[605] Privilegĭum (lat.), 1) ursprünglich ein zum Nachtheil eines Einzelnen gefaßter Volksbeschluß; 2) in der späteren Kunstsprache der römischen Rechtsquellen ein von den gewöhnlichen Rechtsgrundsätzen abweichender Rechtssatz (.Jus singulare). In diesem Sinne, als anomales Recht, sind die Privilegien stets auf eine gewisse Klasse von Personen od. Sachen od. Rechtsgeschäften beschränkt; sie erscheinen indessen immer noch als Rechtssätze u. bilden daher einen Theil des Rechts im objectiven Sinne. Beispiele derselben bieten das Beneficium competentiae, das Recht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die Rechtswohlthaten der Bürgen etc. Die P. dieser Art erscheinen im Römischen Recht als besondere Vortheile (Privilegia favorabilia); in neuerer Zeit pflegt man jedoch auch Ausnahmsgesetze, welche zum Nachtheil einer gewissen Klasse von Personen, Sachen od. Rechtsverhältnisse gegeben sind, z.B. die Verweisung gewisser Rechtssachen an besondere Ausnahmsgerichte, als odiöse P. (P. odiosa) zu bezeichnen. Im Allgemeinen gilt dabei übrigens die Regel, daß der Privilegirte die Wahl hat, ob er von dem zu seinen Gunsten bestehenden Rechtssatze od. dem gewöhnlichen Rechte Gebrauch machen will; andererseits wird die Ausübung des P-s überall verwirkt, wo sich der Privilegirte durch ein unrechtliches Verhalten dieser Gunst unwürdig gemacht hat; 3) ein in Ansehung gewisser einzelner Personen od. Sachen durch den Gesetzgeber erlassenes Ausnahmegesetz, wodurch besondere Rechte für die fragliche Person od. Sache vor allen andern begründet werden. Die P. dieser Art erzeugen nur eine ganz für sich bestehende Berechtigung im subjectiven Sinne, welche für andere gleiche Fälle ohne Consequenzen ist. Man theilt dieselben gewöhnlich ein in: a) Privilegia personalia u. P. realia, je nachdem sie nur einer bestimmten Person, über welche die Berechtigung nicht hinausgeht, od. einem Sachindividuum, so daß sie dem jedesmaligen Eigenthümer der Sache zusteht u. daher bei Besitzwechseln auf den neuen Erwerber übergeht, ertheilt worden ist. P., welche neben dem Besitze der bevorrechteten Sache auch noch eine besondere persönliche Qualification des Besitzers zu ihrer Ausübung erheischen, nennen Manche P. mixta; b) P. conventionalĭa u. P. gratiōsa, je nachdem sie von dem Ertheiler des P-s entweder in Folge eines abgeschlossenen Vertrags, od. in Folge freiwilligen Gnadenactes erworben worden sind; c) P. onerōsa u. P. gratuĭta, je nachdem dem Ertheiler für die Ertheilung ein Äquivalent gegeben worden ist od. nicht; d) P. affirmatīva, wenn dadurch die Befugniß zu einer sonst nicht gestatteten Handlung ertheilt wurde, P. negatīva, wenn der Privilegirte damit Erlaubniß zu einer sonst nicht gestatteten Unterlassung erhielt; e) P. exclusīva, wenn mit dem P. zugleich ein Verbietungsrecht gegen Nichtprivilegirte verbunden ist, u. P. non exclusiva, wo ein solches Verbietungsrecht fehlt. Wird durch das P. nur eine Ausnahme für einen einzelnen Fall begründet, so heißt es Dispensation (s.d.); bezieht sich dasselbe auf die Berechtigung zu gewissen, von der Genehmigung des Staates abhängigen Gewerben, so wird es bes. Concession (s.d.), u. ist die Concession als P. exclusivum ertheilt, Monopol (s.d.) genannt. Die Entstehung der P. erfolgt regelmäßig durch Verleihung desjenigen, welchem die gesetzgebende Gewalt zusteht. Zu den Zeiten des Deutschen Reiches befand sich die sogenannte Privilegiengewalt theils ausschließlich in den Händen des Kaisers, welcher sie in gewissen Fällen, z.B. bei Ertheilung eines Zollprivilegiums, auch nur unter Zustimmung der Reichsstände ausüben