Wale

[338] Wale (Fischsäugetiere, Seesäugetiere, Walfische, Waltiere, Cetacea, Natantia; hierzu Tafel »Wale I und II«), eine Ordnung der Säugetiere mit oft kolossalem Körper ohne äußere Gliederung und von Fischgestalt. Ihre nächsten Verwandten auf dem Lande scheinen die Huftiere und die Fleischfresser zu sein (s. unten), jedoch weichen sie von ihnen durch manche auf das Leben im Wasser bezügliche Einrichtungen im Bau ab. Der Kopf der W. geht ohne äußerlich sichtbaren Hals in den Rumpf über, während das Schwanzende eine wagerechte Flosse bildet, zu der häufig noch eine Fettflosse auf dem Rücken kommt. Die Haut ist meist völlig haarlos oder mit spärlichen Borsten bekleidet, dagegen entwickelt sich im Unterhautzellgewebe eine mächtige Specklage. Die Knochen sind schwammig und in den Zwischenräumen voll flüssigen Fettes. Die in normaler Zahl vorhandenen Halswirbel (Manatus hat jedoch statt 7 nur 6) sind nur bei den Seekühen frei beweglich, bei den übrigen Walen verwachsen. Die Vorderbeine haben zur Anheftung an den Rumpf ein Schulterblatt, sind zu einer Ruderflosse umgestaltet und meist nur als Ganzes beweglich. Die Zahl der Fingerglieder ist bei den echten Walen größer als sonst üblich (6–12 statt 3). Von den Hinterbeinen sind nur die Überbleibsel eines Beckens und höchstens noch beim Embryo die Anlagen der Beinknochen vorhanden; in die Schwanz- und Rückenflosse tritt kein Teil der Wirbelsäule ein (s. Abbildung).

Skelett eines Walfisches. a Schulterblatt, b Vorderbein.
Skelett eines Walfisches. a Schulterblatt, b Vorderbein.

Der Schädel nimmt zuweilen ein Drittel der Länge des Tieres ein, wozu hauptsächlich die Kiefer beitragen. Diese sind oft ganz ohne Zähne. Ein Milchgebiß haben nur die Seekühe, bei den echten Walen kommen die Zähne beim Embryo zur Entwickelung, fallen aber vor der Geburt aus (Bartwale) oder bilden sich, wie bei den Delphinen, zu bleibenden [338] Zähnen aus. Bei den Bartwalen hängen dagegen vom Oberkiefer und Gaumen frei in die Mundhöhle hornige Platten (Barten) herab, deren innerer Rand in Fäden aufgelöst ist (Fischbein). An dem oft schnauzenförmig verlängerten Kopfe fehlen stets die Ohrmuscheln, die Augen sind auffallend klein und stehen häufig in der Nähe des Mundwinkels, die Nasenlöcher sind auf den Scheitel gerückt; die Nase hat beim Mangel der Riechnerven ihre Bedeutung als Riechwerkzeug ganz verloren und dient ausschließlich zur Atmung. Aus den oft zu einem halbmondförmigen Spritzloch vereinigten Nasenlöchern wird die Luft bei den großen Walen so stark ausgeblasen, daß ihr Wasserdampf sich in der kalten Umgebung zu einer Säule verdichtet und so glauben läßt, die W. spritzten Wasser aus. Das Gehirn ist außerordentlich klein, aber sehr windungsreich. Der Kehlkopf hat eine solche Form, daß die W. zu gleicher Zeit atmen und fressen können. Die Lungen sind sehr geräumig und erstrecken sich weit nach hinten, so daß das Zwerchfell nicht quer, sondern schräg verläuft. Speicheldrüsen fehlen fast gänzlich; der Magen ist aus mehreren (bis zu sieben) Abteilungen zusammengesetzt, jedoch nicht zum Wiederkauen eingerichtet. Einige größere Adern haben nahe dem Herzen ansehnliche Erweiterungen zum Zurückhalten des Blutes, so daß die Atmung lange unterdrückt werden kann. Die Nieren bestehen aus einzelnen Lappen. Die Hoden liegen im Bauche, die beiden Zitzen in der Weichengegend oder an der Brust. Meist wird nur ein Junges auf einmal geboren; es hat bei den großen Walen eine Länge bis zu 5 m.

Die W. leben meist gesellig, bisweilen in Herden, die größern im offenen Meer, besonders in der kalten Zone, die kleinern mehr an den Küsten und in den Flußmündungen. Sie schwimmen vortrefflich, halten sich dabei gewöhnlich an der Oberfläche und durchschweifen unter regelmäßigem, an die Jahreszeiten gebundenem Ortswechsel große Gebiete. Die riesigen zahnlosen Bartwale nähren sich von kleinen Seetieren (Nacktschnecken etc.), die Delphine von größern Fischen, die Seekühe von Pflanzen. Man unterscheidet in drei, bez. fünf größern Gruppen etwa 30 lebende Gattungen mit etwa 170 zum Teil jedoch zweifelhaften Arten; fossile sind von den ältern Tertiärschichten abgefunden worden; in historischer Zeit ist eine Art der Seekühe, das Borkentier, ausgestorben, und andre Arten sind, wie es scheint, der Ausrottung nahe. Neuerdings trennen manche die Seekühe von den Walen, leiten sie von Huftieren her und lassen die echten W. von Raubtieren abstammen. Auch die Zahn- und die Bartwale sollen nicht näher miteinander verwandt sein, vielmehr jene in die Nähe der Zahnlücker gehören; hierfür würde sprechen, daß die Zähne bei Delphinen und Pottwalen sehr einfach, aber ungewöhnlich zahlreich sind, sowie daß der Wal Neomeris phocaenoldes (aus dem Hafen von Bombay) auf dem Rücken mit kleinen Schildern bedeckt ist, die an die Panzerung der Gürteltiere erinnern. Reste eines frühern Hautpanzers finden sich auch bei den Embryonen der Zahnwale in Form von rudimentären Platten in der Haut vor; desgleichen ist die Behaarung bei den Embryonen vielfach stärker und findet sich an Stellen, wo sie den ausgebildeten Tieren durchaus fehlt, was auf eine Haarbedeckung des Körpers bei den landlebenden Vorfahren hinweist.


