Musik

[224] Musik oder Tonkunst heißt die Kunst, schöne Töne hervorzubringen und mittels derselben auf die Seele zu wirken, Empfindungen und Gemüthszustände hervorzurufen, von denen sich jedoch der Verstand keine eigentliche Rechenschaft zu geben vermag. Sie ist die keuscheste und am meisten moralische von allen Künsten und kann nie allein, sondern blos durch Verbindung mit Andern, z.B. als Melodie oder Begleitung zweideutiger Lieder, zum Gegentheil gemisbraucht werden. Mit der dramatischen Kunst hat sie gemein, daß sie, wie diese, die Werke dramatischer Dichter, die der Componisten oder Tonsetzer (s. Composition) wiederholt zur künstlerischen Ausführung zu bringen, dieser aber keine die Zeit derselben überschreitende Dauer zu geben vermag. Dabei ist sie an keinerlei sprachlichen Ausdruck gebunden, sondern bildet vielmehr eine besondere, mehr und weniger allgemein verständliche Ausdrucksweise, wie denn wol bei keinem Volke das lustige Schmettern von Trompeten als Auffoderung zur Trauer, die eindringlichen gezogenen Töne einer Glasharmonica als Veranlassung zum Tanz betrachtet werden möchten. Zur Erreichung der Zwecke der Musik dienen Melodie, Harmonie und Rhythmus (s.d.), sowie insbesondere als Mittel der künstlerischen Ausführung die menschliche Stimme einzeln oder in der Mehrzahl und in Form des Duetts, Terzetts, Chors u.s.w., wofür der gemeinsame Name Vocalmusik üblich ist; ferner die sämmtlichen musikalischen Instrumente (s. Instrument), daher blos durch dieselben ausgeführte Musik im Gegensatze zum Gesange Instrumentalmusik heißt, oder Beides vereinigt. Wird Instrumentalmusik von lauter Blasinstrumenten ausgeführt, so gibt man ihr auch den Namen Harmoniemusik. Hinsichtlich [224] der besondern Absicht oder des eigenthümlichen Zwecks, für welche ein Musikstück verfaßt wurde, und des dadurch bedingten Styles oder Charakters desselben, sowie mit Rücksicht auf die Orte, wo eine Musik ausgeführt wird, unterscheidet man: geistliche oder Kirchen-Musik, welche Beförderung religiöser Erbauung und Verherrlichung des Gottesdienstes bezweckt und zu der z.B. die musikalischen Messen, die Motetten und Oratorien gehören, und weltliche Musik. Diese zerfällt wieder in Theater- und Opernmusik; in Concert- oder Kammermusik, wozu Symphonien, Concerte, Variationen, Bravourarien, Quartetten, Quintetten, Trios, Duos und andere Tonwerke gehören (s. Concert), welche ausgezeichnete Fertigkeit und Kunst im Gesange oder in Behandlung der Instrumente fodern; in Militair- oder Feldmusik, welche die Bewegung der Soldaten lenken und ihren kriegerischen Muth anfeuern soll; Tanzmusik und mehre andere Unterabtheilungen, z.B. Hornmusik, Jagdmusik u.s.w., deren Eigenthümlichkeit aus ihrer Benennung hervorgeht. Wer die Musik künstlerisch betreibt, heißt überhaupt Musiker oder Tonkünstler, gleichviel, ob er als Tonsetzer oder durch künstlerische Fertigkeit auf musikalischen Instrumenten für seine Kunst wirkt, dagegen bezeichnet man Leute, welche ihre musikalische Fertigkeit blos handwerksmäßig zum Erwerbe anwenden, als Musikanten. Unter Musikdirector wird endlich der leitende Vorstand einer größern Anzahl von Musikern und Sängern verstanden, welche größere Compositionen gemeinschaftlich ausführen, wie das im Theater mit den Opern, bei der Aufführung von Symphonien und andern Musiken der Fall ist. Während dabei jeder Mitwirkende zunächst blos seine Partie oder Stimme vor Augen hat, muß der Musikdirector das Einzelne wie das Ganze gleichmäßig überblicken, die Anleitung zur angemessenen künstlerischen Ausführung bei den Vorübungen geben und endlich die gemeinschaftliche Aufführung leiten.

Von der Erfindung der Musik besitzen wir keine Nachrichten; sie entwickelte sich wahrscheinlich aus dem Gesange, da der menschlichen Stimme die Beherrschung des Tones am umfänglichsten zu Gebote steht, und war nach Herstellung musikalischer Instrumente lange Zeit nur Begleiterin der Dichtkunst und des Tanzes. Schon bei den alten Ägyptern gab es jedoch unter andern auch unsern Harfen ähnliche Saiteninstrumente, in der Bibel werden Pauke, Cyther und Harfe bei den Israeliten ebenfalls sehr früh erwähnt, und die Chinesen und Indier besaßen vielleicht noch früher schon tönende Instrumente. Bei den Griechen, welche sich von den Ägyptern und andern Völkern die vorhandenen musikalischen Kenntnisse angeeignet haben mögen, scheint diese Kunst im Alterthume ihre höchste Ausbildung erhalten zu haben. Sie unterschieden in späterer Zeit Vocal- und Instrumentalmusik, stellten Forschungen über die Eigenschaften der Töne an und schrieben darüber. Von ihnen erhielten sie die Römer, bei denen im Anfange sich blos Sklaven und Freigelassene damit abgeben durften und außer der Musik beim Opferdienste die kriegerische vorzüglich in Aufnahme war, bis sie unter den Kaisern und namentlich unter Nero, ebenfalls ein Gegenstand des Luxus der Großen wurde, ohne jedoch Dem nahe zu kommen, was in neuerer Zeit durch Vereinigung von Melodie und Harmonie (s.d.) erreicht wurde, welche letztere ganz unbekannt war. Die neuere Musik entwickelte sich aus der alten großentheils mittels der geistlichen Gesänge, welche sehr frühzeitig bei den Versammlungen der Christen üblich waren, und um die sich im 6. Jahrh. Papst Gregor der. Große durch Einführung des Choralgesangs (s. Choral) verdient machte. Im 10. Jahrh. versuchte man den mehrstimmigen, harmonischen Gesang und im 11. Jahrh. ward von dem musikkundigen Benedictinerable Guido von Arezzo der Grund zu der noch üblichen Notenschrift (s. Noten) gelegt. Italien war und blieb noch lange die Hauptschule für Musik und sandte Kirchensänger und Musiker nach allen Seiten aus. Von diesen angeregt geschah indessen auch Manches in Frankreich, in den Niederlanden und Deutschland, wo im Mittelalter vorzüglich Troubadours, Meister- und Minnesänger die weltliche Musik zu Ehren brachten. Die ältesten Musiker des Nordens waren Barden und Skalden (s.d.). Aus Italien kam im 16. Jahrh. auch der Figuralgesang (s. Figur) nach Deutschland, wo Luther zuerst den deutschen Kirchengesang einführte, die von Italien ebenfalls ausgegangene Erfindung der Oper (s.d.) aber gab den Anstoß zu der im 17. und 18. Jahrh. erfolgten schnellen Vervollkommnung der Tonsetzkunst, der Gesangs- und Instrumentalmusik, in welcher erstern die Italiener, in der letztern seit Ende des 18. Jahrh. die Deutschen alle andern Nationen überflügelt und in den Werken eines Haydn, Mozart, Beethoven (s.d.) und anderer Meister auch die allgemeine Anerkennung gefunden, sowie zur musikalischen Bildung des Auslandes (s. z.B. Händel, Gluck und Jos. Haydn) fortwährend wesentlich beigetragen haben. Die Musik hat überhaupt in neuester Zeit eine überaus große Verbreitung gefunden, was sich namentlich in den zahlreichen Musikvereinen oder Verbindungen Musikkundiger zur gemeinschaftlichen Aufführung größerer und kleinerer Musikstücke, und in der großen Theilnahme an den auch in Deutschland jetzt theils jährlich, theils in größern Zwischenräumen begangenen Musikfesten ausspricht. So werden nämlich Zusammenkünfte von mehren Hunderten von Sängern und Tonkünstlern behufs der würdigen Aufführung großer Tondichtungen genannt, wie sie besonders in mehren dazu vereinigten Städten in der Nähe der Elbe, daher Elbmusikfeste (gegründet 1825 durch den Oberbürgermeister Franke in Magdeburg), am Ober- und Niederrhein, in Thüringen, zu Wien und als Cäcilienfeste in Hamburg, Lübeck, Luckau stattfinden. Die regelmäßige Wiederkehr solcher Musikfeste ward zu Ende des vorigen Jahrhunderts zuerst in der Schweiz eingeleitet und vom Musikdirector Bischoff zu Hildesheim seit 1804, wo er als Cantor zu Frankenhausen in Thüringen den ersten Versuch dazu machte, in Deutschland eingebürgert. Ähnliche Vereinigungen bestehen auch, obgleich weniger zahlreich, in Frankreich, in Belgien, in England, wo jedoch schon seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zur Gedächtnißfeier Händel's in der Westminsterabtei zu London, jährlich von mehren hundert Sängern und Musikern eine außerordentliche Musikaufführung stattfindet.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 224-225.
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