutet sein mögen: Verträge sind so auszulegen, Verbindlichkeiten so zu erfüllen, wie Treu und Glauben mit Rücklicht auf die Verkehrssitte es erfordern (B.G.B. §§ 157, 242); eine unerhebliche Minderung des Werts oder der Tauglichkeit der Kaufsache berechtigen den Käufer nicht zur Wandlung oder Minderung (B.G.B. §§ 459, 462); eine kurze unverschuldete Verhinderung des Angestellten an der Leistung seiner Dienste nimmt ihm den Anspruch auf Gehalt nicht (B.G.B. 616 s., cf. H.G.B. § 63); ein Grundstückseigentümer kann Einwirkungen auf sein Grundstück nicht verbieten, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, daß er an der Ausschließung kein Interesse hat (B.G.B. § 905); ein Grundstückseigentümer kann die Zuführung von Rauch, Ruß, Gasen, Gerüchen, Geräusch u.s.w. insoweit nicht verbieten, als die Benutzung seines Grundstücks dadurch nur unwesentlich beeinträchtigt oder durch eine nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Benutzung des beifügenden Grundstücks (z.B. in einem Fabrikviertel) herbeigeführt wird (B.G.B. §§ 906 s., 1004, cf. Gew.O. §§ 16, 19); ein Grundstück darf nicht in der Weise vertieft werden, daß der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert (B.G.B. § 909); fahrlässige Grenzüberschreitung bei einem Bauwesen berechtigt den Geschädigten nur zur Forderung von Schadenersatz, wenn letzterer nicht vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat (B.G.B. §§ 912 ff.); der Nachbar, dessen Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg nicht hat, kann verlangen, daß der Eigentümer die Benutzung seines Grundstücks zur Herstellung dieser Verbindung gegen Entschädigung dulde (B.G.B. §§ 917 ff.); Schikane zu verhüten sind ferner bestimmt die Vorschriften des B.G.B. §§ 910 s., betreffend Ueberhang- und Ueberfallsrecht, §§ 919 s., betreffend Abmarkung und Grenzverwirrung, und eine große Reihe Detailvorschriften in Landesgesetzen, insbesondere über das Nachbarrecht, so z.B. die Art. 217 bis 254 des Württ. Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, die auf Grund des Vorbehalts im Art. 124 des Reichseinführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ergangen oder in Geltung geblieben sind und meist die Materie bis in die kleinsten Einzelheiten regeln. Der Vollständigkeit halber mag noch hingewiesen werden auf das Gesetz betreffend den unlauteren Wettbewerb und die Bestimmungen des H.G.B. §§ 74, 76, 112, 236, 326 und der Gew.O. §§ 133 s. über die Konkurrenzverbote, welche Schikane und illoyale Handlungen zu verhüten bestimmt sind; ob und wie dieser Zweck erreicht wird, braucht hier nicht untersucht zu werden.
Literatur: Die Kommentare zum Bürgerlichen Gesetzbuch von Planck und Staudinger; Die Spruchsammlungen der deutschen obersten Gerichte; Jacubezky in Gruchots Beiträgen zur Erläuterung des deutschen Rechts, Bd. 40. S. 591 ff.
Sick.