Diogenes

[570] Diogenes, geb. 414 v. Chr. in Sinōpe, einer wichtigen griech. Stadt an der Südküste des schwarzen Meeres, war der berühmteste unter den zu den Cynikern (s.d.) gezählten Philosophen und erlangte seinen Ruf vorzüglich durch den derben und beißenden Witz, mit welchem er die Thorheit seiner Zeitgenossen geißelte und durch die aufs Höchste getriebene Verwirklichung seiner Lehren und des Grundsatzes, der Weise müsse allem Entbehrlichen entsagen. Stets beobachtete er die größte Enthaltsamkeit, stillte seinen Hunger oft mit den schlechtesten Nahrungsmitteln, ging in Athen barfuß, mit langem Barte, einen Stab in der Hand und einen Quersack auf dem Rücken einher und warf seinen einzigen hölzernen Becher weg, als er eines Tages einen Knaben mit der Hand Wasser schöpfen sah. D. hatte oft kein bestimmtes Obdach, daß er aber beständig in einem Fasse gewohnt, ist wol eine Fabel, obgleich es zuweilen geschehen sein kann, da die Cyniker gern unter freiem Himmel lebten. Freimüthig eiferte er gegen das Sittenverderbniß seiner Zeit, erntete aber auch oft Beleidigungen und Schmähungen dafür, die ihn jedoch wenig anfochten; er selbst soll sich einen Hund genannt haben, seine Gegner aber gaben ihm seiner Übertreibungen wegen den Namen eines wahnsinnigen Sokrates. Als er einst nach der Insel Ägina schiffte, wurde er von Seeräubern gefangen und als Sklave an einen reichen Korinthier verkauft, welcher ihm die Erziehung seiner Kinder überließ, der sich D. auch mit der größten Gewissenhaftigkeit unterzog. In Korinth sah ihn Alexander der Große (s.d.) [570] eines Tages im Vorübergehen sich am Wege sonnen, und verwundert, von dem zerlumpten Manne nicht beachtet zu werden, redete er ihn an und gab ihm zuletzt die Erlaubniß, sich eine Gnade auszubitten. D. verlangte blos, Alexander möge ihm aus der Sonne gehen, und diese beispiellose Genügsamkeit soll Letztern zu dem Ausspruche bewogen haben: »Er möchte wol D. sein, wenn er nicht Alexander wäre.« In Athen wurde D. einst am hellen Mittag mit einer Laterne gesehen, und als man ihn fragte, was er suche, entgegnete er: »Ich suche Menschen.« Da ihm die strengen Spartaner die meiste Anlage zu Menschen nach seinem Sinne zu haben schienen, so äußerte er ein andermal: »Menschen habe er nirgend gefunden, allein doch Kinder in Lacedämon.« Wahrscheinlich hat dieser 324 v. Chr. verstorbene Sonderling keine Schriften hinterlassen, da schon im Alterthume die Echtheit der ihm zugeschriebenen bezweifelt wurde und die vorhandenen angeblichen Briefe desselben später untergeschoben worden sind.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 570-571.
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