[70] 11. Die beiden jüngsten Königskinder.

[70] Wo war's, wo war's nicht – ein hundertjahralter Unterrock hatte nur eine einzige Falte, die hatte ein Fältchen und in der habe ich gelesen daß einmal ein König war, der hatte sieben Söhne und sieben Töchter. Der König war in Einem fort besorgt, wo er für seine Söhne Frauen und für seine Töchter Männer fände aus königlichem Blute. Zuletzt kam er auf den Gedanken seinen sieben Söhnen seine sieben Töchter zu geben. Alle waren auch zufrieden mit dem Wunsche ihres Vaters, bis auf den jüngsten Sohn und das jüngste Mädchen. Weil diese aber durchaus nicht wollten, so sagte der Vater zu ihnen: »ich gebe euch euer Erbtheil, nun geht und heirathet wo ihr das Glück findet.«

Die beiden Königskinder gingen, und waren schon im fremden Lande als sie in einer Waldung vom Dunkelwerden überfallen wurden. Zum Nachtlager wählten sie sich einen laubigen Baum, welcher mit seinen schattigen Aesten bis auf die Erde hing und so eine Art Dach bildete. Als sie[71] am Morgen aufwachten, erzählte das Mädchen ihrem Bruder, wie sie geträumt hätte nicht weit von ihnen wäre eine Stadt, wo ein König wohnte der seit langer Zeit krank läge, und bis jetzt hätten tausend und abertausend Aerzte ihn nicht heilen können. Aber da hätte ein alter schlohweißer Mann ihr gesagt, der Baum unter dem sie schlieft enthielte ein Wasser, mit dem müßte man den König baden, dann würde es besser werden. Sie besahen darum den Baum und aus einer Spalte rieselte wirklich ein krystallheller Saft. Davon sammelten sie einstweilen so viel in ihren Reisetrinkbecher ging, und machten sich auf den Weg.

Sie kamen aus dem Walde heraus und da stand auch die Stadt vor ihnen. Als sie darin angekommen waren, stiegen sie in der Herberge ab und um zu erfahren, ob der Traum die Wahrheit gesagt hätte, fragten sie den Wirth was es in der Stadt Merkwürdiges gäbe? Dieser kam auch wirklich während seines Gespräches auf die Krankheit des Königs und die vielen unglücklichen Heilungsversuche, und daß er bei schwerer Straft beauftragt wäre, jeden Arzt der bei ihm einkehrte anzumelden. »Ich bin auch ein Arzt,« sagte da der Königssohn, »und das ist mein Diener,«[72] fuhr er weiter fort, und zeigte dabei auf seine Schwester welche sich in Mannskleider gesteckt hatte. Der Wirth meldete sie daher an, und sie begaben sich an den Hof um die Heilung des Königs zu versuchen. Des Königs Leib war wie eine große Wunde, und der Arzt wusch vorher nur seine Hand mit dem Baumsafte. Am andern Tag nahm er zu seiner Freude wahr, wie die benetzte Stelle augenscheinlich besser geworden war. In der nächsten Nacht eilte er darum zu Wagen mit einem großen Holzkübel zu dem Baume, um so viel Wasser zu holen als zu einem Bade nöthig wäre. Nach einigen Bädern wurde der König auch wirklich wieder hergestellt, und der Arzt bekam eine bedeutende Belohnung.

Indessen hatte der Arzt dabei noch die Bitte, der König möchte ihn ein Mal in seiner Wohnung besuchen und ein Mahl bei ihm einnehmen. Der König ging sehr gern auf die Bitte ein, und der Jüngling empfing ihn mit großem Glanz in seinen zahlreichen, königlich ausgeschmückten Gemächern. Der König, da er nur den Arzt bemerkte, fragte nach seinem Gefährten, und in demselben Augenblicke trat aus dem Nebenzimmer ein bezaubernd schönes Mädchen, in welcher der König[73] aber auf der Stelle des Arztes Diener erkannte. Jetzt erzählten die Fremdlinge ihr Schicksal, und der König wurde immer freundlicher, besonders gegen den schönen Kameraden, der sein Herz und seine Seele ganz gefangen genommen hatte, bis die Bekanntschaft kurz und gut mit einer Heirath schloß.

Der Königssohn aber vergaß das Ziel seiner Reise nicht, setzte nach der Feierlichkeit seinen Weg weiter fort, und ruhte auch im nächsten Lande nicht bis er auch da die Hauptstadt erreicht hatte. Schon hatte er auf seinem schönen Renner ihre Straßen betreten, als er über sich aus einem nahen Fenster eine Stimme hörte: »Hm! Auch du wirft ohne mich dein Glück nicht machen können!« und wie er hinsah, bemerkte er einen alten Mann der dort herunter schaute. Als hatte er den Ruf nicht gehört, zog er fürbaß, und auf die eine und die andere Nachfrage in der Herberge sagte man ihm, wie ein Freier der Muth hätte in dieser Stadt zu einem recht großen Glücke kommen könnte, aber auch zu sehr großem Unglück. Nämlich der König hatte eine Tochter, welche außer einer alten Amme noch Niemand je gesehen hatte. Diese Tochter hatte drei Maale,[74] wer die angab, was und wo sie wären, der bekam das Mädchen. Wer aber das Ding wagte und das Rechte nicht traf, wurde auf einen Pfahl gespießt, und schon Neunundneunzig hatte dies Loos getroffen.

