Milchdiebe

[805] Milchdiebe, geheimnisvolle Wesen und Tiere, die Kühen, Ziegen etc. ihre Milch zeitweise entfremden. Im Altertum galt der Ziegenmelker (Caprimulgus) allgemein als Milchdieb, und trotz der physikalischen Unmöglichkeit, den Schnabel als Saugapparat zu benutzen, herrscht dieser von Aristoteles, Plinius und Älian erwähnte Glaube noch heute bei Landleuten, namentlich in Südeuropa. Die Sage entstand wohl, weil der lichtscheue Vogel sich am Tage gern an dem verwitterten Holze der Viehhürden und in Ställen versteckt, wo er vermöge der Sprenkelung seines Gefieders fast unerkennbar wird. Im nordischen Altertum scheinen die Schmetterlinge, die in ähnlicher Weise unsichtbar an und in Viehställen Schutz suchen, in demselben Verdacht gestanden zu haben; sie heißen noch heute im Volksmunde Milch-, Molkendieb und Buttervogel. In der Zeit der Hexenprozesse wurde der Milchdiebstahl den Hexen zugeschrieben, und zwar sollten sie ihn verüben, indem sie einen an einen Baumstamm oder einen Türpfosten gehängten Strick, eine Spinnspindel oder ein Handtuch, oder den Stiel einer eingeschlagenen Axt molken. Die Hexe wurde danach überhaupt Milchdiebin, Milchzauberin, Molkenstehlerin, Molkentöversche genannt, und auf Rügen lief man am Abend Philippi und Jakobi mit großen Feuerblasen in die Felder und nannte das »die Molkentöversche brennen«. Schon im 12. und 13. Jahrh. läßt sich eine Form dieser Sage nachweisen, die dem wahren Sachverhalt näher kam. In Wales, in Irland und Schottland glaubte man, daß alte Weiber sich in eine Hasengestalt verwandeln, um fremde Milch geheim zu entwenden. In Hildesheim und am Harz entzieht ein dreibeiniger Hase dem einen Hause den Nutzen der Milchtiere, um ihn dem andern zuzuwenden. In den Niederlanden müssen betrügerische Milchfrauen, die Wasser zur Milch mischen, nach ihrem Tod als Kaninchen spuken. Nun hat Landois mehrere in der Nähe von Münster beobachtete Fälle mitgeteilt, in denen Hafen und Kaninchen von glaubwürdigen Zeugen beim Milchdiebstahl ertappt wurden. In dem einen sogen Hafen auf der Weide lagernden Kühen die Milch ab, in dem andern besorgten Kaninchen in einem Ziegenstall das Melkgeschäft.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 805.
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