[543] Kanon, d.h. eigentlich Regel, heißt das Verzeichniß der Schriften des A. und N. T., weil sie wegen ihres göttlichen Ursprungs zum Vorlesen bei den gottesdienstlichen Versammlungen der Christen gebraucht und als Richtschnur des Glaubens und Lebens angesehen wurden. Die kanonischen Schriften werden, als geoffenbarte, unter Einwirkung des göttlichen Geistes abgefaßte, den apokryphischen entgegengesetzt, denen man diese Eigenschaft nicht zuerkannte und die deshalb nur zur häuslichen Erbauung, nicht aber zum kirchlichen Gebrauche angewendet werden durften. Der Kanon der heiligen Schrift zerfällt in die zwei Theile des A. und N. T. Der Kanon des A T. erhielt seine gegenwärtige Gestalt gegen das Jahr 336 v. Chr., nachdem schon Esra und Nehemia die Schriften desselben zu sammeln begonnen hatten. Sie sind in der hebr. Sprache abgefaßt. Der Kanon des N. T., dessen Ursprache die griech. ist, und der in historische Schriften, wozu die vier Evangelien und die Apostelgeschichte gehören, in Lehrschriften, welche die Briefe umfassen, und in eine prophetische Schrift, die Offenbarung Johannis, eingetheilt wird, wurde in seinem gegenwärtigen Umfange erst am Schlusse des 4. Jahrh. vollendet. – Kanones werden ferner die Gesetze und Verordnungen [543] der Concilien (s.d.) genannt, nach welchen die Angelegenheiten der Kirche geleitet werden sollten; daher das Kirchenrecht den Namen des kanonischen Rechts (s.d.) erhielt. – In der Musik nennt man Kanon ein Musikstück, welches von mehren Stimmen vorgetragen wird, sodaß alle einzelnen Stimmen genaue Wiederholungen der ersten sind, aber zu verschiedenen Zeiten einfallen. Die Stimmen sind mit der ersten bald in derselben, bald in einer höhern oder tiefern Tonstufe. Wenn der Kanon endlich in einen Schluß ausgeht, in welchem die verschiedenen Stimmen in einer Harmonie sich vereinigen, so heißt der Kanon ein endlicher, hat er keinen solchen Schluß, so ist er unendlich.