Pantomime

[876] Pantomime. (Schauspiehlkunst)

Ist das lateinische, oder vielmehr griechische Wort Pantomimus, welches einen Schauspiehler bedeutet, der eine ganze Role eines Drama ohne Worte, durch die bloße Sprach der Gebehrden ausdrükt. Gegenwärtig nennet man ein dramatisches Schauspiehl, das durchaus ohne Reden vorgestellt wird, eine Pantomime; und dann drükt man durch dieses Wort auch überhaupt dasjenige aus, was im Drama zum stummen Spiehl gehöret.

Von den römischen Pantomimen, die, wie es scheinet in den Zeiten des Augustus aufgekommen sind, und in deren Spiehl die Römer bis zur Raserey verliebt gewesen, wollen wir hier nicht sprechen. Wer Lust hat sich eine Vorstellung davon zu machen kann Lucians Abhandlung vom Tanzen, und des Abbe du Bos gesammelte Nachrichten hierüber lesen.1 Dieses Schauspiehl kommt gegenwärtig in keine Betrachtung, ob es gleich noch vor kurzem hier und da auf einigen Schaubühnen erschienen ist. Was izt noch Aufmerksamkeit verdienet, ist der Theil des stummen Spiehles, den man Pantomime nennt.

Es ist schweer zu sagen, wie viel von der guten Würkung einer dramatischen Scene den Worten des Dichters, wie viel dem Ton, und wie viel der Stellung und Bewegung der Schauspiehler zuzuschreiben sey. Jedes hat einen sehr wesentlichen Antheil daran, darum ist die Pantomime gewiß ein wichtiges Stük der Vorstellung. Wir rechnen die Mine, die Stellung und alle Bewegungen, nicht nur der sprechenden, sondern auch aller andern auf der Scene erscheinenden Personen dazu; hier aber schränken wir uns auf das eigentliche stumme Spiehl, oder auf dasjenige ein, was die in der Scene gegenwärtigen Personen zu thun haben, währender Zeit, da sie andern zuhören, oder selbst nicht sprechen.

Dieser Theil der Kunst ist so wenig bearbeitet, und erfodert, wenn er nur einiger maaßen methodisch behandelt werden soll, die Betrachtung einer so großen Menge besonderer Fälle, aus deren Entwiklung die allgemeinen Grundsäze hergeleitet werden müssen; daß ich es nicht über mich nehmen kann, diese Materie förmlich abzuhandeln. Ich muß mich [876] hier auf einige allgemeine Anmerkungen, und einen Vorschlag, der auf eine wahre Theorie dieses Theils abziehlt, einschränken.

Nach meiner Empfindung wird gegen keinen Theil der Kunst öfter und schweerer gefehlet, als gegen diesen, vornehmlich in Scenen, wo in Gegenwart mehrer Personen eine allein etwas lange spricht, oder wo zwey das Gespräch eine Zeitlang allein fortsezen. Insgemein ist so gar keine Wahrheit, so gar keine Natur in dem Betragen der nicht redenden Personen, daß die Täuschung, darin man etwa gewesen, plözlich auf höret, und einen merklichen Verdruß, den eine sehr falsche Kunst und ein höchst unnatürliches und erzwungenes Wesen verursachen, zurükläßt.

Ein sehr allgemeiner Fehler ist es, daß die nicht redenden Personen, wenn das, was die redenden sagen, sie eigentlich nicht angeht, sich in Parade hinstellen, als ob dem Zuschauer viel daran gelegen wäre, sie immer zur Aufwartung parat zu sehen. Die Natur giebt es an die Hand, daß, wenn zwey Personen für sich mit einander reden, das die andern gegenwärtigen nicht intereßirt, diese inzwischen herumgehen, oder sonst ohne allen Zwang, und ohne alle Rüksicht, auf das, was die redenden angeht, sich der Phantasie desselben Augenbliks überlassen. Und dieses sollte doch eben nicht schweer seyn. Diejenigen, die in einer solchen Scene nichts mehr zu sprechen haben, dürfen sich nur hinsezen, wo sie wollen, oder herumgehen, oder einen andern von der Gesellschaft allein nehmen, um ihm leise etwas zusagen. Da sehe ich gar keine Schwierigkeit darin, sich auf der Bühne eben so natürlich zu betragen, als wenn man in würklicher Gesellschaft wäre. Die hingegen, die noch zu sprechen haben, dürfen sich nur angewöhnen, währender Zeit, da sie etwas anders thun, und ohne es sich merken zu lassen, genau auf die redenden Personen zu hören, damit sie zu rechter Zeit einfallen können. Dieses ist doch auch nicht sehr schweer.

Mehr Ueberlegung und Kunst erfodern die alle vorhandene Personen intereßirende Scenen, wobey etliche bloße Zuschauer sind, oder doch eine beträchtliche Weile nichts zu sagen haben. Denn da muß jeder an dem, was er hört und sieht, Antheil nehmen, und dieses muß auf eine höchst natürliche Weise geschehen.

