Verdampfung

[40] Verdampfung (Verflüchtigung), der Übergang einer Flüssigkeit oder eines festen Körpers in den gasförmigen Zustand. Stellt man in einer flachen Schale Wasser an die freie Luft, so nimmt seine Menge fortwährend ab, bis es endlich ganz verschwunden ist. Diese Dampfbildung, die ganz ruhig nur an der Oberfläche der Flüssigkeit vor sich geht, nennt man Verdunstung. Im geschlossenen Raum, z. B. unter einer Glasglocke, findet sie nur so lange statt, bis der Raum mit Dampf gesättigt, d. h. dessen Spannung den der betreffenden Temperatur entsprechenden Maximalwert erreicht hat (s. Dampf). Im luftleeren Raum erfolgt die Dampfbildung bis zur Sättigung fast augenblicklich; in einem mit Gasen erfüllten Raum geht die V. dagegen langsam vor sich, schließlich erreicht aber der Dampf denselben Grad der Sättigung oder dieselbe Spannkraft, als wenn kein andres Gas vorhanden wäre, und sein Druck fügt sich dem Druck der bereits vorhandenen Gase oder Dämpfe hinzu (Daltons Gesetz). Durch Erwärmung wird die V. befördert, sie hört aber auch in der Kälte nicht auf; selbst Eis und Schnee verschwinden bei trockenem, kaltem Wetter durch Verdunstung allmählich. In ruhiger Luft geht die Verdunstung sehr langsam vor sich, weil die mit der Flüssigkeitsoberfläche in unmittelbarer Berührung stehende Luftschicht sich mit Dampf sättigt, den sie nur langsam durch allmählichen Austausch (Diffusion) an die darüber befindlichen Luftschichten abgibt; durch Luftzug, der die gesättigte Luft rasch entführt und ungesättigte an ihre Stelle bringt, wird die Verdunstung sehr gefördert. Beim Erhitzen erreicht Wasser eine Temperatur von 100°, und der sich bildende Dampf besitzt dieselbe Temperatur. Die von der heizenden Flamme unausgesetzt zugeführte Wärme bringt keine weitere Erwärmung hervor, sie wirkt nicht auf das Thermometer; aber sie unterhält das Kochen, indem sie das flüssige Wasser in den gasförmigen Zustand umarbeitet. Man nennt die zu dieser Arbeit verbrauchte Wärmemenge die Verdampfungswärme oder, da sie für das Gefühl und das Thermometer verschwindet und sich in dem Dampf gleichsam als dessen Bestandteil verborgen zu haben scheint, gebundene oder latente Wärme. Leitet man den Dampf durch ein von kaltem Wasser umgebenes Rohr, so schlägt er sich in diesem als Wasser nieder, während er seine sämtliche gebundene Wärme an das umgebende Wasser wieder abgibt. Man findet auf diese Weise, daß 1 kg Dampf von 100°, indem er sich zu 1 kg Wasser von 100° verdichtet, 10 kg Wasser um 53,6° oder, was dasselbe ist, 536 kg Wasser um 1° zu erwärmen vermag. und daß sonach 536 Wärmeeinheiten erforderlich sind, um 1 kg Wasser von 100° in Dampf von 100° überzuführen. Auch bei der Verdunstung wird Wärme verbraucht oder »gebunden«. Findet keine Wärmezufuhr von außen statt, so muß die nötige Verdampfungswärme aus der Flüssigkeit selbst oder von andern Körpern, mit denen die verdunstende Flüssigkeit in Berührung ist, entnommen werden; diese werden daher abgekühlt (Verdunstungskälte). Dies empfindet man, wenn man z. B. Äther auf der Hand verdunsten läßt. Befindet sich Wasser unter der Glocke der Luftpumpe neben konzentrierter Schwefelsäure, welche die entstehenden Wasserdämpfe aufnimmt, so wird durch die äußerst lebhaft vor sich gehende V. so viel Wärme verbraucht, daß das Wasser infolge seiner eignen Verdunstung gefriert (Carrés Eispumpe). Beim Ausströmen flüssiger Kohlensäure wird durch die rasche Verdunstung eines Teiles derselben eine solche Kälte erzeugt, daß die noch übrige Menge zu einer schneeähnlichen Masse von -79° erstarrt. Flüssiges Stickstoffoxydul erstarrt durch seine Verdunstung zu einer Masse, deren Schmelzpunkt bei -105° liegt. Durch beschleunigte V. von flüssiger Luft erhält man Temperaturen bis -200°, durch V. von flüssigem Wasserstoff bis -258°. Noch weiter würde sich die Abkühlung mit flüssigem Helium treiben lassen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 40.
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