Hagelversicherung

[613] Hagelversicherung (Hagelschädenversicherung), die Versicherung der Feldfrüchte einschließlich der Weinstöcke, Gartenerzeugnisse und Obstbäume gegen Verluste durch Hagelschäden. Einige Gegenseitigkeitsgesellschaften schließen bestimmte Gewächse aus, die übrigen Gesellschaften übernehmen die Versicherung aller Feldfrüchte, darunter auch mehrere eine H. für Spiegel, Fenster, Dächer etc. Die H. ist für den Landwirt von hoher Bedeutung, da dessen wirtschaftliche Existenz durch Vernichtung der Ernte leicht bedroht werden kann. Wenn sich diese Art der Versicherung trotzdem erst spät ausgebildet hat, so beruht dies im wesentlichen in deren Schwierigkeiten, dann aber auch wohl in dem Glauben, daß der Hagelschade als eine göttliche Schickung geduldig ertragen werden müsse. Die ersten Anstalten wurden im 18. Jahrh. in Schottland ins Leben gerufen, die ersten größern, auf Gegenseitigkeit beruhenden deutschen Anstalten 1791 in Braunschweig und 1797 in Neubrandenburg. Diesen reihten sich an Schwedt (1826), Güstrow (1840), Greifswald (1840), Brandenburg a. H. (1845), Marienwerder (1848). Die H. wird insbes. durch den Umstand erschwert, daß die Hagelschäden statistisch nicht genau erfaßbar sind. Sie unterliegen starkem Schwanken und sind außerdem seit noch nicht langer Zeit beobachtet, so daß es unmöglich ist, richtige Gefahrenklassen nach örtlichen Gebieten und nach der Verschiedenheit der Früchte zu bilden und demgemäß die Prämie zu bemessen. Die Gesellschaften helfen sich deswegen meist in der Art, daß sie für eine Gegend, in der es öfters gehagelt hat, die Prämiensätze erhöhen, während sie andern, die längere Zeit verschont blieben, Ermäßigungen zugestehen. Dann ist die Abschätzung des Schadens schwer. Zu vergüten ist nämlich der Unterschied zwischen dem Ertrag, der ohne Hagel zu erwarten gewesen wäre, und dem verminderten, der infolge des Hagelschadens wirklich bezogen wird. Ersterer ist schwer zu schätzen, es wird statt seiner ein normaler Ertrag angenommen, und der Unterschied zwischen ihm und dem wirklichen Ertrag ist nicht immer genau gleich dem durch den Hagel erwachsenen Verlust. Der wirkliche Schade ist um so schwerer zu bemessen, je weiter die Früchte von der Erntereise noch entfernt sind, je leichter Witterung (durch natürliche Ausheilung) und Maßregeln des Eigentümers (nochmalige Bestellung etc.) ihn wieder gutmachen oder andre hinzutretende Ursachen (Frost) ihn vergrößern können. Aus diesem Grunde wird auch der Ersatz je nach dem Grade der natürlichen Entwickelung (Schoß-, Blüte-, Reise- und Erntegrad) ermäßigt und bei kleinen Schäden (gewöhnlich bis 1/12) überhaupt keine Vergütung gewährt. Von Wichtigkeit ist eine rasche Kenntnisnahme stattgefundener Schäden, weshalb auch meist eine kurze Frist für deren Anmeldung festgesetzt wird. Die Schäden sind spätestens vor Schluß der Ernte abzuschätzen. Für ein und dieselbe Fruchtgattung ist die ganze Ernte zu versichern. Die Versicherungsbedingungen haben Näheres anzugeben über Beginn und Beendigung der H. (meist in jedem Jahre, bei Wein mit Beginn der Lese, bei Flachs und Hanf, sobald sie nicht mehr im Boden wurzeln, bei andern Erzeugnissen, sobald sie abgefahren oder in Haufen gesetzt sind). Aus den oben angegebenen Gründen sind die Prämien der Gegenseitigkeitsgesellschaften, die meist auf räumlich beschränktem Gebiet arbeiten, sehr schwankend. Einige dieser Gesellschaften erheben die Beiträge postnumerando[613] nach Bedarf; andre erheben pränumerando eine Vorprämie und fordern nach Feststellung der Schäden Nachschüsse, oder sie gewähren nur eine teilweise Vergütung nach Maßgabe der vorhandenen Mittel. Die Prämien der Aktiengesellschaften sind fest bestimmt. Im allgemeinen wird angestrebt: möglichste Verteilung der Risiken, allenfalls im Wege der Rückversicherung, Vermeidung der örtlich beschränkten Betriebe, der sogen. Klumpenversicherungen, daher Festsetzung der Flurmaxima, d. h. von Maximalsummen, über die hinaus in gewissen Bezirken keine Versicherungen mehr angenommen werden, sowie teilweise Selbstversicherung arg gefährdeter Grundstücke.