Als der Jüngling das hörte, fing es ihm an deutlich zu werden, was der Alte oben mit seinem Zurufe gemeint hätte. Er dachte, Jener hätte wahrscheinlich in ihm auch so einen Glücksritter gesehen, und ein Gedanke durchblitzte seine Seele: vielleicht daß der Alte etwas von dem Geheimnisse weiß, und es würde gut sein seine Bekanntschaft zu machen. Ein Vorwand fand sich. Der Alte war ein Goldschmied, und der Königssohn hatte gerade auf der Reise ein Rädchen aus seinem goldenen Sporen verloren; er ging also hin zu dem Alten, und nachdem sie wegen des Spornrädchens einig geworden, fragte er nach jener Geschichte; der Alte antwortete aber dasselbe was der Herbergswirth gesagt hatte. Der Jüngling sagte nach einigem Nachdenken: »Das ginge wohl,« und fragte den Alten mit einem vielversprechenden Blicke ob er ihm nicht in Etwas helfen könnte, wenn er hinaufginge? »Für gutes Geld, sehr leicht,« sagte der Goldschmied. »Darum[75] habe keine Sorge,« sagte der Jüngling, »sag nur wie, vorläufig soll auch dieser Beutel dein sein.« Als der Alte die guten Aussichten wahrnahm, sagte er: »Ich will ein silbernes Pferd schmieden in welchem deine Hoheit Platz hat, und es auf dem Markte ausstellen. Ich bin sicher, daß mir's kein Andrer abkauft außer dem königlichen Hofe, und wenn du nur einmal bei ihr drin bist, dann kannst du nach Belieben aus deinem Versteck heraus und herein, dann hast du gewonnen Spiel.«

So geschah es; am nächsten Markte war nahe am königlichen Pallaste wirklich ein prachtvolles silbernes Pferd ausgestellt. Bewunderer fand es genug, aber Käufer wegen des hohen Preises keinen, bis von dem königlichen Hofe ein Mann danach fragte. Ein Paar Augenblicke nachher kam er wieder: Der König kaufte das Pferd und machte es seiner Tochter zum Geschenk. So war der Herzog nun auf einmal da, wo es sonst so sehr schwer hielt hin zu kommen, und hörte drin mit Furcht und Freude die Silberstimme des schönen Mädchens, wie sie mit dem Pferde spielte das man auf Rädern rollen konnte, und es ihr liebes Bläßchen nannte. Es wurde Abend, das geheimnißvolle schöne Mädchen legte sich zur[76] Ruhe, alles um sie wurde allmählich still und nur ihre alte Amme nickte nicht weit von ihrem Bette. Aber um Mitternacht war auch die fest entschlafen.

Jetzt als er alles im tiefen Schlafe wußte, kroch der Herzog aus dem Pferde heraus, näherte sich selber mit angehaltenem Athem dem Bette, und sieh, auf der Stirn des Mädchens glänzte eine Sonne, auf der rechten Brust ein Mond, und drei Sterne auf ihrer linken. Diese drei geheimnißvollen Zeichen merkte sich der Königssohn und wandte sich wieder um zu seinem Versteck, da erwachte die Königstochter. Sie wollte schon schreien als sie auf einem recht stehenden Blick des Jünglings schwieg, das Auge der Jungfrau blieb gebannt an den zauberisch schönen Königssohn, der ihr jetzt erzählte wie und warum er es gewagt hieher zu kommen. Das Mädchen war auch lange schon ihren Verschluß überdrüssig, daher beriethen sie sich nun gemeinschaftlich über ihre Befreiung, dann ging er wieder in seinen Versteck.

Nach ihrer Verabredung verwischte das Mädchen am andern Tage etwas am Ohre des Pferdes und schickte es zu seinem Verfertiger um es[77] ausbessern zu lassen, wo denn der Königssohn seinen gefährlichen Schlupfwinkel verließ. Jetzt beschenkte er den Goldschmied auf's Neue und kehrte dann zu seinem neuen Schwager zurück, damit er mit prächtiger Ausrüstung und königlichem Pompe zurückkommen könne und auf Königsart sein Glück versuchen könne. Begleitet von zahlreichen Rittern von denen Einer immer schöner war als der Andre, auf stolzen Rossen kehrte der Königssohn zurück und meldete sich beim König, wie daß er das Glück um seine Tochter versuchen wolle. Der Jüngling gefiel dein Fürsten sehr, und dieser bat ihn herzlich sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen; er aber blieb natürlich dabei und unterwarf sich den Bedingungen, worauf sie den Tag zur Auflösung des Räthsels festsetzten.

Das Volk drängte sich wie zu einem großen Feste an den Platz wo die Geschichte vor sich gehen sollte, bedauerte den schönen Jüngling und beklagte sein Schicksal. Der König gewährte drei Tage für das Unternehmen und somit auch drei Auflösungsversuche. Den ersten und zweiten Tag, damit der Sieg desto vollkommener wäre, sagte der Königssohn andere Auflösungen; am[78] dritten Tage aber als gerade sein Leben ganz auf dem Spiele stand, nannte der Königssohn mit lauter Stimme die Zeichen. Der König bestätigte Alles als wahr, worauf der Königssohn unter dem Jubel der Menge und dem Schall der Pauken zu seiner künftigen Gemahlin geführt wurde. Jetzt, gab der König der ganzen Stadt ein großes Hochzeitsfest, übergab seinem Eidam den Thron und sie herrschten noch viele Jahre glücklich zusammen.


II, S. 348.

Quelle:
Stier, G.: Ungarische Sagen und Märchen. Berlin: Ferdinand Dümmlers Buchhandlung, 1850, S. 70-79.
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