[259] Grazĭe, Marie Eugenie delle, deutsche Dichterin, geb. 14. Aug. 1864 zu Weißkirchen in Ungarn, verbrachte ihre Jugend zu Bersaska im Banat und zog nach dem frühen Tode des Vaters (1872) mit ihrer Mutter nach Wien, wo sie eine gediegene Erziehung genoß, und wo sie noch jetzt als Schriftstellerin lebt. Ihre Dichtungen sind z. T. von bedeutenden modernen Ideen durchdrungen, aber in der Technik ältern Mustern angepaßt und im Stil nicht frei von Rhetorik. Von ihr erschienen: »Gedichte« (Leipz. 1882,4., sehr vermehrte Auflage 1902), durch die sie schnell als starkes lyrisches Talent bekannt wurde, und denen sie später eine zweite Sammlung, die stimmungsvollen »Italischen Vignetten« (das. 1892), folgen ließ; ferner das Epos »Hermann« (Wien 1883, 2. Aufl. 1885), die Tragödie »Saul« (das. 1885), die Erzählung »Die Zigeunerin« (das. 1885), die Novellen: »Der Rebell« und »Bozi« (Leipz. 1893), vor allem aber das moderne Epos »Robespierre« (das. 1894), durch das sie sich als hervorragende Dichterin der Hamerlingschen Schule bewährte; in der »Moralischen Walpurgisnacht« (das. 1896) entwarf sie ein gegen die moderne Gesellschaft gerichtetes Satyrspiel. Das Drama »Schlagende Wetter« (2. Aufl., Leipz. 1900), das stark an Zolas »Germinal« erinnert, wurde auf dem Wiener Volkstheater beifällig aufgenommen; weniger gefiel das allegorische Drama »Der Schatten« (2. Aufl., das. 1902), das ebenso wie die vier Einakter »Zu spät« (»Vineta«, »Mutter«, »Donauwellen«, »Sphinx«, 2. Aufl., das. 1903) auf dem Wiener Burgtheater gespielt wurde. Unter dem Titel »Liebe« (Leipz. 1902) veröffentlichte G. fünf Novellen, die sich durch feinsinnige Seelenschilderung auszeichnen. Ihre »Gesammelten Werke« erschienen in 9 Bänden (Leipz. 1903 f.). Vgl. B. Münz, Marie Eugenie delle G. als Dichterin und Denkerin (Wien u. Leipz. 1902).