Tabelle

Zurzeit bestehen in Deutschland 22 Hagelversicherungsgesellschaften, darunter sind 5 Aktiengesellschaften (s. die Tabelle 1). Einige von den Gegenseitigkeitsgesellschaften arbeiten nur auf einem gewissen räumlichen Gebiete; so die Mecklenburgische in Neubrandenburg, die in Greifswald, Wriezen, Grevesmühlen in Mecklenburg, die Oldenburger und die Kieler. Die übrigen Gegenseitigkeitsgesellschaften und die Aktiengesellschaften kennen eine solche Beschränkung nicht. Einen sachlich beschränkten Wirkungskreis hat die Hagelversicherungsgesellschaft für Gärtnereien in Berlin (1847). Nachdem der Gedanke der Errichtung einer Reichs-Hagelversicherungsanstalt, der von dem durch Hagelschäden mehr betroffenen Süddeutschland ausgegangen war, wegen der Schwierigkeit der Durchführung zu keinem Ziele geführt hatte, errichtete Bayern durch Gesetz vom 13. Febr. 1884 eine öffentliche Hagelversicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit, die mit einem (später zurückzuzahlenden) Gründungskapital von 1 Mill. Mk. dotiert wurde und einen jährlichen Staatszuschuß von anfangs 40,000 Mk., jetzt 200,000 Mk. bezieht. Der Beitritt zu dieser Anstalt ist freiwillig. Auf einem andern Wege hat die badische Regierung den Landwirten geholfen, indem sie 1900 mit der Norddeutschen H. einen Vertrag auf 10 Jahre abgeschlossen hat, demgemäß die Gesellschaft allen zur Versicherung sich anmeldenden Landwirten den ganzen Hagelschaden ohne Beitragsnachschüsse der Versicherten ersetzt, wogegen der Staat erforderlichenfalls aus einem Fonds von 1,5 Mill. Mk. (zu dem die Versicherten 10 Proz. ihrer Nettoprämien beizusteuern haben) die Beitragsnachschüsse übernimmt. 1901 betrug der Staatsbeitrag 103,842 Mk. Über die Verhältnisse der deutschen Hagelversicherungsgesellschaften s. Tabelle I. – In Österreich-Ungarn gab es 1901: 17 Privat-Hagelversicherungsgesellschaften (davon 10 auf Aktien, meist gemischte Gesellschaften). Über ihren derzeitigen Zustand unterrichtet Tabelle II. – In Frankreich bestehen 1900: 4 Aktien- und 16 Gegenseitigkeitsgesellschaften mit verhältnismäßig sehr beschränkter Wirksamkeit (705,6 Mill. Frank Versicherungssumme und 9 Mill. Fr. Prämien), in England 5 Hailstorm Offices, in Italien 14 Gesellschaften (1903: 11,6 Mill. Fr. Prämieneinnahmen, 10,3 Mill. Fr. Nettoschäden und 262,1 Mill. Fr. Versicherungssumme), in Rußland nur eine Gegenseitigkeitsgesellschaft in Moskau. Vgl. A. Müller, Das Hagelversicherungswesen in Deutschland (Köln 1876); Richter, Die Hagelversicherungsgesellschaften Deutschlands (Berl. 1878); Schramm, Der Hagelschaden (4. Aufl., Zürich 1898); Ramm, Die Hagelversicherungsfrage in Württemberg (Tübing. 1885); Kirchhof, Die Notwendigkeit der H. für Landwirte (Wien 1884); Wallmann, Vademekum des Hagelschadentaxators (das. 1885); Schuster, Anleitung zum Erkennen des[614] Hagelschadens (Berl. 1897); Jodlbauer, Die landwirtschaftliche Versicherung in Bayern (Münch. 1889); »Die bayrischen öffentlichen Landesanstalten für Brand-, Hagel- und Viehversicherung. Denkschrift, herausgegeben von der königlichen Versicherungskammer« (das. 1899); Puppel, Hagel- und Insektenschäden (40 Tafeln, Berl. 1904); Suchsland, Über die Verstaatlichung der H. (in Ehrenzweigs »Assekuranz-Jahrbuch«, Wien 1890); v. Thümen, Geschichte des Hagelversicherungswesens in Deutschland bis zum Jahre 1895 und seine gegenwärtige Gestaltung (Dresd. 1896).

Tabelle
Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 613-615.
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