[116] Chloren der Wolle. Für den Ausfall des Wolldruckes ist das Chloren eine wichtige Vorbehandlung geworden, denn es hängen davon Tiefe und Lebhaftigkeit der Nuancen sowie Gleichmäßigkeit der aufgedruckten Farben ab. Die Nutzbarmachung der durch Chlor erzielten guten Färbeeigenschaften (glänzende und intensive Farbtöne) lassen lieh jedoch für die Ausfärbung loser Wolle oder unfertiger Wollartikel nicht verwerten, da die gechlorte Wolle gleichzeitig ihre für die Walke erforderliche Filzfähigkeit verliert.
In der Praxis wird daher nur die für nachfolgenden Aetzdruck bestimmte Stückware vor oder nach ihrer Ausfärbung der Chlorbehandlung unterworfen. Neuere Studien [1], [2] über die Einwirkung von Chlor auf Schafwolle haben folgendes Neue erbracht [2]. Bei der Chlorbehandlung von Wolle wird Chlor chemisch gebunden unter Bildung eines Chloreiweißes, das eine Hauptrolle bei dem Drucken und Färben technisch chlorierter Wolle spielt. Dieses Chloreiweiß unterscheidet sich von den bekannten Halogeneiweißen durch seinen hohen Schwefelgehalt und seine Unlöslichkeit in überschüssigen Säuren und Schwermetallsalzen. Die Verteilung des Stickstoffes in dem Chlorkeratin ist wenig verschieden von dem Ausgangskörper Wolle, nur der Gehalt an präformiertem Ammoniakstickstoff ist auf die Hälfte gesunken. Das Chlorkeratin bildet sich in dünner Schicht auf der Wollfaser, während die darunter liegende Wollsubstanz chemisch nicht verändert ist. Chlorierte Wolle löst sich nicht unter Stickstoffentwicklung in Ammoniak, wie dies in der Literatur meist behauptet wird. Demgemäß muß man annehmen, daß das Schuppenepithel vom übrigen Teil der Wollfaser chemisch verschieden ist, da es kein Chlor aufnimmt, und daß die basische Natur der Wolle auf dem Gehalt an präformiertem Ammoniak beruht. Der Verlust an Walkfähigkeit chlorierter Wolle dürfte daher nicht allein auf die Ablösung, sondern auf eine Denaturierung ihrer Schuppen zurückzuführen sein, während der barsche Griff chlorierter Wolle durch die unter dem Schuppenepithel liegende Chlorkeratinschicht bedingt wird.
Man hat also bei der Wolle mit zwei Eiweißkörpern von chemisch verschiedener Natur zu rechnen. Selbst bei einem energischen chemischen Angriff wird nicht gleich die ganze Faser chemisch verändert, wie man bislang annahm; es kann sich unter Umständen sogar ein neuer Körper bilden, der zugleich als Schutzschicht wirksam ist.
Der Farbstoff- und Textilchemiker wird sein Augenmerk bei Aufstellung chemischer Färbetheorien auf das präformierte Ammoniak zu richten haben, da dieses augenscheinlich die basische Natur der Wolle bedingt, und Suida hat gerade auf Grund der durch Säurebindung gekennzeichneten basischen Wollnatur seine Färbetheorie ventiliert.
Literatur: [1] Haas, Ueber die Chemie der Wolle im Licht der neueren Eiweißforschung, Elsäß. Textilblatt 1912/13, S. 678. [2] Klaus von Allwörden, Studien über die Einwirkung von Chlor auf Schafwolle, Berlin 1913.
Einst Müller.