Ameisenpflanzen

[421] Ameisenpflanzen (vgl. Tafel »Ameisenpflanzen« bei S. 417), Gewächse, die in der freien Natur regelmäßig von gewissen, ihnen nützlichen Ameisenarten besucht oder bewohnt werden und in ihrem Bau bestimmte Anpassungen an das Zusammenleben mit den Ameisen aufweisen. Das Auftreten solcher Anpassungen wird als Myrmekophilie, und dementsprechend werden die A. auch als myrmekophile Pflanzen bezeichnet. Bei der Imbauba (Cecropia adenopus, Fig. 1), einem Baum des tropischen Amerika, werden die hohlen Stammglieder regelmäßig von großen Mengen kleiner, bissiger Ameisen bewohnt, die den Baum wirksam gegen die vielen andern Gewächsen verhängnisvollen Blattschneiderameisen verteidigen. Der Zugang zu den durch Querwände voneinander getrennten Stammhöhlungen liegt regelmäßig in jedem Stammglied am obern Ende einer vor der Mitte des nächst untern Blattes nach oben ziehenden Rinne (Fig. 1 bei a und b). Diese Stelle bleibt von Anfang an schwächer als die übrigen Teile der Wand des Stammgliedes, so daß die Ameisen leicht eine Öffnung herstellen können. Außer der Wohnung gewährt die Cecropia den Ameisen auch die Nahrung. An der Unterseite der Blattstielkissen entspringen zwischen Haaren kleine birn- oder eiförmige Körperchen (Müllersche Körperchen, Fig. 2), die sehr reich an Eiweißstoffen und fettem Öl sind. Sie werden von den Ameisen abgeerntet und wachsen wieder nach. Ganz ähnliche Verhältnisse finden sich bei der zentralamerikanischen Acacia sphaerocephala (Fig. 3). Als Herberge dienen den schützenden Ameisen hier die stark vergrößerten holzharten, innen hohlen Nebenblattdornen. Nektardrüsen auf der Blattspindel (sogen. extranuptiale Nektarien) produzieren Zuckersaft, und an der Spitze jedes Blättchens entwickelt sich ein leicht abnehmbares, nahrhaftes Zellknöllchen (b). Bei Duroia saccifera (Fig. 7), einer Rubiazee aus dem Gebiete des Amazonenstroms, und bei gewissen Melestomazeen des tropischen Südamerika, wie Tococa formicaria und T. lancifolia (Fig. 8), sind eigentümliche Hohlblasen am Grunde der Blattspreite, Wohnräume für die gegen den Angriff der Blattschneider schützenden Ameisen. Bei A. in den Tropen der Alten Welt, wo die Gefahr einer Zerstörung der Pflanzen durch Blattschneiderameisen nicht vorliegt, dürfte es sich hauptsächlich um die Abwehr von Raupen und Käfern handeln. Die epiphytischen Rubiazeen des Malaiischen Archipels, Myrmecodia (Fig. 4) und Hydnophytum (Fig. 5), bilden faust- bis kindskopfgroße, saftige Knollen, die im Innern ein Labyrinth kommunizierender Gänge enthalten, die in der Natur ausnahmslos von Ameisen bewohnt sind. Die Knollen entstehen mit ihren Gängen in gleicher Weise auch dann, wenn die Pflanzen ohne Ameisen kultiviert werden. Es erscheint danach zweifelhaft, ob die Ausbildung der schwammartig durchlöcherten Knollen als eine erblich gewordene Anpassung an das Zusammenleben mit Ameisen anzusehen ist, oder ob etwa die Hohlräume der Durchlüftung der massiven Knollen dienen und nur mehr zufällig von den dort überall häufigen Ameisen aufgesucht werden. Überhaupt erfordert die Feststellung von Myrmekophilie einige Vorsicht, da die Ameisen alle möglichen Hohlräume zur Wohnung wählen können. Nur wenn wirklich ein Verhältnis gegenseitigen Nutzens vorliegt, kann von Myrmekophilie gesprochen werden. Zweifellos myrmekophil ist Pterospermum javanicum, das an der Innenseite becherartig eingerollter Nebenblätter kleine, den Müllerschen Körpern vergleichbare Perldrüsen erzeugt, die von den Ameisen regelmäßig abgeerntet werden. Die in Borneo heimische Kannenpflanze Nepenthes bicalcarata (Fig. 6) besitzt in der Sproßachse und in dem Stiel der dem Insektenfange dienenden Kanne Hohlräume, die durch rundliche Öffnungen nach außen münden und regelmäßig von Ameisen bewohnt sind. Vgl. Beccari, Pianti ospitatrici (»Malesia«, Bd. 2, Genua 1884–85); Delpino, Funzione mirmecophila nel regno vegetale (Bologna 1886–88, 2 Tle.); Schimper, Die Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen im tropischen Amerika (Jena 1888); Derselbe, Pflanzengeographie (das. 1898); Huth, Myrmekophile und myrmekophobe Pflanzen (Berl. 1887); Schumann, Die A. (Hamb. 1889).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 421.
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