Hinken

[390] Hinken bezeichnet eine Unregelmäßigkeit des Ganges, welche durch ein Misverhältniß in der Brauchbarkeit der beiden untern Gliedmaßen bedingt wird. Die Störung betrifft nicht beide Gliedmaßen gleichmäßig, sondern entweder überhaupt eine oder doch vorzugsweise nur eine derselben. Die dem Hinken zum Grunde liegenden Fehler können angeboren oder erworben sein. Zu den angeborenen gehören Misstaltungen der untern Gliedmaßen, das Fehlen einzelner Theile derselben, fehlerhafte Bildung des Beckens; zu den erworbenen Veranlassungen Narben von beträchtlicher Ausdehnung, die nach großen Wunden entstanden sind, schmerzhafte Übel, wie z.B. Rheumatismen, das sogenannte Hüftweh, langwieriger Krampf in den Muskeln der untern Gliedmaßen, Brüche des Schenkelhalses und Schenkelknochens oder Verrenkungen desselben, die übel behandelt wurden oder nicht ohne Verkürzung geheilt werden konnten. Das Hinken ist immer nur ein Krankheitszeichen, nicht eine für sich selbständig bestehende Krankheit, so ist es z.B. oft das Hauptzeichen eines eigenthümlichen Hüftleidens, welches eben deshalb die Benennung: freiwilliges Hinken erhalten hat. Passender belegt man mit diesem Namen das Hinken der Kinder, welches vorzüglich bei Mädchen beobachtet wird, in manchen Familien erblich und wahrscheinlich ein Fehler der ersten Bildung, seltener Folge des zu frühen Gebrauchs der Füße ist. Der eine Schenkel ist gleich anfangs kürzer, aber weder schwächer noch magerer als der andere, auch nicht gelähmt, und läßt sich zwar ohne Schmerz und Knarren zur natürlichen Länge ausdehnen, verkürzt sich aber beim Nachlaß der Ausdehnung sogleich wieder. Übrigens haben Ober- und Unterschenkel ihre natürliche Richtung. Auch treten die auf diese Weise leidenden Kinder mit der ganzen Fußsohle auf. An Heilung ist nicht zu denken. Eine andere Art von Hinken der Kinder, welche ebenfalls nicht eher wahrgenommen wird, als bis sie anfangen, die untern Gliedmaßen zu gebrauchen, soll von einer im zartesten Alter erlittenen äußern Gewalt herrühren, durch welche die Bänder des Hüftgelenks gezerrt, geschwächt und zerrissen worden, sodaß sie den Kopf des Schenkelknochens nicht mehr gehörig in der Pfanne zu befestigen vermögen. Das Hinken scheint übrigens keinen wesentlich nachtheiligen Einfluß auf die übrige Gesundheit auszuüben, indem sich der Körper daran gewöhnt, doch ermüdet das Gehen Hinkende leichter als Gesunde und Brüche sollen bei ihnen nicht nur bedenklicher sein, sondern überhaupt auch häufiger vorkommen. Das Heilverfahren, welches man zur Beseitigung des Hinkens etwa einschlagen kann, muß vor allen Dingen die Ursache desselben zu heben suchen, in den meisten Fällen wird das Übel jedoch unheilbar sein und dann bleibt nichts übrig, als den Gang wo möglich durch mechanische Mittel zu verbessern, was bei Verkürzung des Fußes zuweilen schon durch einen hohen Absatz unter dem Schuhe oder auch eine ganze Sohle von entsprechender Höhe, in andern Fällen durch Krücken und künstliche Glieder erreicht wird.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 390.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: