Der Churfürst von Sachsen

[16] Der Churfürst von Sachsen hatte sonst unter den Reichsständen im Chur-Collegium den sechsten Platz, jetzt aber den vierten. Sein Erzamt beim Kaiser und Reiche ist das Erzmarschallamt, welches er aber heut zu Tage nie in Person ausübt, sondern durch seinen Erbbeamten (Erbmarschall), den Grafen von Pappenheim1, verrichten läßt, und zur Wahl [16] des Kaisers, als mitwählender Churfürst, Gesandte schickt.

Was die Functionen des Erzmarschalls betrifft, so waren solche ehedem, das heißt, so lange die Deutsche Art Krieg zu führen noch anwendbar war, von viel großerm Umfange als jetzt. Sonst mußte der Erzmarschall bei Reichskriegen die Armee commandiren, und hatte, mit einem Worte, die ganze Disciplin über die Reichsarmee. Jetzt aber besteht die Hauptbeschäftigung desselben bloß darin, daß er, oder vielmehr sein Erbbeamter, der Graf von Pappenheim, bei der Kaiserkronung den Zug aus der Bartholomäuskirche zu Frankfurt am Main bis aufs Rathhaus, den Römer genannt, anordnet und commandirt, und während der Tafel dem Kaiser von einem zu diesem Behufe aufgeschütteten Haufen Hafer reitend ein Maaß davon herbei holt, auch während der Kaiserwahl und Krönung über die Fremden die Polizei hat, welche ihm auch in gewissen durch Verträge bestimmten Fällen beim Reichstage zusteht.

Der Churfürst von Sachsen hat auf dem Reichstage, so wie jeder andere Churfürst, im Chur Collegium eine Stimme, im Fürstenrathe aber nimmt er mit den sämmtlichen herzoglichen Häusern Theil an der Stimme wegen Henneberg, oder hat, wie der Staatsrechts-Lehrer sagt, fünf Zwölftheile an der Hennebergischen Stimme. Dieß ist aber auch alles; und es ist wirklich zu bedauern, daß ein so alter, bedeutender Reichsstand ein so sehr eingeschränktes Stimmenrecht hat, besonders wenn man andere nicht mächtigere Häuser ihm entgegen setzt, die oft mehrere Stimmen haben. Zwar ist in neuern Zeiten auf vier Stimmen im Fürstenrathe von Chursachsen angetragen worden, aber die Einführung noch nicht erfolgt.

[17] Unter den protestantischen Ständen ist Chursachsen der erste Stand und hat in dem Corpore Evangelicorum das Directorium, so wie er im Obersächsischen Kreise ebenfalls Director und kreisausschreibender Fürst ist.

Die Ernestinische oder jetzt herzoglich Sächsische Linie besteht gegenwärtig noch in folgenden fünf regierenden Häusern: Weimar, Gotha, Meinungen, Coburg und Hildburghausen, deren jedes die Landeshoheit für seine Besitzungen hat, auch einigen unter ihnen auf der Reichsversammlung oder dem Reichstage im zweiten Senat oder Fürsten-Collegium eine oder mehrere Stimmen zustehen, nach der Anzahl ihrer reichs- und stimmenfähigen Länder. Denn so hat Weimar zwei Stimmen, die eine wegen des Fürstenthums Weimar und die zweite wegen Eisenach. Auch dem Hause Gotha stehen wegen seiner zwei Fürstenthümer zwei Stimmen zu, nehmlich die eine wegen Gotha und die andere wegen Altenburg. Coburg hat wegen Coburg nur eine Stimme; und Meinungen und Hildburghausen haben bloß an der Hennebergischen Stimme Antheil, welche Stimme überhaupt von sieben Interessenten geführt wird, nehmlich von Chursachsen, von Weimar wegen Weimar, von Weimar wegen Eisenach, von Gotha wegen Gotha, von Coburg wegen Saalfeld, von Meinungen und von Hildburghausen.

Alle Besitzungen der Ernestinischen Häuser gehören zum Obersächsischen Kreise, bis auf den Theil, den jedes unter ihnen an der gefürsteten Grafschaft Henneberg besitzt; Meinungen jedoch ausgenommen, dessen Landesportion gänzlich zum Fränkischen Kreise gehört, welches auch bei der Vertheilung des der Ernestinischen Linie zugefallenen Theils der Hennebergischen Lande das Meiste erhalten hat.