durfte; theils concurrirten bei Ertheilung derselben die Landesherren mit dem Kaiser, od. es übten die Letztern, was mit Ausbildung der Landeshoheit immer gebräuchlicher wurde, diese Gewalt allein, mit Ausschluß des Kaisers, aus Eine Concurrenz der Landstände fand dabei nicht statt; nur durfte der Landesherr dabei keine Eingriffe in wohlerworbene Rechte, namentlich nicht in die besondern Gerechtsame der Landschaft, thun. Nach heutigem Rechte sind die Reservatrechte des Kaisers auf die Landesfürsten übergegangen, welchen die Ertheilung der P. auch in der Regel ohne Mitwirkung der Kammern zusteht. Nur wenn mit dem P. ein Eingriff in die Rechte der Persönlichkeit od. des Eigenthums der Unterthanen verbunden ist, steht den Ständen eine Mitwirkung zu, insofern sie verfassungsmäßig überhaupt zu Gesetzen erforderlich ist. Der Beweis der Ertheilung Seitens des Inhabers der gesetzgebenden Gewalt kann aber auch durch den Nachweis einer schon seit unvordenklicher Zeit erfolgten Ausübung ersetzt werden. Die Wirksamkeit eines P-s bleibt immer auf die Grenzen des Staates beschränkt, von dessen Regenten dasselbe ertheilt ist. Ebenso ist dasselbe für wohlerworbene Rechte Dritter ohne Nachtheil. Bei der Auslegung des Umfanges sind die P. als Ausnahmen eng zu interpretiren. Daher ist eine analoge Ausdehnung derselben auf verwandte Fälle ausgeschlossen. Treten mehre P. mit einander in Collision, so verdient stets das ältere den Vorzug, weil die Ertheilung des neueren nur unter Beobachtung der, von Andern bereits erworbenen Rechte geschehen durfte, u. es soll nicht darauf ankommen, ob das ältere ein gratioses od. conventionelles gewesen ist. Der Verlust des P-s kann seinen Grund entweder in der Beschaffenheit des P-s selbst, od. in dem Willen der Staatsgewalt, od. in dem Privilegirten selbst haben. In erster Hinsicht tritt der Verlust mit Ablauf der Zeit, auf welche das P. ertheilt wurde, bei[605] Personalprivilegien mit dem Tode des berechtigten Subjectes, bei Realprivilegien durch den gänzlichen Untergang der Sache ein (bei einem blos theilweisen Untergang der Sache dauert dagegen das P. fort). In dem Willen der Staatsgewalt begründet ist der Verlust der P. durch Zurücknahme u. Aufhebung mittelst Gesetzes, die letztere steht jederzeit der gesetzgebenden Gewalt frei, ohne daß dem Privilegirten ein Widerspruch dagegen einzuräumen wäre; nur kann im einzelnen Falle ein Anspruch des Privilegirten auf Entschädigung begründet sein. Die Zurücknahme mittelst Widerrufes steht der Staatsgewalt dann zu, wenn die Ertheilung gleich Anfangs nur auf Widerruf (ad beneplacitum) erfolgt war. Auch außerdem kann die Einziehung noch erfolgen, wenn der Privilegirte das Recht zum Nachtheile des Staates mißbrauchte, od. wenn sich das fernere Bestehen des P-s als mit dem Staatswohl u. der Erreichung des Staatszweckes unvereinbar erweist. Der Privilegirte selbst kann die Endigung des P-s herbeiführen, wenn er entweder ausdrücklich od. stillschweigend darauf verzichtet. Dieser Verzicht steht dem Privilegirten immer frei, insofern nicht dadurch die wohlerworbenen Rechte Dritter verletzt werden od. mit dem Fortbestande des P-s zugleich ein öffentliches Interesse verbunden ist. Durch Nichtgebrauch erlöschen die P. nur dann, wenn das Recht, auf welches sich das P. bezieht, auch ohne P. zu sein, dieser Erlöschungsart unterliegt. Bes. entschieden ist im Römischen Recht, daß die Concession eines Jahrmarkts (P. nundinarum) durch Nichtgebrauch von 10 Jahren untergehe, u. im Canonischen Recht, daß die Zehntfreiheit in 30 Jahren verloren geht, wenn von ihr kein Gebrauch gemacht worden ist.