Einteilung.

I. Zeuglodonten (Zeuglodontia). Nur fossil, mit langer, schmaler Schnauze und mit Kiefern voller Zähne. Wahrscheinlich Fleischfresser; riesige Tiere (bis über 20 m lang). In den Tertiärschichten von Europa und den Vereinigten Staaten (s. Tafel »Tertiärformation III«, Fig. 4).

II. Seekühe (Sirenia, pflanzenfressende Wale). Haut dick, spärlich beborstet; an den Flossen noch eine Spur von Nägeln; Halswirbel unter sich beweglich; Zähne ähnlich denen der Huftiere, im Milchgebiß nur die Schneidezähne, Eckzähne fehlen, Backenzähne wohl entwickelt, Schneidezähne zuweilen in Stoßzähne umgewandelt; Zitzen an der Brust. Die Seekühe bewohnen die Meeresküste und die Flüsse und nähren sich von Tangen, Seegras etc. Hierher 3 lebende Gattungen mit mehreren Arten, darunter Manatus, der Lamantin, an der Westküste Afrikas und der Ostküste von Mittel- und Südamerika, Halicore, der Dugong (Tafel I, Fig. 4), im Indischen Ozean, und Rhytina, das Borkentier (s. d), das im 18. Jahrh. noch in Kamtschatka lebte, jetzt aber ausgestorben sein soll. Fossil Halitherium im ältern Tertiär von Frankreich und Deutschland (s. Tafel »Tertiärformation III«, Fig. 2).

III. Echte fleischfressende Wale (Cete). Haut bis auf Borsten an der Oberlippe ganz ohne Haare, nur bei den Embryonen noch an einigen Stellen damit bedeckt; Kopf sehr groß, Nasenöffnungen auf der Stirn; Zitzen in der Weichengegend. Man unterscheidet zwei Gruppen:

A. Zahnwale (Denticete), mit kegelförmigen Fangzähnen in beiden oder nur in einem Kiefer.

1) Delphine (Delphinidae). Zähne in beiden Kiefern. Nasenlöcher zu einem halbmondförmigen Spritzloch verbunden. Etwa 10 lebende und einige fossile Gattungen mit über 100 zum Teil unsichern Arten (Tafel I, Fig. 1 u. 2).

2) Narwale oder Einhörner (Monodontia). Männchen mit nur einem großen Stoßzahn im Oberkiefer, meist auf der linken Seite, Weibchen ohne solchen. Hierher nur die Art Monodon monoceros, der Narwal (Tafel I, Fig. 3), im Eismeer.

3) Döglinge (Hyperoodontidae). Nur 1–2 Zähne jederseits im Unterkiefer; ein halbmondförmiges Spritzloch. 6 lebende Gattungen mit 12 Arten, außerdem mehrere fossile. Hierher unter andern Hyperoodon, der Dögling oder Entenwal, im nördlichen Teil des Atlantischen Ozeans.

4) Pottwale (Catodontidae). Mit Zähnen im Unterkiefer ohne Barten. Kopf sehr groß (bis ein Drittel der Körperlänge) und hoch aufgetrieben; in den Schädelhöhlen flüssiges, an der Luft erstarrendes Fett (Walrat, Cetaceum, Sperma ceti). 2 lebende Gattungen mit 6 Arten, mehrere fossile. Hierher unter andern Catodon macrocephalus, der Pottwal (Tafel II, Fig. 1), in den wärmern Meeren, selten im Atlantischen Ozean.

B. Bartenwale (Mysticete). Ohne Zähne, aber mit Barten. Kopf sehr groß, Schlund eng, Spritzlöcher bleiben getrennt.

5) Glattwale (Balaenidae). Ohne Rückenflosse und ohne Hautfurchen auf der Bauchseite. Die hierher gehörigen Arten (aus den kalten und gemäßigten Meeren) sind zum Teil nur unvollständig bekannt. Besonders wichtig Balaena mysticetus, der grönländische Wal oder Walfisch (Tafel II, Fig. 2).

6) Furchenwale (Balaenopteridae). Mit Rückenflosse und mit Längsfurchen auf der Bauchseite. 5 Gattungen mit etwa 30 höchst unsichern Arten, leben gleichfalls in den kalten und gemäßigten Meeren. Hierher unter andern der Finnwal, Balaenoptera (Tafel II, Fig. 3), der Sommerwal und der Kaporkak.


Vgl. Cuvier, Histoire naturelle des Cétacés (Par. 1836); Eschricht, Zoologisch-anatomisch-physiologische Untersuchungen über die nordischen Waltiere (Leipz. 1849); Gray, Catalogue of Seals and Whales in the British Museum (2. Aufl., Lond. 1866); J. F. Brandt, Untersuchungen über die fossilen und subfossilen Cetazeen Europas (Petersb. 1873, Ergänzungen 1874); M. Weber, Studien über Säugetiere (Jena 1886); Kükenthal, Vergleichendanatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Waltieren (das. 1889–93, 2 Tle.); Beddard, A book of whales (Lond. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 338-339.
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