54.
Jakob und seine Kameraden.

[107] Es war einmal eine alte Wittwe, die war so arm, daß sie nicht wußte, wie sie sich und ihren einzigen Sohn bis zur Zeit der Kartoffelernte ernähren sollte. Da sagte eines Abends Jakob zu ihr:

»Mutter, schlachte unser letztes Huhn und backe mir einen Kuchen, denn ich will fort in die weite Welt, um mein Glück zu suchen, und wenn ich es gefunden habe, so eile ich zurück und theile es mit dir.«

Die Mutter that es auch und als sie ihm am nächsten Morgen auf eine kurze Strecke das Geleit gab, fragte sie ihn:

»Lieber Jakob, was hast du lieber, den halben Kuchen und das halbe Huhn mit meinem Segen, oder von beiden das Ganze mit meinem Fluch?«

»Welche Frage!« erwiderte Jakob erstaunt; »du weißt denn doch gut genug, daß ich deinen Fluch nicht mitnehme und wenn ich Damer's1 Reichthümer dadurch gewinnen könnte!«[107]

»Nun, so nimm,« sagte die Mutter freudig lächelnd, »das Ganze mit und sei tausendfach gesegnet!«

Darauf zog er ab und die Mutter sah ihm so lange nach, bis sie ihn aus den Augen verlor.

Als er eine Zeitlang die Landstraße gewandert war, kam er an einen Teich, in dessen Schlamm sich ein alter Esel gefangen hatte. »Hilf mir, lieber Jakob,« schrie er, »oder ich muß hier elendiglich ersaufen!«

»Das brauchst du nicht zweimal zu sagen,« erwiderte der gutherzige Knabe und schleppte gleich die schwersten Steine, die in der Nähe herumlagen, herbei, und warf sie in's Wasser, so daß der Esel festen Fuß fassen und den trockenen Boden erreichen konnte.

»Ich danke dir,« sagte der Esel tiefgerührt, »und wenn ich einmal etwas für dich thun kann, so soll's ebenfalls mit der größten Bereitwilligkeit geschehen. Aber nun sage mir auch, wohin du eigentlich gehst!«

»Ich bin auf dem Wege, mein Glück zu suchen!«

»Da solltest du mich mitnehmen; wer weiß, was wir Beide noch Alles erleben werden!«

»Von Herzen gern!« erwiderte Jakob und Beide gingen fort und kamen in ein kleines Dorf, wo ein Rudel ungezogener Buben hinter einem Hunde herlief, dem sie einen alten Theekessel an den Schwanz gebunden hatten. Da er gerade auf die beiden Reisenden zulief, so ließ der Esel auf einmal seine rauhe Stimme so laut erschallen, daß, alle Jungen, so schnell es ihre Beine erlaubten, fortliefen und glaubten, der leibhaftige Teufel sei hinter ihnen her.

»Herzlichen Dank!« sagte der gerettete Hund, »doch darf ich auch wissen, wo du und dieses graue Thier hingehen?«

»Wir wollen unser Glück suchen und da, wie es scheint, du hier auch nicht zu viel davon hast, so mache dich auf und geh' getrost mit!« Darnach verließen sie zusammen das Dorf und setzten sich unter einen alten Baum, um sich ein wenig auszuruhen. Jakob zog seinen Kuchen hervor und theilte ihn redlich mit dem Hunde, und der Esel ergötzte sich an den umstehenden Disteln.

Während sie sich so recht gütlich thaten und unterhielten, kam eine halbverhungerte Katze zu ihnen gelaufen und miaute so jämmerlich, daß man hätte weinen mögen.[108]

»Du siehst ja aus,« sagte Jakob zu ihr, »als wenn du vor dem Frühstück schon auf elf Dächern herumgewandert wärest; hier ist ein Knochen für dich, ich glaube, du findest auch noch etwas Fleisch daran!«

»Mögen deine Kinder nie einen hungrigen Magen kennen lernen,« erwiderte dankbar die Katze; »darf ich auch fragen, wo ihr hingeht?«

»Wir wollen unser Glück suchen, und da die Straße breit genug ist, so kannst du mitgehen!«

Das ließ sich denn die Katze nicht zweimal sagen und schloß sich der Gesellschaft an.

Als nun ihre Schatten dreimal so groß wie sie selber geworden waren, kam ihnen ein Fuchs mit einem schönen schwarzen Hahne im Maule in den Weg gelaufen.

»Verwünschter Hallunke!« schrie der Esel entrüstet, und der Hund machte sich gleich hinter ihm her. Als dies Reineke sah, ließ er den Hahn wie eine heiße Kartoffel fallen und verschwand so schnell es seine Beine erlaubten.

