Nullität

[311] Nullität oder Nichtigkeit nennt man in rechtlicher Bedeutung den Mangel wesentlicher Erfodernisse eines Rechtsgeschäfts in Betreff des Inhalts oder der Form, wodurch allein es schon ungültig werden kann, was aber zuweilen nur dann der Fall ist, wenn auf den Mangel irgend eines Erfodernisses gradezu die Strafe der Nichtigkeit gesetzlich bestimmt ist. In Bezug auf die Nullität gilt der strenge Grundsatz: was einmal nichtig ist, kann im Laufe der Zeit nicht gültig werden. Mit der Ungültigkeit des Hauptgeschäfts fallen auch alle Nebengeschäfte zusammen; dagegen hebt die Ungültigkeit eines Theils oder eines Punktes des Rechtsgeschäfts nicht auch alle übrigen Punkte desselben auf, sofern diese nur für sich bestehen können und an und für sich gültig sind. Zur Anfechtung ungültiger Handlungen und Rechtsgeschäfte stellt man die sogenannte Nichtigkeitsklage (Nullitätsquärel) an, welche insbesondere im Processe als Rechtsmittel zur Anfechtung nichtiger Urtheile höchst wichtig ist. Der Anfechtende wird dabei Quärulant und sein Gegner Quärulat genannt. Nach gemeinem deutschen Rechte muß man seit dem jüngsten Reichsabschiede zwei Rechtsmittel gegen Nichtigkeiten unterscheiden. Durch beide soll ein Urtheil nicht wegen der unrichtigen Anwendung von Rechtsgrundsätzen, sondern wegen Verletzung wesentlicher Bestandtheile des Proceßverfahrens umgestoßen werden. Die eine Art dieser Nichtigkeitsbeschwerden gehört in die Classe der ordentlichen Rechtsmittel und findet gegen jedes nichtige Urtheil statt, die Nullität mag nun erwachsen aus dem Mangel eines natürlichen wesentlichen Bestandtheils des Processes, d.i. eines solchen, ohne welchen schon der Natur der Sache nach kein rechtsbeständiges Verfahren gedacht werden kann und welcher deshalb auch dem Verzichte der Parteien nicht unterliegt, oder aus dem Mangel einer blos der bessern Ordnung wegen und zum Besten der Parteien von den Gesetzen vorgeschriebenen Förmlichkeit, welcher durch den Verzicht der Parteien geheilt werden kann. Sie ist aber, wie alle ordentliche Rechtsmittel, an die zehntägige Nothfrist gebunden, innerhalb welcher sie angestellt werden muß, und genießt auch den jenen zustehenden Suspensiveffect. Eine außerordentliche Nullitätsquärel gestatten aber die Gesetze noch 30 Jahre lang bei allen solchen Nichtigkeiten, welche einen unheilbaren Mangel hinsichtlich des Richters oder der Partei oder der wesentlichen Bestandtheile des Processes mit sich führen. Man gestattet auch diese Nullitätsquärel, wenn aus verfälschten Beweismitteln erkannt ist, sowie, wenn ein Rechnungsfehler vorliegt. Auch im Criminalprocesse zieht die Nichtbeobachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten die Nichtigkeit des ganzen Verfahrens nach sich, namentlich sind diejenigen Länder, in welchen die persönliche Freiheit des Bürgers besonders hochgeachtet wird, wie England und Frankreich, reich an Formen, welche zum Schutze derselben dienen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 311.
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