Hier machen die meisten Schauspiehler es sich zu einer Regel, daß sie bey scherzhaften Scenen in einer, oder wenn es die Umstände nothwendig machen, in zwey Gruppen zusammenstehen, und daß währender Scene an diesen Gruppen wenig verändert werde. Aber die Regel verleitet sie zu dem ärgsten Zwang. Wie es z.B. sehr natürlich ist, wenn eine geliebte Person in Ohnmacht hinsinket, daß alle dabey gegenwärtige um sie zusammenlaufen; so ist es auch oft höchst unnatürlich, daß sie währender Ohnmacht um sie herumbleiben. Der Schmerz macht viel zu unruhig, als daß man dabey lang auf einer Stelle bleiben könnte. Viel natürlicher ist es, daß nach dem ersten Zusammenlauf, und nachdem die Hülfe veranstaltet worden; einer sich vor Betrübnis auf einen Stuhl hinwirft, um sich seinem Schmerzen zu überlassen; ein andrer langsam an dem Orte der Scene, in Traurigkeit vertieft, herumirrt; ein dritter abgesondert vor sich steht, und mit niedergesenktem Haupte, der Traurigkeit still nachhängt, oder neben der leidenden Person steht u. d. gl. Hat er etwas zu reden, so kann er es an dem Orte thun, dahin der Schmerz ihn getrieben hat. Die einzige Schwierigkeit dabey ist diese, daß die Zuschauer, so viel möglich, jede Hauptperson im Gesichte behalten. Aber ehe man der Scene Zwang anthut, ist es besser diese Erfodernis einmal fahren zu lassen.

Erwekt aber eine interessante Scene lebhafte Leidenschaften, Freude, Zorn, Furcht, Schreken, da es noch weit unnatürlicher ist, daß die Personen eine beträchtliche Zeit in einerley Gruppen bleiben; da wird die Kraft der Scene durch Mangel oder das unnatürliche der Pantomine völlig zernichtet. Auf der deutschen tragischen Bühne wird nicht selten gerade da, wo das Schreken, oder der Schmerz des Mitleidens am höchsten steigen sollte, gelacht; und allemal ist eine verkehrte Pantomime daran schuld.

Der comischen Bühne kann der Mangel der Pantomime alles Leben benehmen. Lustige Charaktere äußern sich insgemein am stärksten, durch Gebehrd und Bewegung des Leibes, und davon hänget die Würkung der meisten Scenen, weit mehr ab, als von dem, was der Zuschauer höret. Man erinnere sich der Scene zwischen Frosine und Harpagon, in dem Geizigen des Moliere, die durch eine gute Pantomime des Harpagon, da wo er nichts redet, äußerst comisch wird. Sie ist aber im comischen, viel leichter, als im tragischen; weil dort das Uebertriebene, oder nicht völlig Natürliche selbst, bisweilen [877] etwas comisches hat. Die meisten comischen Originale haben in ihrem Aeußerlichen etwas seltsam mimisches, das gegen das gewöhnliche Betragen der Menschen, als übertrieben, oder unnatürlich absticht.

Diderot schlägt vor, daß der Dichter überall wo es nöthig ist, den Schauspiehlern die Pantomime vorschreibe, und führet sehr scheinbare Gründe dafür an. Aber ich befürchte, daß durch dieses Mittel, so bald die Vorschrift umständlich ist, den Schauspiehlern ein neuer Zwang angethan würde, und dadurch die Ursachen der schlechten Pantomime sich vermehren möchten. Denn die Furcht die Sache nicht gut zu machen, und der daraus entstehende Zwang hat eben den größten Antheil an so viel schlechten Vorstellungen, und nur gar zu ofte wird die Pantomime unnatürlich, weil man sich, um sie natürlich zu machen, genau an eine Vorschrift hat halten wollen. Das beste Mittel die Schauspiehler zu unterrichten, scheinet mir dieses zu seyn, daß Kenner des Schauspiehls die vornehmsten Scenen der bekanntesten Stüke vornehmen, und über die Pantomime derselben, ihre Gedanken, mit guten Gründen unterstüzt, eröffnen. Jeder Dichter, der ein neues dramatisches Stük herausgiebt, könnte dieses in einer Vorrede dazu thun. Aber man müßte nicht umständliche noch entscheidende oder ausschließende Vorschriften geben. Jede Scene kann auf mehr als einerley Weise pantomimisch gut ausgeführt werden.

Zuerst also müßten über den wahren Charakter der Scene, die man besonders vornimmt, allgemeine, richtige Anmerkungen gemacht, und die Natur der darin sich äußernden Leidenschaften genau und besonders auch nach ihren äußerlichen Würkungen betrachtet werden. Hierauf könnten besondere Vorschläge, die ins Umständliche fallen, gethan werden. Man müßte zeigen, auf wie vielerley Art die Pantomime dieser Scene könnte angeordnet werden, deren jede mit ihrem Charakter übereinkäme, und denn besonders zeigen, wie jede den allgemeinen Foderungen genug thue.

Durch dergleichen einzele critische Beleuchtungen besonderer Scenen, würde man allmählig den Weg zu einer einfachen und wahren Theorie der Pantomime bahnen; Sammlungen solcher einzelen Abhandlungen in den Händen der Schauspiehler, würden diese zum gehörigen Nachdenken über ihre Kunst bringen, und ohne ihnen Zwang anzuthun, das besondere allemal noch ihrer eigenen Wahl überlassen.

Pantomimische Tänze, oder Ballette, sind solche, die eine würkliche Handlung vorstellen, und kommen den eigentlichen pantomimischen Vorstellungen der Alten etwas nahe. Es ist schon anderswo2 angemerkt worden, daß sie die einzigen Balette sind, die auf der Schaubühne erscheinen sollten.

1In feinen Reflexions sur la poesie et la peinture.
2Art. Ballet.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 876-878.
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