»Gott sei Dank!« sagte der Hahn, »ich kann von Glück sagen, daß ich euch begegnet bin, und wenn ihr mich mitnehmen wollt, so seid versichert, daß ihr nie einen undankbaren Gefährten in mir finden werdet!«

Darauf marschirten sie weiter. Inzwischen war es Abend geworden und da weder Hütte noch Haus in der Nähe war, so sprach Jakob: »Es ist ja Sommer und je ungünstiger das Glück jetzt, desto besser zeigt es sich ein andermal. Laßt uns in den Wald gehen und im reichen Grase eine Schlafstätte suchen.«

Und so thaten sie auch. Jakob legte sich in's Gras, der Esel ruhte dicht bei ihm und der Hund und die Katze legten sich in seinen Schooß und der Hahn setzte sich auf den nächsten Baum.

Als sie so eine Zeitlang geschlafen hatten, fing der Hahn an auf einmal so laut zu krähen, daß der Esel aufwachte und fragte, was denn eigentlich los sei.

»Der Tag bricht an,« erwiderte der Hahn, »siehst du nicht das Licht dort?«

»Allerdings sehe ich ein Licht,« antwortete der Esel, »aber es ist nicht die Sonne, sondern eine Kerze; da wir aber einmal wach sind, so laßt uns zusammen hingehen und sehen, ob wir nicht ein besseres Quartier finden.«[109]

Darauf rafften sich auch die Andern auf und gingen dem Lichte zu. Als sie ziemlich nahe waren, schallte ihnen fröhliches Gelächter und Singen entgegen, und Jakob sagte:

»Leise, Kameraden, geht auf den Fußspitzen, damit wir erst ermitteln können, mit welchen Leuten wir hier zu thun haben.«

Sie schlichen sich also unbemerkt an's Fenster und sahen nun sechs mit großen Messern und Pistolen bewaffnete Räuber in einem Zimmer sitzen und sich bei Bier, Schnaps und Wein gütlich thun.

»Das war ein glücklicher Zug!« rief einer der Räuber, »doch wenn uns Lord Dunlavin's Hausknecht nicht gewogen gewesen wäre, so hätten wir doch am Ende leer abziehen müssen; laßt uns ein Glas auf seine Gesundheit leeren!«

»Der Hausknecht soll leben!« schrieen nun alle Räuber einstimmig, und Jakob sagte zu seinen Reisegefährten: »Stellt euch Alle in Reih' und Glied und gebt auf mein Kommando Acht!«

Darauf setzte der Esel seine Vorderfüße auf die Fensterbank, der Hund kletterte auf seinen Kopf, die Katze setzte sich ihm auf den Kopf und der Hahn flog auf die Katze. Dann gab Jakob ein Zeichen und Alle fingen auf einmal an, wie rasend zu singen. Ja, Ja! brüllte der Esel; Wau, Wau! bellte der Hund; Miau, Miau! sang die Katze und Kikeriki! rief der Hahn.

»Die Pistolen zurecht!« kommandirte Jakob; »denn Keiner darf lebendig das Haus verlassen! Feuer!«

Darauf zertrümmerten sie alle Fensterscheiben, und die Räuber erschraken so sehr, daß sie Tische und Stühle umwarfen und zur Hinterthüre hinaus in den Wald liefen.

Als dies die Reisenden sahen, gingen sie in das Haus, steckten die Lichter, welche die Räuber ausgeblasen hatten, wieder an, schlossen die Fensterläden und aßen und tranken nach Herzenslust. Darnach legten sie sich schlafen; Jakob legte sich in's Bett, der Esel fand ein angemessenes Unterkommen im Stall, der Hund legte sich vor die Hausthüre, die Katze suchte sich ein warmes Plätzchen am Herde und der Hahn flog auf's Dach.

Als sich die Räuber im Walde wieder zusammengefunden hatten und sich sicher fühlten, sagte der Eine: »Es ist doch ein großer Unterschied zwischen dem feuchten Grase und unserm warmen Zimmer;« und der Andere bedauerte, daß er einen zarten Schweinefuß vor[110] Schreck verloren hatte. »Ich habe,« seufzte der Dritte, »kaum einen Theelöffel voll aus meinem letzten Glase getrunken, und dann denkt nur an all' das schöne Gold und Silber, das wir zurückgelassen haben!«

»Ich will zurückgehen,« sagte darauf der muthige Hauptmann, »und zusehen, ob ich noch etwas retten kann!«

Der hat das Herz auf dem rechten Fleck, dachten die Andern bei sich, aber Keiner wagte es, mit ihm zu gehen.

Als er nun vor die Thüre kam, trat er unversehens dem Hunde auf den Schwanz, was ihm sehr theuer zu stehen kam; denn die Male, die es ihm einbrachte, blieben während seines ganzen Lebens sichtbar.

Da alle Lichter im Hause ausgelöscht waren und nur noch das Feuer im Herde brannte, so schritt er darauf zu; doch da zerkratzte ihm die Katze dermaßen das Gesicht, daß er aussah, als habe er es mit Blut gewaschen.

»Wäre ich nur aus diesem unglücklichen Hause,« seufzte er und taumelte nach der Thüre. Doch da flog ihm plötzlich der Hahn auf den Kopf und ließ mit seinen Klauen keine heile Stelle daran.

