IV.

[99] Ach, was David für ein Kerl war! Wenn er mit seinem Eichenstock auf die Kälber losschlägt, wirft er sie alle und noch vierzig andere um. Einmal trieb er die Kälber auf den Gipfel eines Berges. Er sieht: ein Hirte schimpft auf seine Kälber. David sagte: »Du, Bursche, was schimpfst du auf mich. Warte nur, wenn ich mich an dich mache, bekommst du mit dem Eichenstock, dass du ›o weh!‹ schreien wirst.«

Jener sagte zu David: »Ich bin bereit für deinen Kopf mein Leben zu geben!22 Ich bin ja auch ein Hirte aus dem Dorfe deines Vaters und diese Kälber gehören den Bauern.«

David sagte: »Wenn es so ist, hüte auch meine Kälber. Ich weiss nicht, um welche Zeit ich sie auf den Hof treiben soll; wenn die Zeit kommt, sage es mir und ich will sie hintreiben.«

An diesem Tage trieb David die Kälber zur rechten Zeit nach Hause und kam ins[99] Dorf. Onkel Toross freute sich und sagte: »Mein Sohn, sei immer so pünktlich, gehe jeden Tag zur rechten Zeit hinaus und kehre zurück!«

David sagte: »Onkelchen, das ist nicht mein Scharfsinn, ich habe mir einen Bruder gemietet, der wird jeden Tag meine Kälber hüten. Jetzt werde ich schon mit ihnen fertig werden.«

Einmal verspätete sich sein Kamerad, worüber sich David sehr ärgerte. Es zeigte sich, dass im Dorfe Gottesdienst abgehalten wurde; der Junge war dort und deshalb verspätete er sich. Endlich kam er und David sagte zu ihm: »Heute kommst du mir nicht aus den Händen!«

Der Junge sagte: »David, ich bin bereit für dich zu sterben! Aus Furcht vor deinem Zorn bin ich nicht bis zum Ende des Gottesdienstes in der Kirche geblieben und habe nicht einen Löffel von der Feiertagssuppe23 gekostet. Ich habe die Kälber ausgetrieben[100] und bin gekommen. Also du weisst, warum ich mich verspätet habe.«

David sagte: »Warte du hier, ich werde dir das Mittagessen bringen.«

Er legte seinen Eichenstock auf die Schulter und ging. Er kommt ins Dorf und sieht: Alle haben Grütze in den Hof gestellt und die Priester kamen und segneten sie. David ging, steckte den Eichenstock durch den Henkel eines vierhenkeligen Kessels und voll wie er war, hob er ihn auf seine Schulter. Die Pfaffen und Bauern wunderten sich und einer rief: »Er hat ja einen Kessel weggetragen!«

Ein Pfaffe schrie: »Um Gottes Willen schweige! Es ist ja einer von den tollen Sassunern. Sieh dich vor, er kommt zurück und schlägt uns die Rippen entzwei. Mag er den schweren nehmen und damit umstürzen!«

Und David nahm den vollen Kessel Grütze und kam zu seinem Kameraden und der Kamerad sitzt da und weint.

»Ei, ei! ich weiss, warum du weinst; ich habe dir Grütze gebracht, und Butter und Salz vergessen; deshalb weinst du! Nun, iss jetzt die Grütze und abends Salz und Butter darauf!«

Der Junge sagte: »David, ich bin bereit für dich zu sterben! Wozu brauche ich Salz[101] und Butter? Vierzig räuberische Dewen sind gekommen und haben unsere Kälber weggetrieben.«

David sagte: »Bleibe du hier, hüte diese Kälber und ich werde jene zurückbringen.«

Und er ging die Kälber holen. Er ging ihren Spuren nach, kam an den Eingang einer Höhle und blieb stehen. David schrie hier mit so lauter Stimme, dass die Dewen erschrocken und ängstlich wurden, wie die Teufel, als Christi Stimme in der Hölle erschallte.

Als der Anführer der Räuber die Stimme hörte, sagte er: »Das ist gewiss David, Abameliks Sohn. Geht hin, empfangt ihn mit Ehren, damit er uns nicht totschlage!«

Sie gingen einzeln hinaus, aber David schlug jeden mit seinem Eichenknüttel und so schlug er vierzig Köpfe ab und nur Leichen blieben am Orte. Er schnitt allen vierzig die Ohren ab und verbarg sie unter einem Stein am Eingang der Höhle.

Er liess seinen Knüttel am Eingange liegen und ging hinein in die Höhle. Er sieht einen Haufen Gold, dann einen Haufen Silber, kurz, Schätze der ganzen Welt! Seit dem Tode seines Vaters hatten sie geraubt und alles in dieser Höhle verborgen. Er öffnet eine Thür und dort steht ein Hengst angebunden. David[102] versank in Gedanken und sagte zu sich selbst: »Onkelchen, all' dieses Gut gehöre dir, mir aber dieses Tier: giebst du es, gut; wenn nicht, so wanderst du auch zu ihnen!« Dann antwortete er sich selbst: »Mein Kind, der Schatz und das Tier soll dir gehören, was soll ich damit machen?«

Er schaute sich um und sieht: auf dem Scheiterhaufen steht ein kupferner Kessel mit vierzig Henkeln und darin seine vierzig Kälber. Er steckte den Eichenknüttel durch die Henkel und hob den Kessel auf. Er goss das Wasser aus und steckte die Füsse der Kälber in den Kessel, hob ihn auf die Schulter und ging zu seinem Kameraden.

