[402] Charakter, ein dem Griechischen entlehnter Ausdruck, bezeichnet eigentlich das Gepräge eines Gegenstandes oder die Form, unter der er sich der Wahrnehmung darbietet; unter dem Charakter einer Sache versteht man daher im Allgemeinen Dasjenige, wodurch sie sich von andern unterscheidet. In dieser Hinsicht kann man also allen Dingen in der Welt, Pflanzen, Thieren, Gegenden u.s.w. einen gewissen Charakter beilegen und die eigenthümlichen Merkmale eines Gegenstandes werden daher auch charakteristische genannt. Charakteristische Merkmale des Menschen sind z.B. sein aufrechter Gang, die Sprache und die Vernunft; unter dem Charakter eines einzelnen Menschen versteht man aber seine Sinnesart und Handlungsweise, insofern sie unter wechselnden Verhältnissen eine gewisse Beständigkeit behält, ohne die es keinen Charakter gibt. Man nennt daher Leute charakterlos, welchen diese Beständigkeit abgeht, und deren Benehmen nicht eine Folge des Festhaltens an bestimmten Grundsätzen ist. Wie an einzelnen Menschen wird auch an ganzen Völkern eine Verschiedenheit des Charakters beobachtet, welche von Klima, Boden, Verkehr und Regierungsverfassung abhängig ist. Am deutschen Volks- oder Nationalcharakter rühmt man z.B. Aufrichtigkeit, Häuslichkeit, Treue, Ordnungsliebe und Gründlichkeit, tadelt aber eine gewisse Trägheit, den vorherrschenden Hang das Fremde nachzuahmen und die wenige Anhänglichkeit an das gemeinsame Vaterland. Auch in der Ästhetik (s.d.) ist von dem Charakter oder der Charakteristik der Kunstwerke die Rede, worunter man das eigenthümliche Gepräge, die sich bestimmt darstellende Bedeutung derselben versteht, welche einem schönen Kunstwerke nicht mangeln darf. Die [402] Charakterzeichnung oder das Charakterisiren ist daher eine nichtige Aufgabe des Künstlers, die bildenden Künste und die Schauspielkunst aber können ohne sie gar nicht als Künste bestehen. Schauspiele, in denen der Verfasser mehr Fleiß auf die Darstellung menschlicher Charaktere als auf die eigentliche Handlung verwendet hat, werden vorzugsweise Charakterstücke genannt, und unter Charaktermasken oder Caracten versteht man die unterscheidende und mitunter idealisirte Tracht einzelner Stände oder Völker, z.B. der Bergleute, der Türken, welcher man sich bei Maskenbällen zu Verkleidungen bedient. – Charakterisirte Personen sind solche, denen Ehrentitel verliehen wurden, in welchem Sinne man auch von Jemand sagt, er habe z.B. den Charakter eines Hofraths erhalten.