»Gefühllose Vagabunden!« schrie er, als er sich wieder erholt hatte und unversehens in den Stall gerathen war. Doch der Esel daselbst blieb ihm die Antwort nicht schuldig und gab ihm einen solchen Tritt auf den breitesten Theil seiner Beinkleider, daß er bewußtlos auf den Misthaufen stürzte.

Als er wieder zu sich gekommen war und ausgefunden hatte, daß ihn seine Beine noch tragen konnten, eilte er wieder dem Walde zu.

»Nun, wie sieht's aus,« riefen die Räuber, als sie ihn kommen sahen, »werden wir unser Eigenthum wieder bekommen?«

»Seht ihr lieber selbst zu,« ächzte der Hauptmann, »denn ich denke vorläufig an andere Dinge. Ach, will mir nicht Einer ein weiches Lager aus Gras zurecht machen? Alles Heftpflaster in Enniscorthy reicht nicht hin, die Risse und Schnitte an meinem Körper zu verkleben! O, wenn ihr nur wüßtet, in welche Gefahr ich mich euertwegen begeben habe! Als ich vor die Thüre kam, stieß ich gegen den Tisch eines Schusters, und wie dieser Hallunke sich mit einer Ahle an mir rächte, kann ein Blinder sehen. Dann ging ich in die Küche, um mir ein Licht anzuzünden, und dort rannte ich[111] gegen eine alte Frau, die eben den Flachs durch die Hechel zog. Wie spitz ihre Hechel war, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Als ich darnach wieder die Thüre hinausging, flog mir etwas auf den Kopf, das sicherlich der Teufel selber gewesen sein muß, denn irgend ein anderes lebendes Wesen ist solcher Grausamkeit nicht fähig. Dann kam ich in den Stall, wo ich aber einen solchen Schlag mit einem Schmiedehammer erhielt, daß ich eine halbe Meile weit flog. Wenn ihr mir nicht glauben wollt, so geht hin und überzeugt euch!«

»O, wir glauben's ja gerne,« erwiderten die Räuber, »und der Teufel soll uns holen, wenn wir uns diesem verwünschten Hause jemals wieder auf einen Tagesmarsch nähern.«

Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, standen Jakob und seine Gefährten auf, machten sich ein köstliches Frühstück zurecht und beschlossen, zu Lord Dunlavin zu gehen und ihm sein Geld wieder zurückzubringen. Jakob füllte es in einen großen Sack und legte ihn dem Esel auf den Rücken und dann ging's munter und guter Dinge dem Schlosse zu.

Der diebische Hausknecht stand vor der Thüre und betrachtete die fremden Gäste mit verdächtigem Blicke. »Was wollt ihr hier?« fragte er sie, »wir haben keinen Platz für euch!«

»Was wir wollen,« erwiderte Jakob, »hast du sicherlich nicht, nämlich etwas Höflichkeit!«

»Macht, daß ihr fortkommt!« schrie der Hausknecht ärgerlich, »oder ich hetze augenblicklich die Hunde auf euch!«

»Weißt du auch,« sagte darauf der Hahn, der auf dem Esel saß, »wer letzte Nacht den Räubern die Thüre öffnete?«

Das Gesicht des Hausknechtes ward plötzlich so roth wie der Kamm des Fragers, und der Lord, der mit seiner Tochter zum Fenster heraussah, sagte ihm, er solle doch antworten.

»Lieber Herr, glaubt doch den Hallunken nicht, daß ich den sechs Räubern die Thüre aufgemacht habe,« erwiderte der Hausknecht.

»Aber woher weißt du denn, daß es gerade sechs Räuber waren?« fragte der erstaunte Lord.

»Laßt es gut sein, lieber Lord,« sagte Jakob darauf, »all' euer Gold und Silber ist hier in diesem Sacke und ich hoffe, daß ihr uns auf ein paar Stunden eine Ruhestelle und etwas Essen nicht verweigern werdet.«[112]

»Sicherlich nicht!« erwiderte der Lord, »und wenn ich es einigermaßen fertig bringen kann, so soll Niemand von euch jemals wieder einen unglücklichen Tag erleben!«

Darauf quartierten sich denn der Esel, der Hund und der Hahn in Hof und Garten ein und die Katze fand bald ein angenehmes Plätzchen in der Küche.

Jakob erhielt fürstliche Kleider und eine goldene Uhr mit einer großen Kette. Darnach ließ er auch seine alte Mutter kommen, um an seinem Glücke teilzunehmen.

Und als Jakob eine Zeitlang in dem Schlosse gelebt und sich als ein treuer und wackerer Diener gezeigt hatte, gab ihm der Lord seine Tochter zur Gemahlin, und keiner seiner Reisegefährten beklagte es je, sich ihm angeschlossen zu haben.

1

Damer, ein Zeitgenosse von Jonathan Swift, war ein reicher Bankier in Dublin; sein Name hatte bei den irländischen Landleuten denselben Klang, wie der des Krösus bei den Griechen.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 107-113.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon