Koremotschi.

[212] Koremotschi, einer der tapfersten Feldherrn des elften Jahrhunderts, war ein leidenschaftlicher Jäger und durchstreifte oft mit kleinem Gefolge ein wüstes und wildes Gebirge, das mit Ahornbäumen dicht bestanden war. In diesem Gebirge aber hausten viele Oni oder böse Geister, welche die Menschen in Fallstricke zu locken und in große Gefahr zu bringen pflegten. Auch Koremotschi sollte dies erfahren und erlebte eine wunderbare Begebenheit, die man nachmals das Abenteuer auf der Jagd unter den Ahornbäumen benannte, und die man vielfach besungen hat.

Eines Tages, als der tapfere Krieger auf der Jagd war, sah er in einer wilden Schlucht unter den Ahornen ein wunderschönes Mädchen sich mit den versammelten Dienerinnen durch Spiel und Tanz ergötzen. Koremotschi war darüber im höchsten Grade erstaunt und schickte alsogleich einen seiner Vasallen ab, um das schöne Mädchen bitten zu lassen, ihm Zutritt zu gewähren. Der Bote trug sein Gesuch einer der Dienerinnen der schönen Dame vor, und diese brachte ihm bald die frohe Nachricht, daß ihre Herrin erfreut sein würde, einen so ausgezeichneten Samurai1 bei sich bewirthen zu dürfen. Koremotschi, hochbeglückt durch die Botschaft, übergab Bogen und Köcher seinem Gefolge und trat in den Kreis der lieblichen Frauen. Die schöne Dame hieß ihn so liebenswürdig willkommen, daß er, von ihrem Wesen bezaubert, sich niedersetzte und der herrlichen Musik lauschte, die ihm zu Ehren angestimmt wurde. Die Wirthin ließ es sich nicht nehmen, ihn selbst zu bedienen, und reichte dem entzückten Krieger die köstlichsten Speisen und zum Nachtisch Confekt und Wein, so viel er begehrte. Koremotschi, nichts böses ahnend, schwelgte nach Herzenslust in all den Herrlichkeiten[213] und sank nach kurzer Zeit in einen tiefen, betäubenden Schlaf. Dies war die Wirkung bösen Zaubers, denn das schöne Mädchen war in Wirklichkeit ein blutgieriger Oni, der den tapferen Feldherrn nur herangelockt hatte, um ihn zu verderben. Jetzt, da er in den Zauberschlaf gesunken war, nahm ihm der böse Geist zunächst Dolch und Schwert ab, und es war um ihn geschehen, wenn nicht gerade in diesem Augenblicke der Gott Yabata oder Hatschiman, der Schutzgott der braven Krieger, vorüber gezogen wäre, vor dem sich der Oni verstecken mußte. Gott Yabata aber, der sah, in wie große Gefahr eine der besten Stützen des japanischen Reiches gerathen war, und wie Koremotschi unfehlbar der Wuth der bösen Geister erliegen würde, legte, um ihn zu retten, sein eignes Schwert zur Seite des Schlafenden hin. Und als dasselbe das Gewand Koremotschi's berührte, da erwachte derselbe alsogleich und blickte verwundert in die ganz veränderte Umgebung, die im hereinbrechenden Dämmerlichte doppelt unheimlich aussah. Der schöne Zauberspuk mit allen den lieblichen Mädchengestalten war verschwunden; an seiner Seite aber lag ein fremdes Schwert, und er erkannte wohl des Gottes Nähe, obgleich er ihn nicht sehen konnte. Muthig sah er nun allen Gefahren entgegen, sprang auf und nahm das Schwert zur Hand.

Als aber Yabata vorübergezogen, säumte der Oni nicht, hervorzutreten. Das Schwert in Koremotschi's Hand gewahrend, stürzte er mit einer schweren Keule bewaffnet auf den Helden los. Koremotschi aber, der nun den bösen Geist in seiner wahren Gestalt erblickte und sah, was für ein scheußliches Gespenst er war, wie ihm die langen, wirren Haare um das gräßliche, blutrothe Antlitz hingen, trat ihm mit dem guten Schwerte zu offenem Kampfe entgegen. Das Gespenst erkannte sehr wohl, daß es gegen die Macht des Götterschwertes nichts ausrichten konnte, sprang deshalb auf seinen Gegner zu und wollte ihn umklammern und erwürgen. Der gewandte Krieger aber machte sich vom Kobolde frei, verwundete ihn schwer und hieb ihm mit dem[214] heiligen Schwerte das Haupt ab. Alsdann ergriff er dasselbe und zog, die Trophäe hoch emporhaltend, das Götterschwert in der Hand, zu seinem Gefolge zurück.

Seine Leute waren schon in großer Besorgniß um ihn gewesen und empfingen ihn mit großem Jubel, und als er die Begebenheit erzählte, priesen sie seinen Ruhm und den des Gottes Yabata, so daß die Kunde von dem Abenteuer bald die Welt erfüllte und Koremotschi's Name fort und fort im Volke lebt.

1

Bezeichnung der adligen Krieger in Japan.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 212-215.
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