Tiefsinn

[591] Tiefsinn, 1) als Prädicat des Denkens od. eines Gedankenproductes die Eigenschaft desselben, vermöge deren die Gedanken aus Gründen abgeleitet werden, welche einer oberflächlichen Betrachtung nicht sofort zugänglich sind, sondern selbst wieder als Folgen weiter rückwärts liegender Gründe entwickelt werden. Während der Scharfsinn sich auf eine genaue u. präcise Bestimmung u. Sonderung des Einzelnen bezieht, gibt sich der Tiefsinn in der Art der Begründung zu erkennen; es kann daher bei wissenschaftlichen Untersuchungen Scharfsinn ohne T., aber keinen wahren T. ohne Scharfsinn geben. Ein Kunstwerk, namentlich im Gebiete der Poesie, heißt tiefsinnig, wenn sein Verständniß den Leser nöthigt den ihm zu Grunde liegenden Gedanken durch eigenes Denken nachzuforschen; 2) die bis zur Geisteskrankheit gesteigerte Neigung in seine eigenen, trüben u. traurigen Gedanken zu versinken, also so v.w. Melancholie, s.d.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 591.
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