Sämmtliche Besitzungen der herzoglichen Häuser sind ebenfalls sehr gut und vortrefflich, sowohl wegen ihres gesegneten Bodens, welcher Früchte jeder Art reichlich hervorbringt, als auch wegen ihrer arbeitsamen Einwohner, welche, den Einwohnern Chursachsens gleich, Fabriken jeder Art anzulegen gewußt haben, und jährlich bedeutende Summen durch den Absatz und Vertrieb [18] dieser Fabrikwaaren aus dem Auslande hereinziehen, so, daß man auch diese Staaten mit Recht unter die wohlhabendsten und besten Staaten Deutschlands rechnen kann.

In den sämmlichen Sächsischen Landen der Chur-und herzoglichen Linie ist nur eine Religion die herrschende, nehmlich die evangelisch-lutherische. Daher Müssen auch alle Stände dieser Lande, adelicher und burgerlicher Geburt, ja schon Jeder, der nur irgend ein Immobile, sei es in Städten oder auf dem Lande, in seinem Namen besitzen will, dieser Religion zugethan sein, oder einen Lehnträger, der dann wieder einen Revers an den rechten Eigenthümer ausstellt, haben, auf dessen Namen das Grundstück in den Consensbüchern eingeschrieben steht, und von dem es in Ansehung der öffentlichen Lasten vertreten werden muß.

So wie nun in den sämmtlichen Sächsischen Landen bloß die Bekenner der evangelisch-lutherischen Religion, laut ausdrücklicher Fundamentalgesetze, zum Erwerb und bürgerlichen Besitz der Immobilien zugelassen werden können; eben so können aber auch bloß Lutheraner zu irgend einem Amte, sei es nun, daß dasselbe vom Landesfürsten selbst oder von einem Landsassen vergeben wird, gelassen werden. (Nur bei Besetzung der Hof- und Militair-Chargen braucht der Fürst die Religion nicht ängstlich zu berücksichtigen.) In demselben Verhältnisse sind auch, besonders in den Städten, alle diejenigen, welche hier das Bürgerrecht oder bei irgend einer Gülde die Aufnahme suchen wollen.

Zwar geschah, ziemlich in der Mitte des verflossenen Jahrhunderts, nach vorgängigen vielen und mannichfaltigen Widersprüchen, die Aufnahme zweier Colonien in den Sächsischen Churlanden, aber in Vergleichung gegen die evangelisch lutherische Religion nur unter den größten und gemessensten Einschränkungen, in welchen sowohl die Ausübung der Religion selbst als das bürgerliche Dasein dieser aufgenommenen Colonisten hinlänglich bestimmt wurde, nehmlich die Französisch-reformirte und die Italiänisch-katholische Colonie. Beiden wurden bloß die zwei Städte Dresden und Leipzig zu ihrem Domicil verstattet; beiden wurden mit der Zeit Kapellen [19] und Bethäuser und überhaupt die ungestörte Gottesverehrung nach ihrer Liturgie, jedoch keineswegs die öffentliche Ausübung (mithin nicht die Läutung der Glocken, öffentliche Processionen u. s. w.) zugestanden: mit einem Worte, es wurde bei der Aufnahme dieser beiden Colonien bloß der Handel zu ihrer bürgerlichen Subsistenz festgesetzt, den sie auf eine den Kaufleuten und Bürgern Dresdens und Leipzigs min der schädliche Art zu treiben berechtigt wurden, so, daß die Colonie der Reformirten auf den Großhandel und die der Katholiken hauptsächlich auf den Handel mit Italiänischen Confituren, Weinen und Delicatessen beschränkt wurde.

