Anleihe

[85] Anleihe nennt man im gewöhnlichen Leben ein Geschäft, wodurch Jemand von einem Andern eine bestimmte Summe Geldes erborgt. Eine solche Anleihe kann nicht blos von Privatpersonen, sondern auch von Gesellschaften und Vereinigungen gemacht werden. Eine solche Gesellschaft ist der Staat, und Staatsanleihen gehören in der neuern Zeit zu den gewöhnlichsten Erscheinungen. Hierzu ist aber vor allen Dingen Credit erfoderlich, welcher durch nichts so sehr gehoben wird, als durch eine tüchtige und zweckmäßige Verwaltung, verbunden mit einer angemessenen Öffentlichkeit im Staatshaushalte, denn Vertrauen begründet den Credits; doch dieses kann nur durch Offenheit und Redlichkeit erworben werden. Ebenso erhöhen pünktliche Zinszahlung, Ruhe und Sicherheit im Innern und Friede nach Außen den Credit des Staates. Die Art und Weise, wie die Staaten Anleihen contrahiren, kommt dem unter Privatpersonen gebräuchlichen Darlehnscontracte im Ganzen gleich. Auch hier pflegen Zinsen und Rückzahlung in bestimmter oder unbestimmter Zeit versprochen zu werden; doch kann der Vertrag auch so eingegangen werden, daß das Capital nie zurückgezahlt, dagegen aber eine fortwährend gleiche Rente oder immerwährende Annuität gegeben wird. Die Rente kann auch so hoch gestellt sein, daß in einer bestimmten Zeit das Capital zugleich mit getilgt ist, in welchem Falle sie [85] dann erlischt (Zeitrente), oder so, daß sie mit dem Leben des Gläubigers aufhört (Leibrente). Durch Staatsanleihen sowie durch Staatspapiere werden zwar die vorhandenen Werthe und Tauschmittel anscheinend erhöht und vermehrt, allein beide Mittel können auch höchst gefährlich werden, da die Zinsen und Renten die Abgabenlast vermehren und das Misverhältniß zwischen Armen und Reichen steigern.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 85-86.
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