Ostrakismos

[502] Ostrakismos (gr, Scherbengericht, od. vielmehr Scherbenurtheil), in Athen ein politisches Verfahren[502] bestehend in der Verbannung einzelner hervorragender Männer, von deren wachsendem Ansehen man fürchtete, daß sie der Volksfreiheit gefährlich werden könnten. Der O. war kein Gericht, sondern ein Privilegium des Volkes, ein Act der Gesetzgebung gegen einen einzelnen Bürger. In einer vorhergehenden Volksversammlung wurde nämlich gefragt, ob Einer od. Einzelne wären, gegen welche der O. in Anwendung zu bringen sei; wurde die Frage bejahet, so gab jeder der Versammelten in der nächsten Versammlung seine Stimme auf ein Ostrăkon (Scherbe, irdenes Täfelchen) geschrieben ab, u. wenn Einer wenigstens 6000 Stimmen gegen sich hatte, so mußte er auf 10 od. 5 Jahre die Stadt verlassen, konnte aber durch Volksbeschluß eher zurückgerufen werden. Der O., eine Erfindung demokratischer Mißgunst u. Eifersucht, kam namentlich in Athen zur Anwendung, wo er zur Zeit des Klisthenes aufgekommen sein soll u. im Peloponnesischen Kriege durch Alkibiades abgeschafft wurde (der Demagog Hyperbolos war der letzte, welcher so gemaßregelt wurde). Der O. war übrigens keine Strafe u. hatte auch weder Verlust der bürgerlichen Ehre noch des Vermögens zur Folge. Von Athen verbreitete sich diese Sitte auch nach Argos, Megara, Milet; vgl. Petalismos. Vgl. Fr. Jacobs, Über den O., im 6. Bande der Vermischten Schriften; Heumann, De ostracismo Atheniensium, 1839.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 502-503.
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