Umlageverfahren

[888] Umlageverfahren, im Versicherungswesen (Gegenseitigkeitsversicherung) dasjenige Verfahren, das die jeweilig zu zahlenden Summen (z. B. bei eingetretenen Feuersbrünsten, Hagelschäden, Sterbefällen etc.) auf die Gesamtheit der Versicherten als Prämien umlegt und von diesen einhebt. Den Gegensatz dazu bildet das Kapitaldeckungs- oder Anlageverfahren. Letzteres bemißt die Prämie nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit des Eintritts und der Höhe der Gefahr, bez. der zu zahlenden Summe im voraus und legt, wenn diese Summe im Laufe der Zeit steigt, die Prämien als Prämienreserve verzinslich an, um den erhöhten Anforderungen der spätern Zeit genügen zu können und die Lasten möglichst gleichmäßig zu verteilen. Bei der Invalidenversicherung würden alle Mitglieder der versicherten (gleichalterigen) Gesellschaft von vornherein gleichviel zahlen, trotzdem die zu zahlenden Renten im Laufe der Zeit steigen. Bei einem reinen U. würden nur die jeweilig fälligen Renten eingehoben. Die Last würde im Anfang gering sein, später aber so hoch werden, daß eine Fortsetzung der Versicherung unmöglich würde. Um letztere wirklich fortführen zu können, müßten immer wieder jüngere beitragspflichtige Mitglieder neu herangezogen werden. Bei Neueinführung einer Versicherung, die nur die fortab eintretenden, nicht auch die schon früher vorgekommenen Fälle der Verunglückung und der Invalidität berücksichtigt, würden die zu entrichtenden Prämien im Laufe der Zeit steigen, bis endlich bei genügender Ausdehnung der Versicherung ein Beharrungszustand erreicht wird. Ist die Gefährdung für alle Versicherten immer die gleiche, so hat das Kapitaldeckungsverfahren mit Prämienanspeicherung keine Berechtigung. Demgemäß ist das U. bei der Feuer-, bei der Hagelversicherung etc. anwendbar und am Platz. Die Frage, ob U. oder Anlageverfahren, war gelegentlich der Einführung der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung in Deutschland, dann vor Erlaß des Gesetzes über die Alters und Invaliditätsversicherung der Arbeiter Gegenstand lebhafter Erörterungen. Für die letztere Versicherung wurde ein Mittelweg eingeschlagen, indem durch die in einem Zeitabschnitt gezahlten [888] Beiträge die Kapitalwerte der in dieser Zeit fällig werdenden Renten gedeckt werden sollen. Bei der Unfallversicherung hat man da U. angenommen, um für den Anfang eine zu große Belastung der Industrie zu vermeiden. Allerdings haben sich die Lasten im Laufe der Zeit erheblich gesteigert. Denn während die Ausgaben 1886 noch 1,9, 1820: 39,2 Mill. Mk. betrugen, stellten sie sich 1900 auf 125,1, 1904 auf 164,1 Mill. Mk. Durch Ansammlung eines Reservefonds, der durch die Novelle vom 30. Juni 1900 bedeutend verstärkt worden ist und 1904: 198,1 Mill. Mk. betrug, wird bis zu einem gewissen Grad ein Ausgleich zwischen dem U. und dem Kapitaldeckungsverfahren bewirkt. Der Reichszuschuß zur Invalidenversicherung wird jährlich nach dem Kapitaldeckungsverfahren bemessen. Vgl. Invaliditätsversicherung. Über das U. bei Genossenschaften s. Genossenschaften, S. 571. Vgl. v. d. Borght, Umlage- oder Kapitaldeckungs- (Prämien-) Verfahren bei obligatorischer Unfallversicherung (Berl. 1897); Lange, Die finanziellen Grundlagen der deutschen Unfallversicherung (das. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 888-889.
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