[677] Erasmus (Desiderius), einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit und ein mittelbarer Beförderer der Reformation, indem er aus Abneigung gegen alle Streitigkeiten nicht offen für dieselbe auftrat, war der uneheliche Sohn eines Holländers mit Namen Gheraerds, und 1467 zu Rotterdam geboren.
Bis zum neunten Jahre Chorknabe im Dome zu Utrecht, kam er dann auf die Schule zu Deventer, wo er die größten Hoffnungen erregte, mußte aber nach dem Tode seiner Ältern auf das Verlangen seiner Verwandten im 17. Lebensjahre in das Kloster Emaus bei Gouda treten. Seine ausgezeichneten Kenntnisse bewogen aber den Bischof von Cambray, E. nach ertheilter Priesterweihe zur Vervollkommnung in der Theologie und alten Sprachen nach Paris zu schicken, von wo er dann mit einigen Engländern, die seinen Unterricht genossen hatten und deren Einer ihm einen lebenslänglichen Jahrgehalt aussetzte, 1497 nach London ging. Bald trieb ihn aber das Verlangen. sich in den Wissenschaften noch mehr auszubilden, nach Italien, wo er zu Bologna die Würde eines Doctors der Theologie annahm. Als ihn aber hier seine Ordenstracht, in der ihn das Volk für einen Pestarzt ansah, Mishandlungen zuzog, erbat und erhielt er vom Papste die Lösung seiner Mönchsgelübde und ging, nachdem er Venedig und Rom kennen gelernt und viele vortheilhafte Anerbieten abgelehnt hatte, wieder nach England, wo ihn die Gunst König Heinrich VIII. [677] ein unabhängiges, den Wissenschaften gewidmetes Leben hoffen ließ. Als E. dort mit dem Großkanzler Thomas Morus zuerst als Unbekannter zusammentraf, ward dieser von dessen Unterhaltung so entzückt, daß er ausrief: »Ihr seid E. oder ein Dämon!« Nachdem er abermals Paris besucht, erhielt er in England eine Pfarrei und war in Oxford eine kurze Zeit Professor der griech. Sprache, scheint aber dessenungeachtet nie bei Gelde gewesen zu sein und ließ sich endlich nach wiederholten Reisen durch die Niederlande und Deutschland, seine Unabhängigkeit allen glänzenden Anträgen mehrer Fürsten vorziehend, in Basel nieder, wo er am 12. Juli 1536 verstarb. E. gehörte zu dem gründlichsten Kennern der alten Sprachen, besaß außerdem höchst umfassende Kenntnisse, einen geläuterten Geschmack, war ein beredter Vertheidiger hellerer Ansichten und bekämpfte auch als satirischer Schriftsteller die Thorheit seiner Zeit. Der Reformation wandte er sich persönlich zwar nicht zu, zu ihren Beförderern muß er aber dessenungeachtet gezählt werden, obgleich er als Weltmann alles entscheidende Eingreifen in die Gebrechen seiner Zeit vermied, weshalb er auch von den feurigern Geistern seines Jahrhunderts manchen heftigen Angriff erdulden mußte und mit Luther namentlich in persönliche Zwietracht gerieth. Er selbst klagt am Ende seines Lebens darüber, daß ihn beide Parteien hart mitnahmen, weil er es beiden habe recht machen wollen. Die Bürger von Rotterdam haben das Andenken ihres großen Landsmannes, der oben lesend dargestellt ist, durch ein dort errichtetes Denkmal geehrt.