Alexei Petrowitsch

[49] Alexēi Petrowitsch, der älteste Sohn Peter's des Großen, Kaisers von Rußland und dessen erster Gemahlin, Eudoxia Lapuchin, geb. am 18. Febr. 1690, nahm schon in der frühesten Jugend durch den Unterricht fanatischer und mit den Neuerungen im russ. Reiche unzufriedener Lehrer, unter der Leitung seiner Mutter, eine Richtung an, welche ihm in der Folge nothwendig das Herz seines Vaters entfremden mußte. Zwar ward, nachdem seine Mutter 1699 von ihrem Gemahle in ein Kloster verwiesen worden war, besser für seine Bildung gesorgt; allein seine zu dem Gemeinen und Herkömmlichen sich hinneigende Denkungsart änderte sich nicht. Als sein Vater 1707 sich von Neuem vermählte, lag es im Interesse Derer, die ihm dazu gerathen hatten, daß A. nie, oder wenigstens ohnmächtig, auf den Thron gelange. Absichtlich ließ man ihn deshalb auf die kaum erst verlassene Bahn wieder zurückkehren und seinen Träumereien und erwachenden Leidenschaften nachhängen. Nach vielfachen Versuchen, ihn zu bessern, hielt 1711 der Vater es am Gerathensten, ihn mit der liebenswürdigen Prinzessin Charlotte Christine Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel zu vermählen; allein auch dieses Mittel verfehlte seinen Zweck. Beide waren an Denkart und Sitten zu ungleich; A. blieb wie zuvor und seine Gemahlin unterlag schon 1715 der harten und zuletzt schimpflichen Behandlungsweise, der sie fortwährend ausgesetzt war, nachdem sie kurz zuvor noch einen Sohn, den nachmaligen Kaiser Peter II., geboren hatte. War Peter seinem Sohne früher schon abgeneigt gewesen, so wurde er es jetzt noch mehr, da der Tod der Prinzessin seine letzte Hoffnung vernichtete. Am Tage ihres Begräbnisses drohte er A. in einem Schreiben mit Enterbung, wenn er sich nicht in kurzer Zeit bessere und andere Gesinnungen annehme. A., von seinen Anhängern überredet, daß er nach des Vaters Tode schon Mittel finden werde, seine Ansprüche auf den Thron geltend zu machen, verzichtete freiwillig auf die Thronfolge. Dies hatte Peter nicht erwartet; noch einmal schrieb er dem Sohne, daß ihm nur zwischen Sinnesänderung und Kloster die Wahl stehe, und dieser antwortete, daß er Mönch werden wolle. Ungeachtet dieser offenkundigen Hartnäckigkeit gewährte ihm Peter noch eine Bedenkzeit von sechs Monaten, während welcher er eine größere Reise unternahm. Seine Abwesenheit benutzte die Partei A.'s zu Umtrieben. Doch kaum hatte hiervon der Kaiser Kunde erhalten, als er 1717 A. zu sich nach Kopenhagen berief. Dieser aber ließ sich bereden, die Flucht zu ergreifen, ging nach Wien und dann nach Neapel; kehrte jedoch, als ihm der Vater Verzeihung versprach, 1718 zurück; erklärte sich des Thrones unwürdig und stellte hierüber eine förmliche Urkunde aus. Um sich sowol vor der russ. Nation, wie vor ganz Europa wegen seines Benehmens gegen den Sohn zu rechtfertigen, ließ Peter eine Untersuchung gegen ihn und seine Anhänger einleiten. Da A. im Verfolg derselben gestand, Absichten auf den Umsturz des Throns gehabt zu haben, sprachen am 13. Jun. 1718 einstimmig 144 Richter das Todesurtheil über ihn aus; die Vorlesung desselben und der Gedanke an die baldige Hinrichtung wirkten aber so erschütternd auf seine Gesundheit, daß er schon am 15. Jun. starb. Dies gab zu mancherlei Sagen und Gerüchten Veranlassung; nach Einigen sollte er vergiftet, nach Andern im Geheimen hingerichtet und um ihn öffentlich ausstellen zu können, der Kopf ihm angeheftet worden seien. Auch A.'s Gemahlin soll der Sage nach 1715 sich blos todt gestellt haben, um den Mishandlungen ihres Gemahls zu entgehen, und nachdem sie beigesetzt worden, nach Frankreich, später nach Amerika geflüchtet und erst 1760 zu Brüssel gestorben sein.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 49.
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