Beide trieben die übrigen Kälber ins Dorf. David rief den Herrn der Kälber zu sich und sagte: »Wenn du meinen Bruder nur auf ein Haar breit bei der Abrechnung betrügst, so wird es dir schlimm ergehen! Verkaufe diesen Kessel, mag er deine Kälber hüten!«

Seine eigenen Kälber trennte er von den der Bauern, kam Mittags nach Hause und sagte zu Onkel Toross: »Nimm schnell zwanzig Maultiere und wir werden ausziehen und soviel Schätze heimbringen, dass sie für dich und deine Kinder bis ins siebente Glied ausreichen! Soll ich denn ewig ein Hirte bleiben?«[103]

Und sie nahmen die Maultiere und zogen aus. Sie kamen an die Höhle; Onkel Toross sieht, die Dewen liegen ausgestreckt am Eingange der Höhle da und alle sind aufgebläht wie Hügel. Der Onkel band in Angst sein Maultier von den andern los und flieht zurück.

David sagte: »Du Zugrundrichter!« »Ich bin vor den Lebendigen nicht entflohen und du fliehst vor den Toten. Wenn du es nicht glaubst, so kehre zurück, blicke unter den grossen Stein; dorthin habe ich die Ohren von allen gelegt.«

Onkel Toross schaute hin, kehrte um, nahm die Maultiere und ging in die Höhle. Sie nahmen alles, was da war und machten einen Ballen daraus. David sagte: »Onkel Toross, alle diese Schätze gehören dir, mir aber dieses Tier. Wenn du willst, gut; wenn nicht, so wanderst du auch zu ihnen.«

Jener sagte: »Mein Kind, auch die Schätze und auch das Tier sollen dir gehören. Was soll ich denn damit machen?«

David erhielt des Onkels Bewilligung, bestieg den Hengst und gab ihm die Sporen und der Hengst springt nach rechts und links. Nein, das war kein gewöhnlicher Hengst; seine Behändigkeit lässt sich gar nicht beschreiben.[104]

So kehrten sie mit dem Schatze nach Sassun zurück. David verschaffte sich einen schönen Falken und ritt auf die Jagd. Die Kälber hatte er schon im Stiche gelassen. Einmal kam er auf der Jagd auf den Acker eines Armen, Dessen Familie zählte sieben Köpfe und er hatte sieben Beete Hirse; vier davon zertrampelte er und es blieben nur drei. Jemand kam mit der Nachricht zu dem armen Greise und sagte: »Du bist zu Grunde gerichtet. Gehe sogleich auf deinen Acker, denn bis zum Abend verwüstet er dir noch die übrigen drei Beete!«

Der Greis stand früh auf, betete und ging hin und sieht – der Acker ist verwüstet. Er schaut, da kommt David auf seinem Hengste geritten, mit dem Falken in der Hand. Der Greis fluchte auf David und sagte: »Hast du keine Furcht vor Gott? Probierst du deine Kraft auf meinem Hirseacker? Ich habe sieben Mäuler zu ernähren und sieben Hirsebeete; vier hast du verwüstet, drei sind geblieben. Wenn du tapfer bist, so komme und nimm dir dein Erbgut zurück, das sich vom Gipfel des Berges Zözmak bis an die Sechanssarkette erstreckt; Mösramelik hat es dir entrissen und zieht Nutzen daraus. Geh' und nimm es dir zurück! Was erprobst du deine Kraft an mir?«[105]

David sagte: »Alter Kerl, fluche mir nicht! Hier hast du eine Handvoll Gold, ernähre dich!« Dabei tötete er einen Falken.

David kehrte nach Hause zurück und sagte: »Onkel Toross, geh' und bringe mir den Feldherrnstab und den Bogen meines Vaters, ich ziehe in den Krieg! Andere zehren an meinem Erbgute und Ihr sagt mir nichts.«

Onkel Toross stand auf, ging zu Zöranwegi und verlangte in Davids Namen den Feldherrnstab und den Bogen seines Vaters. Zöranwegi gab sie nicht. David schickte ein zweites Mal zu ihm und liess ihm sagen: »Wenn du sie giebst, gut – wenn nicht, so will ich dich bearbeiten, dein Kopf wird herunter fliegen und nur der Rumpf bleiben.«

Zöranwegi erschrak und gab des Vaters Feldherrnstab und Bogen heraus und Onkel Toross brachte sie zu David. David schlief ein und hatte in jener Nacht einen Traum.24

Am andern Tage nahm er vierzig Kälber und ging auf den heiligen Maratuk,25 schlachtete dort die Kälber und badete sich in ihrem Blute; hierauf fiel er auf sein Angesicht, weinte und betete so lange, bis ihm Gott ein heiliges[106] Zeichen26 und einen Kamm hernieder sandte. Bis jetzt befindet sich dieses heilige Zeichen dort, in Hawar, in Sorks Hause. David küsste das heilige Zeichen und legte es unter die rechte Achselhöhle, den Kamm unter die linke.

22

Ein gewöhnlicher Schwur.

23

Obgleich die Armenier im 4. Jahrhunderte schon Christen waren, haben sich doch bei ihnen manche heidnische Gebräuche erhalten, die allerdings heute ihren ursprünglichen Sinn verloren haben. Noch heute opfert man Schafe und Kühe, wobei man dem Opfertier am Vorabende etwas vom Priester geweihtes Salz eingiebt. Das Fleisch wird in grossen Kesseln gekocht und dann in den Häusern herumgetragen. Von einer solchen Suppe spricht hier der Hirte. Armenisch heisst diese Suppe »Matach«, was Opfer bedeutet.

24

Der Traum ist im armenischen Texte nicht angegeben.

25

Maratuk ist ein auf dem Berge gleichen Namens erbautes Kloster, nicht weit von Sassun.

26

Wahrscheinlich ein Kreuz.

Quelle:
Chalatianz, Grikor: Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1887, S. 99-107.
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