Was die beiden Lausitzen betrifft, so ist nebst der evangelisch-lutherischen Religion auch die katholische daselbst herrschend, und haben daher beide in Hinsicht auf die ganze Provinz gleiche Rechte: mithin haben die Katholiken in den Lausitzen das öffentliche Religions-Exercitium, haben in den Orten, deren Einwohner katholisch sind, öffentliche Kirchen und auf denselben ihr Geläute, halten ihre Processionen außerhalb den Kirchengebäuden, dürfen Rittergüter in ihrem Namen besitzen, auch vermittelst derselben, wenn sie adelicher Geburt sind, auf den Landtagen erscheinen; und sogar ihre Kapitel und Klöster haben das Recht der Landtagsfähigkeit. Indeß kann doch gleichwohl nicht gelängnet werden, daß der evangelisch-lutherische Religionstheil vor dem katholischen mehrere Vorzüge daselbst behauptet, z. B. daß kein Katholik als Advocat immatriculirt oder zu irgend einem richterlichen Amte gelassen werden kann, ferner, daß ihre Klöster unter der Aufsicht eines Evangelisch-Lutherischen vom Adel stehen, ingleichen daß in den sogenannten Provinzial-Haupt- und Kreisstädten, welche an sich evangelisch-lutherisch sind, kein Katholik auf Bürger- und Meisterrecht Anspruch machen darf, so wie gegenseitig in den wenigen kleinen katholischen Flecken auch bloß Katholiken das Burger- und Meisterrecht sich erwerben können. Der Rechtsgrund zu diesen den Lutheranern zustehenden Vorzugsrechten aber mag wohl ursprünglich bloß aus ihrer Mehrheit sich herschreiben, wozu in der Folge verjährte Observanz gekommen ist. Wenigstens gilt diese Behauptung im Allgemeinen.

[20] Sämmtliche Sächsische Fürsten der Chur- und herzoglichen Linie waren seit Herzog Georgs, mit dem Beinamen des Bärtigen, im Jahre 1539 erfolgten Tode bis zum Jahre 1697 selbst für ihre Personen der evangelisch-lutherischen Religion zugethan; in diesem Jahre aber nahm Churfürst August II. Albertinischer Linie, weil er um die Krone Pohlens sich bewarb, die katholische Religion an, welches auch in gleichmäßiger Absicht sein einziger Prinz und Nachfolger, Friedrich August III. im Jahre 1712 that, dessen Descendenz bis auf diese Stunde katholisch geblieben ist. Hingegen in der jetzt herzoglichen oder Ernestinischen Linie hat noch kein einziger Fall einer Religionsveränderung sich zugetragen.

Ob nun wohl die Churlinie seit 1697 sich zur katholischen Religion bekennt, so hat doch dieser Umstand Sachsens Verhältnisse, gegen das Deutsche Reich sowohl als gegen den Obersächsischen Kreis, auch gegen die übrigen herzoglich Sächsischen Häuser, ja sogar gegen die Unterthanen des Churfürstenthums, weder in religiöser noch bürgerlicher Rücksicht nicht im mindesten verändert. Denn so gehört Chursachsen noch gegenwärtig auf dem Deutschen Reichstage zu der protestantischen Religionsparthei, hat im Corpore Evangelicorum sowohl als beim Obersächsischen Kreise, dessen Stände insgesammt Protestanten sind, das Directorium, läßt die herzogliche Linie in ihren Landen bei der Ausübung ihrer Hoheits- und anderer Rechte, schützt auch seine eigenen protestantischen Unterthanen in jedem Verhältnisse gegen andere Religionsverwandte innerlich und äußerlich, maaßt sich in kirchlichen Dingen keines Rechts an; kurz, Sachsens Unterthanen wissen blos geschichtlich, daß sein Fürst katholisch ist. Denn was die kirchlichen Regierungsrechte betrifft, so sind solche dem deßhalb errichteten Kirchenrathe übertragen, und dieser selbst ist der höchsten Aufsicht des Geheimen Conciliums unterworfen. Die geistliche Gerichtsbarkeit aber über die deßhalb bestehenden Consistorien aus, welche in Ansehung der gegen ihre Aussprüche eingewandten Appellationen wieder unter der Landesregierung stehen. Ueberhaupt aber muß ein Jeder, der sich von einer wohleingerichteten Staatsverfassung die richtigen Begriffe [21] zu machen im Stande ist, offenherzig rühmen, daß die Collegialverfassung in den sämmtlichen zum Churfürstenthum Sachsen gehörigen Landen musterhaft eingerichtet sei. Wüßten wir, daß unser Lesepublicum bloß auf Sachsens Einwohner sich beschränkte, so würden wir diese Collegialverfassung hier etwas tiefer berühren; da wir uns jedoch auch vieler Leser außer den Sächsischen Staaten erfreuen dürfen, so müssen wir diese sowohl als andere wissenswerthe Sachen mit Stillschweigen übergehen.

Sämmtliche Sächsische Staaten der Chur- und herzoglichen Linie werden zwar von ihren Fürsten allein und gewissermaßen, den meisten Deutschen Provinzen gleich, monarchisch regiert; indeß haben dieselben doch in vielen Stücken, in so fern es ihrer Landeshoheit unbeschadet geschehen kann, sich von ihren Ständen einschränken lassen. Und diese mäßigen und billigen Einschränkungen haben nicht nur die Liebe der Unterthanen gegen ihre Beherrscher mehr und mehr angefacht und enger an sie gekettet, sondern auch wirklich den öffentlichen und Privat-Wohlstand zu der gegenwärtigen Hohe gebracht. Dergleichen vortreffliche und wohlthätige Einschränkungen befinden sich z. B. in den Churlanden in Ansehung der Steuer; aber würden wohl ohne diese Einschränkungen die großen und ungeheuern Landesschulden so bald und so bequem haben bezahlt werden können? Die beste und für alle Unterthanen Sachsens bei weitem die wohlthätigste Einschränkung liegt wohl in dem Einflusse seiner Stände auf Landtagen, welche, wenigstens in den Churlanden, aller sechs Jahre richtig gehalten werden; auf diesen erscheinen Ritterschaft und Städte. Ueberhaupt aber theilen sich sämmtliche Chursächsische Landstände in drei Abtheilungen, 1) in Prälaten, Grafen und Herren, 2) in Ritterschaft und 3) in Städte. Zu der erstern, zu den Prälaten, gehören die drei Hochstifte Meißen, Merseburg und Naumburg, der Landcommenthur des Deutschen Ordens wegen der Güter und Commenden, die der Ballei Hessen und Thüringen in den Sächsischen Churlanden zuständig sind, die Fürsten, Grafen und Herren von Schönburg, sowohl wegen ihrer Sächsischen als wegen der Reichsafterlehne, die Grafen von Stollberg wegen Roßla und Stollberg, die Grafen [22] von Solms wegen der Herrschaft Wildenfels, die Herren von Werthern als Herren von Beichlingen, und die beiden Universitäten Leipzig und Wittenberg. Sämmtliche Stände dieser Abtheilung halten, nach vorgängiger ihnen mitgetheilten Landtags-Proposition, ihre Sitzungen in einem aparten Zimmer.

Die zweite Abtheilung der Stände, die Ritterschaft, zerfällt wieder in drei Ordnungen, nehmlich a) in die Ritterschaft des engern Ausschusses, b) in die Ritterschaft des weitern Ausschusses und c) in die allgemeine Ritterschaft. Jede dieser Abtheilungen hält ihre Sitzungen für sich, hat ihre Directoren; und was die dritte Ordnung, die allgemeine Ritterschaft, betrifft, so hat dieselbe so viel Directoren als Kreise sind, nehmlich sieben.

Auch die Städte haben ihre Abtheilungen: a) Städte des engern, b) Städte des weitern Ausschusses und c) allgemeine Städte. So halten aber auch die Städte ihre aparten Sitzungen und deliberiren für sich. Endlich communiciren sich sämmtliche Stände ihre Beschließungen in Ansehung der ihnen angemutheten Bewilligungen.

In den Hochstiftern Merseburg und Naumburg, ingleichen in dem Fürstenthume Sachsen-Querfurth, werden ebenfalls so wie in den Churlanden aller sechs Jahre dergleichen allgemeine Landesversammlungen der dahin gehörigen Stände an Ritterschaft und Städten gehalten. Dieß geschieht gemeiniglich nach geendigtem Landtage in den Churlanden, wo, um desto mehr Einstimmung mit den Churlanden zu bewirken, an die Stände dieselbe Proposition ergeht, welche vorher denen zu Dresden war gemacht worden. Hier aber vertritt ein Minister als Commissar die Stelle des Churfürsten.

Die beiden Lausitzen halten jährlich ihre Landtage für sich, nehmlich die Obere zu Bautzen und Görlitz und die Niedere zu Lübben. Aller sechs Jahre aber werden große oder Haupt-Landtage gehalten, unter Aufsicht eines churfürstlichen Ministers als Commissarius.


Fußnoten

1 Es hat die gräflich Pappenheimische Familie das Reichs-Erbmarschallamt zusammt dem Schlosse Pappenheim von Chursachsen ordentlich zu Lehne, obwohl dasselbe nicht unter die Sächsische Hoheit gehört, auch die Pappenheimische Familie nicht zu dem Sächsischen Adel gerechnet werden kann; vielmehr gehört dieselbe wegen ihrer sonstigen Besitzungen zur unmittelbaren Reichsritterschaft des Schwäbischen Ritterkreises. Dieses Erbmarschallamt führt allezeit bloß der älteste Graf in der Familie, die ganze Familie aber legt sich den Titel davon bei.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 16-23.
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