Marlowe

[331] Marlowe (Marlow, spr. márlo), Christopher (Kit), engl. Dichter, der bedeutendste Vorläufer Shakespeares in der Tragödie, ward in Canterbury 1564 als Sohn eines Schusters geboren und starb 1593 in London. Er studierte seit 1580 in Cambridge, wo er 1587 zum Magister Artium befördert wurde, übersetzte Ovids »Amores« und den »Raub der Helena« aus dem Lateinischen des Coluthus und wurde berühmt gegen 1587 durch sein Drama »Tamburlaine the Great« (gedruckt 1590; beste Neuausgabe von A. Wagner, Heilbr. 1885), worin er den Übermenschen und die realistische Behandlung eines tragisch angelegten Charakters aufbrachte, sowie den bisher nur höfischen Blankvers in das Volkstheater einführte. Das Stück war so erfolgreich, daß M. bald einen zweiten Teil folgen ließ mit dem Tode des Eroberers; zu den Nachahmern gehörte auch Shakespeare, namentlich im »Titus Andronicus«. Marlowes nächstes Drama war »Life and death of Dr. Faustus« (1588; neu hrsg. von W. Wagner, Lond. 1877; mit Einleitung und Kommentar von A. Ward, Oxf. 1878; 4. Aufl. 1904; historisch-kritisch von Breymann, Heilbr. 1889); vgl. Erich Schmidt, Faust und das 16. Jahrhundert, in den »Charakteristiken« (1. Reihe, 2. Aufl., Berl. 1902), die älteste dramatische Bearbeitung der Faustsage, gemacht nach der englischen Übersetzung des Spießschen Volksbuches von Faust, ein Werk von direktem Einfluß auf Shakespeare und indirektem auf Goethe, auch mehrfach ins Deutsche übersetzt (von W. Müller, Berl. 1818; Ad. Böttger, Leipz. 1857; Bodenstedt, in »Shakespeares Zeitgenossen«, Bd. 3, Berl. 1860; A. v. d. Velde, Bresl. 1870). Es folgte »The jew of Malta« (neueste Ausg. von A. Wagner 1889; deutsch von Kannegießer, Berl. 1808), der aus einer historischen Figur erwuchs und das unmittelbare Vorbild des Shylock wurde, ihn aber bei weitem an Kraft und Konsequenz übertrifft. Nach 1589 schrieb M. ein Drama über die Pariser Bluthochzeit von 1572: »The massacre of Paris«, das sich hauptsächlich um den ehrgeizigen Herzog Guise dreht. Auch in der Historie »Edward II.« spielt ein ehrgeiziger Streber gegen den schwachen, lyrischen König mit Hilfe der buhle rischen Königin die Hauptrolle (hrsg. von W. Wagner, Hamb. 1871; von Fleay, Lond. 1877; von Tancock, Oxf. 1880, 3. Aufl. 1899; deutsch von Prölß, »Altenglisches Theater«, Bd. 1, Leipz. 1881); Shakespeare hat »Richard II.« wesentlich nach diesem Muster gestaltet. Als Fragment hinterließ M. das Trauerspiel »Dido« und eine Bearbeitung des Epos »Hero und Leander« von Musäos. Durch alle seine Stücke geht eine Vorliebe für hochstrebende Männer, neben denen das Weib zur Sklavin wird, oder für dämonische Frauen, die den Mann ins Unglück bringen: beides nach antiken Mustern, Herkules und Klytemnästra. Er war ein Freidenker, soll ausgelassen gelebt und in einem Liebeshandel durch den Dolch eines Nebenbuhlers geendet haben. Gesamtausgaben seiner Werke besorgten A. Dyce (Lond. 1850, 3 Bde.), Cunningham (1872), Bullen (1885, 3 Bde.). Vgl. Ingram, Christopher M. and his associates (Lond. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 331.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: